Pariser Fauxpas, oder: Sind uns (gute) Politiker wichtiger als (gute) Politik?

Es gibt kaum etwas Bigotteres als den periodisch aufwallenden Volkszorn gegen Politiker. Das Volk, so scheint es manchmal, gönnt ausgerechnet seinen eigenen Vertretern das sprichwörtliche Schwarze unter den Fingernägeln nicht.

Die Diäten der Abgeordneten sind ihm zu hoch, ihre Reisen zu teuer, und Dienstwagen sind per se suspekt. Dass viele der Empörten selbst als Angestellte ihre Dienstwagen privat nutzen (weil sie, wie Politiker, dafür bezahlen), gerät dabei schnell in Vergessenheit. Ebenso wie die Tatsache, dass selbst Spitzenpolitiker im Vergleich zu mittelmäßigen Managern ein mickriges Gehalt beziehen (und Spitzenkräfte daher nur selten in der Politik zu finden sind).

Die Franzosen sind da anders als wir. Sie gehen zwar schneller auf die Barrikaden, wenn es um unliebsame Reformen geht. Da nehmen die Mitarbeiter kurzerhand den Vorstandschef gefangen, wenn man sie feuern will. Bauern oder Arbeiter blockieren alle Autobahnen des Landes, wenn ihnen die Politik nicht passt, die ihre Regierung macht. Sie drohen auch gerne mal mit Generalstreik. Dem privaten Treiben ihrer politischen Klasse aber sehen die Franzosen gelassener zu als die Deutschen.

Mit einem Taxi nach Paris? Wäre billiger gewesen!

Von dieser französischen Leichtigkeit hat sich nun offenbar Hamburgs Innensenator Christoph Ahlhaus anstecken lassen. Der 40 Jahre alte CDU-Mann mischte Dienstliches mit Privatem, flog mit seiner Frau nach Paris und ließ Chauffeur und Dienstwagen von Hamburg nachkommen, um darin nebst Gattin die Stadt zu erkunden. Der Streit darüber, ob er gegen Bundes- oder gegen hanseatische Richtlinien verstoßen hat, hält an. Dass er das deutsche Gerechtigkeitsempfinden verletzt hat, ist bereits sicher. Deswegen wird auch in Hamburg derzeit hitzig über diese neue Dienstwagenaffäre diskutiert, die scheinbar zwischen dem Rathaus an der Alster und dem Eiffelturm spielt, in Wahrheit aber doch genau im Zentrum der deutschen Spießigkeit angesiedelt werden muss.

Zugegeben: Es wäre sicher besser gewesen, wenn sich der Herr Innensenator ein Fahrzeug von der Botschaft hätte organisieren lassen, statt eines von Hamburg aus kommen zu lassen – nicht nur für die Ökobilanz des schwarz-grünen Hamburger Senates, sondern auch für das Image des Christoph Ahlhaus, dem nachgesagt wird, dass er noch allerlei politische Karrierepläne hegt. Politisch war seine Vermischung von Pärchenausflug, Nato-Tagung und französischer Leichtigkeit in jedem Fall ein klarer Fauxpas.

Und trotzdem: Die Aufregung um Ahlhaus ist wieder einmal ein Fall, der belegt, dass die Deutschen sich mehr für die moralische Integrität ihrer Politiker interessieren (und diese prinzipiell in Frage stellen) als für die Güte der Politik, die diese Politiker machen.

Wir diskutieren lieber über Bonusmeilen als über Steuern

Ob die uns alle betreffende Gesundheitsreform möglicherweise der größte Murks des Jahrzehnts ist, treibt uns weniger um als die Frage, ob die Gesundheitsministerin im Urlaub ihren Dienstwagen nutzen durfte. Reformen wie Hartz IV oder die Rente mit 67, die im Zweifel unser aller Leben betreffen, lassen sich in Deutschland vergleichsweise leicht und gegen bestenfalls symbolischen Widerstand durchsetzen. Wehe aber ein Politiker fliegt einmal mit Bonusmeilen (wie es viele Angestellte ebenfalls mit beruflich erworbenen Meilen tun). Dann gnade ihm Gott!

Das steht natürlich in keinem Verhältnis zu der Relevanz solcher Ereignisse. Ob ein Bundestagsabgeordneter seine Bonusmeilen verfallen lässt oder diese (falls möglich) an die Bundestagsverwaltung überträgt, ist für uns alle vollkommen belanglos verglichen mit der Frage, ob unsere Gesundheitsversorgung funktioniert, ob wir dereinst von unseren Renten leben können (oder im Alter verarmen) und was mit uns geschieht, falls wir arbeitslos werden. Wir aber machen es uns lieber gemütlich. Statt gegen eine Politik mobil zu machen, statt uns gelegentlich energisch für eine Sache zu engagieren, richtet sich der Großteil unserer Energie auf die Kontrolle von Spesenabrechnungen der politischen Klasse. Offene und harte Auseinandersetzungen um die Sache machen uns offenbar Angst. Beim öffentlichen Richten von Spesenrittern fühlen wir uns sicher. Denn da sind wir Teil einer Meute.

Statt für die eigene Sache kämpfen wir lieber gegen Spesenritter

Dabei wäre es logisch, wenn sich der Volkszorn an der Politik entzündete, sobald eine große Gruppe sie als falsch betrachtet, sobald sie ihr als ungerecht oder als unausgegoren erscheint. Hier aber schweigt der Souverän doch allzu oft – oder er murrt bestenfalls am Stammtisch. An der wirklichen, der wichtigen Politik beteiligt sich das Volk lieber nicht. Nur wenn es ums Beschimpfen der Politiker geht, ist es voll dabei. Statt wehrhaft in der eigenen Sache, sind die Deutschen offenbar lieber neidisch auf fremde Personen. So kann man dem Wähler am Ende jede Politik vorsetzen. Das Volk wird sie schlucken. Solange es gelegentlich ein Politikeropfer gibt, jemanden, der zurücktritt, weil er möglicherweise zehn Kilometer zuviel im Dienstwagen gefahren ist.

Wenn diese Logik stimmt, dann muss man sich für die Deutschen ein wenig mehr französische Gelassenheit im Umgang mit der eigenen politischen Klasse wünschen. Und zugleich etwas mehr Empörung in der Sache, wenn es darauf ankommt. Denn nur so können die Bürger, sollte es einmal notwendig sein, auch eine Bastille erstürmen.

Schließlich steht Paris nicht in erster Linie für Dienstwagenfahrten und nette Pärchenwochenenden. Diese Stadt steht vor allem für ein wehrhaftes Bürgertum. Die Franzosen mögen Politiker haben, die laxer mit ihren Dienstwagen und ihren Flugreisen umgehen als ihre deutschen Kollegen. Aber sie haben keine Rente mit 67. Sondern mit 60.

2 Kommentare

  1. Das ganze hat viel mit einem weit verbreiteten anti-(partei)politischen Ressentiment zu tun. Ein schönes Beispiel liefert – möglicherweise ungewollt – Kommentator Harald Behrens. Er schließt sich dem Plädoyer Meyer-Wellmanns zwar an („… da hat mir der Autor aus der Seele gesprochen…“), kann sich dann aber den Hinweis auf „Bordellbesuche als weihnachtliche Gratifikation“ nicht ersparen. Als habe da jemand Angst, sich als „Sypathisant der politischen Klasse“ unmöglich zu machen.

    Die fehlende Bereitschaft, sich zu einem politischen System und seinen Trägern (doch, dazu gehören AUCH die Parteien) zu bekennen, ist tragisch. Genau so tragisch wie die Tatsache, dass wenige Repräsentanten der Politik – die müssen nicht mal hochrangig sein – innerhalb von Minuten einreißen können, was viele ehrliche und im Zweifelsfall kleine Parteimitglieder vorher aufgebaut haben. Tragisch ist auch, dass diese wenigen Einreiß-Repräsentanten ihrerseits politikfeindliche Vorurteile bestärken und der anti-politisch eingestellten Mehrheit wiederum Recht geben. Und tragisch ist, dass die Regeln der Politik so sind, wie sie sind. Und dass jeder Oppositionspolitiker blöd wäre, wenn er den Elfmeter „Dienstwagen-Affäre“ der politischen Konkurrenz nicht in eigenem Sinne ausschlachten würde.

    Und trotzdem ist die rituelle Empörung über verschiedenfarbige Politiker und ihr Abkassieren scheinheilig, so lange drei Viertel der Empörten die Steuer bescheißt und schulterzuckend drüber hinwegsieht, dass ein zweitklassiger Kicker bei uns mehr Geld kassiert als die Kanzlerin und dass ein Formel-Eins-Fahrer pro Stunde mehr verdient als die viel bemühte Karstadt-Verkäuferin im ganzen Monat.

  2. Tja, da hat mir der Autor aus der Seele gesprochen – und das gleichzetig auf äußerst unterhaltsame Art getan. Meinetwegen können die Politiker das Dreifache verdienen (und bekämen meinetwegen auf Wunsch noch kostenlose Bordellbesuche als weihnachtliche Sondergratifikation), solange sie Ihre Diäten/Gehälter wirklich verdienen, das Gros der Politiker würde hingegen – nach wirklich gerechten Maßstäben gemessen – für den Schaden, den sie anrichten, weit über ihr Lebensende Schadensersatz an die Leidtragenden (die Mehrheit der Bevölkerung) zahlen müssen.

    Und da soll das gesunde deutsche Volksempfinden sich nicht über die Wähler im amerikanischen Bible Belt aufregen, die ihre Wahlentscheidungen von Seitensprüngen oder allgemein der sexuellen Ausrichtung der Kandidaten abhängig machen – weit entfernt davon sind die Deutschen in ihrer Mehrheit nicht.

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