Japanische Wäsche

Wenn man will, kann man alles zur Waffe machen. Halb volle Nudelsoßengläser (wie wütende Italienerinnen sie werfen), Brillen (mit denen Mafiosi wie im „Paten III“ ihre Widersacher meucheln) oder Zahnbürsten, Sandalen und getragene Wäsche. Letztere drei werden vor allem in Hamburg eingesetzt. In jüngerer Zeit ist es beinahe täglich gelungen, mit ihrer Hilfe die Stadt lahmzulegen, und falls das übertrieben sein sollte, so doch wenigstens gefühlte hundert Mal den Hauptbahnhof, und zwar für Stunden. Dabei wurden Zahnbürsten, Sandalen und Wäsche nicht geworfen, die Täter ließen sie einfach fallen. Freilich waren sie eingepackt, Wäsche und Sandalen, und zwar in Koffer. Die ließen die Täter stehen, mit Vorliebe in der Wandelhalle des Bahnhofs, und wandelten versunken in die eigene Gedankenlosigkeit kofferlos von dannen.

Mal handelte es sich womöglich um zerstreute Japaner, dann um fahrige Franzosen, vielleicht war auch mal ein schläfriger Schwede dabei, man weiß es nicht, die Folge aber war immer dieselbe: Die Sicherheitskräfte legten den Bahnhof lahm, und während Berufspendler (was soll Pendler eigentlich für ein Beruf sein?) und Fernbahnbucher Stresszigaretten rauchten und ihre Handys zückten, rückten Dynamiterkennungshunde, Bombenentschärfungsroboter und ihre in meterdicke Schutzanzüge gepressten Herrchen an. Kurz bevor sie die vermeintlich schwedisch-japanischen Kofferbomben einer kontrollierten Sprengung unterzogen, zeigte ihnen die Ultraschallanalyse erst das Bild einer reichlich abgenutzten Zahnbürste, dann eine einsame Sandale (die andere hatte der schusselige Japaner am Vortag auf der Akropolis vergessen) und schließlich drei zerknüllte Socken und eine ältere Boxershorts in Größe S.

„Mist“, dachte dann stets der Sprengmeister, denn für die Entschärfung von Dreckwäsche war er nicht ausgebildet. Also zog er ab, und die Züge fuhren wieder, und wenn Sie mich fragen, erzähle ich solche Geschichten gerne noch viele Male. Viel, viel lieber als Geschichten über echte Bomben und Massenmörder, die ihr Hirn an eine halluzinierte Jungfrauenschar verfüttert haben. Alles ist relativ. Insofern bevorzuge ich schmutzige Wäsche zerstreuter Japaner.

Erschienen am 17.10.2009 in WELT und WELT ONLINE. Eine Sammlung von Jens Meyer-Wellmanns Kolumnen über den alltäglichen Familien- und sonstigen Wahnsinn gibt es unter dem Titel „Schrei mich nicht an, ich bin ein Wunschkind“ auch als eBook bei Amazon, und zwar hier.

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