Vuvuwiebitte?

Manchmal überschlagen sich die Ereignisse im Leben. Gestern wusste ich noch nicht, was das sein soll, und heute bin ich schon anderthalbseitig ertaubt durch eine Vuvuzela. Ich habe meine Frau früher schon gelegentlich nicht verstanden, aber jetzt höre ich sie auch nicht mehr. Deswegen weiß ich auch nicht, was Sie auf meine Frage antwortete: „Warum im Namen aller kriegslüsternen Xhosa- und Zulu-Götter hast Du diese schwarzrotgelben Plastiktröten Zuhause eingeschleppt? Ich habe nur ein Trommelfell je Seite, und ich brauche sie beide noch ein paar Jahre.“

Meine Frau hat mit ihrem süßesten Unschuldslächeln irgendetwas geantwortet, aber ich bin noch nicht lange genug hörbehindert, um Lippen zu lesen. Sie hat mir dann auf eine aus dem Kinderzimmer gemopste Zaubertafel geschrieben: „Ich wollte Euch eine Freude machen!“ Wie rührend. Ich hätte beinahe geweint, allerdings hatte der Schallschock der WM-Tröten meine Tränenkanäle verödet.

Lassen Sie sich mein Schicksal bitte eine Warnung sein: Händigen Sie Ihren Söhnen niemals Spiel- oder sonstwas für Zeug aus, das sie nicht vorher auf seine Gefährlichkeit getestet haben – schon gar nicht in WM-Zeiten, in denen vor allem männliche Wesen grenzblöde mit allem lärmen, das in Primatenarmweite verfügbar ist. Meine Söhne haben mit den Killertröten sofort Dezibeliade gespielt. Auch meine Schuld, natürlich, da hat Al Bundy Recht: Wer einem Schimpansen eine geladene Knarre reicht, soll sich nicht beschweren, wenn auf ihn geschossen wird. Nein, nein, ich vergleiche meine Jungs nicht mit Affen (denn was würde das auch für mich bedeuten?). Aber Vuvuzelas sind Waffen. Das steht fest.

Diese WM hat keine Schatten vorausgeworfen, sie warf Schallwellen. Dass die südafrikanische Plastikposaune beim Hamburger Fanfest verboten ist, kann ich seit gestern verstehen. Ich fürchte die Menschen werden sich nach den deutschen WM-Spielen trotzdem in den Wartezimmern der Ohrenärzte tottrampeln. Die Autos werden bald nicht mehr mit Fahnen geschmückt in den städtisches Staus stehen, sondern aufgerüstet mit je drei Vuvus auf Fahrer und Beifahrerseite.

Mein einziger Trost: Ich selbst werde unter diesen Schallschlachten nicht mehr leiden. Ich werde vier Wochen lang mit meiner Frau vor dem Fernseher sitzen, Fußball mit Untertiteln sehen und ihr gelegentlich auf eine der jetzt immer griffbereit liegenden Zaubertafeln schreiben, wie wunderbar still es ist, wenn man keine Trommelfelle mehr besitzt.

Erschienen am 12. Juni 2010 in WELT und WELT ONLINE.Eine Sammlung von Jens Meyer-Wellmanns Kolumnen über den alltäglichen Familien- und sonstigen Wahnsinn gibt es unter dem Titel „Schrei mich nicht an, ich bin ein Wunschkind“ auch als eBook bei Amazon, und zwar hier.

2 Kommentare

  1. Nette Geschichte. Und beruhigend, dass in der Familienvorstand offenbar nicht über Verbote der Dinger diskutiert. Im Rest der Republik erleben wir doch eine Debatte, die einen erschüttern müsste: Wir lassen uns – ja nach Sichtweise – in ein ein fremdes Land einladen bzw. fallen dort ein, um Fußball zu kucken, und wollen den Gastgebern vorschreiben, wie sie zu feiern haben. Wir bestimmen ja auch, welches Bier es gibt, wenn wir mal wieder zu einer Party eingeladen werden sollten.

    Wer das Glück hatte, mehr als einmal im südlichen Afrika Fußball zu sehen, dem sind einige Sachen aufgefallen, die dort – im Vergleich zum zivilierten Abendland – nicht üblich sind: Es gibt keine Schwalben (obwohl die „Moloka Swallows“ so heißen – die werden übrigens akustisch ganz anders unterstützt, aber das würde jetzt zu weit führen), es gibt keine theatralischen Wälzungen auf dem Rasen, es gibt keine Spielverzögerung (oder man erkennt sie nicht als solche), es gibt keine Diskussionen mit dem Schiedsrichter und ES GIBT KEINE SCHLACHTGESÄNGE – und schon gar keine, wo sich irgendwas auf „Husch“ und „Busch“ reimt oder bei denen das Volk die Arme reckt und „SIECK!!!“ brüllt. Voll unterentwickelt. Ja, wir müssen denen unbedingt die GTZ schicken, Missionare und Verwaltungsbeante, die die Tröten verbieten und den Unterentwickelten beibringen, wie man ein Fußballspiel zelebriert. Und abends gehen wir mit dem Schäferhund (dt.) noch mal um den Block und sehen im Kinderzimmer noch mal nach dem Rechten.

    Unbedingt lesenswert auch der Kommentar von Jens Hungermann in der WELT:
    http://www.welt.de/die-welt/debatte/article8033908/Der-Fluch-der-Vuvuzelas.html

  2. Wie sagte doch meine 8jährige Tochter zu der afrikanischen Tröte:

    „Die sind ja ganz schön laut diese „Uweselas“.“

    Wenn das „Uns Uwe“ hören würde.

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