Ole von Beust – Abgang eines Unpolitischen

Persönliche Rekorde seien ihm egal, hat Ole von Beust wiederholt wissen lassen. Deswegen spiele es auch für seine Entscheidung, wann er sich vom Amt des Hamburger Bürgermeisters verabschiede, keine Rolle, dass er im Dezember 2011 zum am längsten in der Hansestadt regierenden Senatschef werden könnte. Diesen bislang vom SPD-Nachkriegsbürgermeister Max Brauer gehaltenen Rekord wird Beust, der gestern seinen Rückzug zum 25. August erklärte, nun nicht brechen können.

Und tschüs, Ole von Beust
Und tschüs, Ole von Beust

Dennoch hat der heute 55-jährige Freiherr in seiner fast neunjährigen Amtszeit gleich mehrere politische Superlative gesetzt. Er ist der erste CDU-Ministerpräsident, der ein Bündnis mit den Grünen eingegangen ist. Er ist in den knapp neun Jahren seiner Regierung den wohl weitestmöglichen politischen Weg gegangen: von einer Koalition mit dem Rechtspopulisten Ronald Schill und der FDP, mit der er 2001 ins Amt kam, bis zur ursprünglich von weit links kommenden Grün-Alternativen Liste.

Er war der erste offen homosexuelle Bürgermeister der Stadt. Und er ist der einzige CDU-Politiker, der es im über mehr als vier Jahrzehnte sozialdemokratisch regierten Hamburg jemals zu einer absoluten Mehrheit brachte, mit der er in der Zeit von 2004 bis 2008 regierte.

Wähler des Rechtspopulisten Schill wieder eingesammelt

Zu seinen größten Leistungen zählt es wohl, dass er es geschafft hat, die fast 20 Prozent der Hamburger Wähler wieder für eine Volkspartei einzusammeln, die im Jahr 2001 für den Rechtspopulisten Schill gestimmt hatten. Es hat von Beust seinerzeit viel Kritik eingetragen, dass er mit Schills Hilfe 2001 ins Amt kam. Aber in Wahrheit war es ja nicht von Beust, sondern die SPD gewesen (damals übrigens unter dem Vorsitz eines gewissen Olaf Scholz, der jetzt bereits Neuwahlen fordert), die einen Haudrauf wie Schill erst möglich gemacht hatte, weil sie viel zu lange eine offene Drogenszene in der Stadt geduldet und trotz einer Rekordkriminalität weiter bei der Polizei gespart hatte. Es klingt paradox, aber dass von Beust so lange regieren konnte, liegt auch an seinem nie sehr stark ausgeprägten Ehrgeiz.

Als von Beust im Sommer 2003 Schills Innenstaatsrat Walter Wellinghausen wegen dessen unerlaubter Nebentätigkeiten entließ und Schill daraufhin drohte, die Homosexualität von Beusts öffentlich zu machen, feuerte von Beust auch Schill. Wenige Monate später ließ er die Koalition mit dem wilden Haufen der Restschillianer platzen und ging mit vollem Risiko in eine Wahl. Weder die Grünen noch die SPD hätten seinerzeit mit dem einstigen Schill-Partner koaliert, also musste die Beust-CDU angesichts einer FDP, der ihre Wähler das Bündnis mit dem Rechtspopulisten nicht verziehen, volles Risiko gehen und eine absolute Mehrheit anstreben. Das gelang ihm mittels eines von ihm selbst und dem bisherigen Innensenator und jetzigen Beust-Erben Christoph Ahlhaus perfekt inszenierten Wahlkampfs – vor allem, weil er sich durch den Schill-Rauswurf das Image des energisch durchgreifenden Senatschefs erstritten hatte. Dass von Beust 2004 das immense Risiko der vorgezogenen Neuwahl einging, hat viel damit zu tun, dass er nicht an der Politik klebt – und dass es für ihn wohl kein persönliches Drama gewesen wäre, das Amt wieder zu verlieren.

Permanenter Wechsel von Partnern und Positionen

Von Beust ist nicht besonders tief verhaftet mit den Dingen, er ist innerlich nicht angewiesen auf die Macht oder auf besonderen Wohlstand. Er ist, im besten Sinne, unabhängig und deswegen auch ausgesprochen flexibel. Nur dadurch ist es ihm möglich gewesen, erst mit einem Rechtspopulisten zu regieren und einige Jahre später mit den Grünen. Die Kehrseite dieser Unabhängigkeit und geringen Verhaftung ist eine Art politischer Untreue. Kaum ein prominenter Politiker hat so rasant nicht nur seine politischen Partner, sondern auch seine politischen Positionen gewechselt wie Ole von Beust.

So ruht der Erfolg des Modells von Beust auf zwei Säulen: Auf einem durch und durch unprätentiösen und sympathischen persönlichen Auftreten, auf einer Erhebung des gepflegten Smalltalks zu einer Kunstform, wie nur er sie in dieser Perfektion beherrscht.

Von Beust - künftig wohl häufiger in Freizeitkluft
Von Beust – künftig wohl häufiger in Freizeitkluft

Die zweite Säule, auf der sein Erfolg ruhte, war eine weitgehende Entpolitisierung von Politik. Fragte man in den vergangenen Jahren Abgeordnete, Politologen oder auch die gemeinen Wähler, so konnte kaum jemand eine Antwort auf die Frage geben, für welche konkreten politischen Inhalte dieser Spross einer CDU-Familie eigentlich steht. Zu flexibel hat er sich seit seiner Regierungsübernahme im Herbst 2001 gezeigt.

Beispiel Ökologie: Kaum an der Macht, schaffte er die Umweltbehörde ab und hob das Tempolimit auf Hamburger Straßen an. Anfang 2007 ließ er sich dann plötzlich von der Bundes-CDU zu deren Umweltbeauftragten und oberstem Klimaschützer küren. Der Al-Gore-Film zur Klimakatastrophe habe ihn bekehrt, sagte von Beust seinerzeit. Beispiel Energiepolitik: 2007 ließ er das Kohlekraftwerk Moorburg genehmigen und stellte es als alternativlos dar. 2008 versuchte der neue schwarz-grüne Senat, den Bau mit juristischen Winkelzügen zu verhindern.Beispiel Wirtschaft: Kaum ein Bürgermeister privatisierte so schnell wie von Beust, dessen Senat binnen weniger Jahre die Kliniken des Landesbetriebs Krankenhäuser verkaufte (an Asklepios), die Reste der Hamburgischen Electricitäts-Werke (an Vattenfall), ja sogar die Gebäude, in denen die Hamburger Behörden selbst arbeiten (an französische Fonds). 2008 konstatierte er plötzlich, der Kapitalismus sei gescheitert, und seine Senatoren sangen Loblieder auf den Staat.Beispiel Bildungspolitik: Im Wahlkampf 2008 gerierte sich seine CDU als Retterin der Gymnasien gegen linke und grüne Pläne einer Schule für alle und gegen eine bildungspolitisch unentschiedene SPD. Wenig später versuchte sein Senat in beispielloser Eile eine sechsjährige Primarschule einzuführen, ein System, das niemand gewollt hat, weder die Grünen (die eine neunjährige Gemeinschaftsschule wollten) oder die Linke, nicht die SPD und schon gar nicht die CDU. Er habe eben dazugelernt, entgegnete er Kritikern. Diesmal fand sein Erweckungserlebnis, anders als beim Klima, nicht im Kino statt. Diesmal bemerkte er plötzlich, dass eine sechsjährige Grundschule weltweiter Standard ist.

All das zeigt: Wenn man von bestimmten Grundwerten wie der Abneigung gegen jede Form der Diskriminierung absieht, sind tief sitzende und also langlebige Grundüberzeugungen bei von Beust kaum aufzuspüren. Im Gegenteil: Ole von Beust ist womöglich der erste Politiker, der sich fast vollständig von den Fesseln politischer Inhalte befreit hat. Gerade das hat ihn so erfolgreich gemacht, und erst das hat ein Bündnis mit den Grünen ermöglicht. Man nahm es dem netten Ole nicht übel, dass er für nicht viel mehr stand als für sich selbst.

Von Beust hat sich von politischen Inhalten befreit

Möglich ist eine solche Entkernung von Politik dabei letztlich nur durch das systematische Verwischen von Gegensätzen. Einer von vielen Belegen dafür ist ein Interview, das er im vergangenen Jahr gab. Dafür ließ er sich mit einem Karl-Marx-Porträt fotografieren, erklärte den Kapitalismus für gescheitert, den Sozialismus aber ebenso. Als seine Lieblingslektüre nannte er den Philosophen Karl Popper – und Donald Duck. Er legte ein gutes Wort für die früheren Schill-Parteigänger ein und nannte die Abgeordneten der Linkspartei „menschlich angenehm und intelligent“. Der Mann hatte stets für jeden etwas im Portfolio.

Von Beust mit GAL-Fraktionschef Jens Kerstan und Stadtentwicklungssenatorin Anja Hajduk
Von Beust mit GAL-Fraktionschef Jens Kerstan und Stadtentwicklungssenatorin Anja Hajduk

Geholfen hat ihm aber stets auch etwas anderes: Von Beust, der zu Hause am Computer gern die weltweite Wetterentwicklung per Internet verfolgt, erspürte Veränderungen des politischen Großklimas oft deutlich früher als viele andere – und konnte deswegen ebenso rechtzeitig wie flexibel darauf reagieren.

Im Bündnis mit den Grünen rückte der Christdemokrat, der seine Leichtigkeit stets auch aus dem Glauben bezog (Motto: „Ein Christenmensch muss fröhlich sein!“), immer weiter nach links. In kurzen Abständen kritisierte er die Eliten, geißelte die betuchteren Hamburger als Angeber und die Gegner der schwarz-grünen Schulreform als ausländerfeindlich – denn sie würden verhindern wollen, dass ihre Kinder zwei Jahre länger gemeinsam mit Migrantenkindern unterrichtet würden. Der riesige Zulauf der Reformgegner zeigte schließlich, dass Ole von Beust sein Gespür verlassen hatte. Die Leichtigkeit, mit der er jahrelang so erfolgreich regiert hatte, war nicht mehr gefragt. Den Bürgern war es jetzt ernst.

Bei all dem konnte man von Beust nicht unterstellen, er habe die Wähler hinters Licht geführt. Er hat sich, was die großen Linien angeht, stets offen zu seinen Absichten geäußert. 2001 machte er neun Monate vor der Wahl klar, dass er notfalls mit Schill koalieren würde, um die SPD nach 44 Jahren Regierungszeit abzulösen. Und im Wahlkampf 2008 ließ er offen durchblicken, dass die Zeit reif sei für Schwarz-Grün.

Schwarz-Grün als Lebenswerk

In Wahrheit hatte von Beust seit 15 Jahren auf dieses Bündnis hingearbeitet, in dem viele die Wiedervereinigung des über eine Generation lang zersplitterten Bürgertums sehen. Schon in den 90er-Jahren beschäftigte er sich mit der „Politik nach dem Ende der Ideologien“ – und liebäugelte öffentlich mit Schwarz-Grün. Spätestens seit dem Gewinn der absoluten Mehrheit 2004 bereitete er seine Partei auf ein künftiges Bündnis mit den Grünen vor. Er half, schwarz-grüne Koalitionen in den Bezirken Altona und Harburg zu installieren – als Versuchslabore für die Landesebene. Und er sorgte dafür, dass Senatoren und Abgeordnete die GAL kaum noch attackierten und sie stets als bessere Opposition im Vergleich mit den angeblich verbohrten Sozialdemokraten darstellten. Mit der Wahl 2008 war von Beust nach einer langen Reise ans Ziel gekommen. Schwarz-Grün ist gewissermaßen sein Lebenswerk.

Dass er es jetzt aus privaten Erwägungen seinem ungewissen Schicksal überlässt, erscheint zunächst überraschend und ist doch konsequent. Große politische Treue ist die Sache Ole von Beusts niemals gewesen.

Erschienen am 19. Juli 2010 in WELT und WELT ONLINE. Eine Sammlung von Jens Meyer-Wellmanns Kolumnen über den alltäglichen Familien- und sonstigen Wahnsinn gibt es unter dem Titel „Schrei mich nicht an, ich bin ein Wunschkind“ auch als eBook bei Amazon, und zwar hier.

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