Aufhören!

Chef weg, zentrales Projekt kaputt, Stimmung mies, Aussichten noch mieser: Die schwarz-grüne Regierung ist am Ende. Sie muss aufhören. Es muss Neuwahlen in Hamburg geben.

GAL-Fraktionschef Jens Kerstan hat gestern gesagt, man würde die parlamentarische, repräsentative Demokratie ad absurdum führen, wenn man wegen einer Sachentscheidung der Bürger (wie über die Primarschule) immer gleich das Parlament auflösen müsste. Das mag sein, es ist aber bestenfalls ein Viertel der Wahrheit. Denn wir haben nicht nur einen Volksentscheid erlebt, bei dem sich gezeigt hat, dass diese Bürgerschaft, in der alle Abgeordneten für die Primarschule gestimmt haben, die Bürger eben ganz und gar nicht repräsentiert. Es ist mit Ole von Beust zugleich der Chefarchitekt des schwarz-grünen Bündnisses mitten in schwerster See von der Brücke getürmt – anders, als er es in den vielen „Kapitän bleibt an Bord“-Interviews der letzten Wochen und Monate immer wieder versprochen hatte. Nicht gerade eine vertrauensbildende Maßnahme – nicht innerhalb der Koalition und auch nicht zwischen Regierung und Bürgern.

Die Legitimität ist doppelt futsch

Mit CDU-Landeschef Michael Freytag hatte schon im März der zweite Baumeister des Bündnisses hingeschmissen. Übrig bleibt nur die grüne Schulsenatorin Christa Goetsch, die Mutter Courage der links- und rechtsbürgerlichen Wiedervereinigungskoalition. Ausgerechnet sie will im Amt bleiben. Dabei ist sie persönlich die größte Verliererin des Volksentscheids. Klarer kann eine Politikerin kaum gesagt bekommen, dass die Bürger ihre Politik nicht wollen. Was für eine Schulpolitik soll herauskommen, wenn eine zutiefst von der Primarschule überzeugte Senatorin nun nichts mehr tun kann, als ihr Herzensprojekt rückabzuwickeln? Braucht Hamburg, nachdem der Erste Bürgermeister als Jungpensionär von dannen ist, für die kommenden zwei Jahre eine politisch handlungsunfähige Zweite Bürgermeisterin? Wohl kaum.

Hinzu kommt, dass die CDU mit einem Bürgermeister Christoph Ahlhaus (ein Mann, den die Hamburger niemals gewählt haben) darauf angewiesen wäre, künftig stärker konservatives Profil zu zeigen. Denn sie muss die Anhänger wieder einfangen, die ihr nicht nur wegen der Schulpolitik, sondern auch wegen der eklatanten Probleme bei der inneren Sicherheit weglaufen. Auf der anderen Seite sind die Grünen gezwungen, stärker auf liberale Positionen zu pochen – zumal ihre Basis den Heidelberger Juristen Ahlhaus für einen beinharten Polizeipolitiker hält. Damit wäre die in den vergangenen Jahren (zu Recht) so viel gepriesene Harmonie in diesem ungewöhnlichen Bündnis wohl auch schnell dahin.

Schwarz-Grün hat nur noch zwei Projekte: Sparen und Abwickeln

Was also bliebe Schwarz-Grün? Die Stadtbahn? Man darf vermuten, dass die Bürger auch diese kassieren würden, käme es zum Volksentscheid. Der verschrobene Slogan „Wachsen mit Weitsicht“? Der ist, anders als das Konzept der „Wachsenden Stadt“, niemals mit Leben gefüllt worden. Oder womöglich Titelchen wie „Umwelthauptstadt“?

Nein, die Wahrheit ist: Diese Regierung hat keine gemeinsamen Projekte, keine Vision mehr, es gibt nichts mehr, das Schwarz-Grün zusammenhält – und das in einer Zeit, in der das härteste Sparprogramm beschlossen werden muss, das Hamburg je erlebt hat. In so schwierigen Zeiten braucht die Stadt eine starke, voll legitimierte Regierung und einen von den Bürgern gewählten Bürgermeister. Und sie braucht ein Parlament, das die Interessen seiner Bürger repräsentiert. Das hat die jetzige Bürgerschaft nicht getan. Deswegen sollten wir eine neue wählen – und damit auch eine neue Regierung für diese Stadt.

Erschienen am 20. Juli 2010 in WELT und WELT ONLINE im Rahmen eines Pro & Contra zum Thema: „Braucht Hamburg nach dem Rücktritt Bürgermeister Ole von Beust und dem Scheitern der Schulreform jetzt Neuwahlen?“ Gegen Neuwahlen plädiert der WELT-Kollege Per Hinrichs – und zwar hier.
Eine Sammlung von Jens Meyer-Wellmanns Kolumnen über den alltäglichen Familien- und sonstigen Wahnsinn gibt es unter dem Titel „Schrei mich nicht an, ich bin ein Wunschkind“ auch als eBook bei Amazon, und zwar hier.

4 Kommentare

  1. @ A. Luckow: „Zweitens wächst politisches Personal und wachsen politische Inhalte mit den Herausforderungen, denen sie gegenüber stehen.“ – ich lach mich tot. Aus welchem Handbuch kommt das denn? Haben wir seit 2001 nicht jede Menge „politisches Personal“ aus dem Senat rauswachsen sehen? Der einzige, auf den Ihre Beschreibung passt, ist von Beust, dem 2001 nicht mal die eigene Partei das Format zutraute, dass er zwischenzeitlich hatte. Der Rest ist Schweigen.

    Es gibt insbesondere für die CDU zwei realistische Optionen. Erstens: Das ganze konsolidiert sich irgendwie, ruhiges Fahrwasser. Herr Ahlhaus wird eine Sympatiefigur, wie Beust sie nie war (s. o.) – und die GAL kriegt bei der nächsten Wahl noch sechs Prozent. Dann trägt das schlechte GAL-Ergebnis wie schon 2001 (ja, ich weiß, das will keiner hören: Die SPD hat unter Scholz 2001 sogar leicht zugelegt – die GAL hat aber um so deutlicher verloren. AUCH DESHALB reichte es nicht mehr für Rot-Grün).

    Zweitens: Der Senator aus Heidelberg führt die CDU wieder in den Bereich der 27 Prozent, dann wird der christdemokratische Betrieb bei allem Gottvertrauen nervös, versucht Herrn Gedaschko wieder ins Boot zu holen, oder Frau Dinges-Dierig und dann wird es richtig finster. – Haben Sie bemerkt, dass die politische Konkurrenz auf Mahnwachen oder Hungerstreiks zur Durchsetzung von Neuwahlen bisher verzichtet? Warum?? – Möglicherweise, weil die Hamburger CDU an der Börse derzeit noch über Wert gehandelt wird. Und weil wir in einem Jahr – oh Graus – längst im Wahlkampf stecken. Und das ist ja immer eine Chance für ehrgeiziges und wachstumswilliges politisches Personal…

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  3. Lieber Herr Meyer-Wellmann,
    Ihre Vorliebe für’s Wählen ehrt Sie ja im Grundsatz, aber ich glaube Sie liegen trotzdem falsch – aus gleich drei Gründen:
    Erstens hat in Hamburg schon so mancher Bürgermeister hingeschmissen( hier nur die jüngsten Fälle): Klose im Frühjahr 1981, weil ihm die damals noch besser beratene SPD nicht in seiner Brokdorf-Kernkraftwerks-Phobie folgen wollte. Nachfolger v. Dohnanyi im Sommer 1988 mit ähnlicher Begründung wie von Beust („Lebensplanung“). Nachfolger Voscherau mit großartig theatralischer Geste (gelernt ist gelernt) am Wahlabend ’97 aus Wut über zu wenig Zustimmung zur angepeilten Fortsetzung der Koalition mit der Statt-Partei und Abscheu gegenüber den GALliern. Und hat Hamburg jemals in diesen Situationen neu gewählt ? Nein, es bekam nach dem letztgenannten den faszinierenden Herrn Runde – und wählte ihn vier Jahre später einfach ab.

    Zweitens wächst politisches Personal und wachsen politische Inhalte mit den Herausforderungen, denen sie gegenüber stehen. Im Herbst 2001 etwa ist der mit gerade 26 CDU-Prozenten ausgestattete Ole von Beust ohne den großen Sympathiebonus späterer Jahre das Wagnis der Koalition mit einer unsteten FDP und den noch schwierigeren Schilianern eingegangen – und hat diese Allianz (trotz ihres unwürdigen Endes) nicht den Grundstein zum Wiederaufstieg der Stadt aus rot-grüner Agonie gelegt ? Eindeutig ja ! Warum also soll das nicht auch einem Christoph Alhhaus mit den GALiern von heute gelingen ? Nur weil ihm die Presse das Etikett „konservativ“ anhängt ? Gerade Sie, Herr Meyer-Wellmann, der Sie den Mann sicher kennen, sollten es besser wissen.
    Und drittens: Verbindliche Volksentscheide dürfen nicht, wenn sie im Ergebnis zu einer Niederlage der Regierung führen, quasi automatisch Neuwahlen generieren. Wenn dem so wäre, würde die parlamentarische Demokratie unterhöhlt und wir steuerten mit Vollgas Richtung Weimar – wollen Sie das ?
    Nein, geben Sie Ahlhaus, Schira, Goetsch und Co doch eine Chance. Der neue 1. Bürgermeister hätte sie verdient und Frau Goetsch braucht nur ins Abendblatt von morgen zu schauen, um die Alternative zu ihrer zu Recht gescheiterten Primarschule zu finden: FRÜHERES gemeinsames Lernen (ohne Schädigung der Gymnasien), wie es Prof. Lenzen (und mit ihm die halbe Fachwelt) vorschlägt, mit prägend besseren Deutschkenntnissen für die Kinder aus bildungsfernen Schichten und Migranten-Familien. DAS wäre ein schwarz-grünes Projekt, dem sich auch das Bürgertum dieser Stadt bei geschickter Lancierung nicht wiedersetzen würde – inklusive der Chance auf einen Wahlerfolg in 2012.

  4. Lieber Herr Meyer-Wellmann,

    Sie haben ja im Grunde völlig recht. Aber…

    Momentan ist die Gemengelage der Unzufriedenheiten mit der Politik auf Bundesebene und in Hamburg so konfus, daß sich die Frage stellt wie denn diese neue legitimierte Regierung aussehen soll und ob Sie überhaupt wirklich für die schwierigen Aufgaben legitimiert wäre.

    Schwarze Minderheitsregierung?
    Rot Grün mit Frau Goesch als Schulsenatorin – oder wird der Posten von der Linken übernommen?

    Haushaltssanierung mit Herr Kerstan?
    FDP mal(gegen den Bundestrend) im Parlament?

    Große Koalition SPD CDU (ja es ist schon soweit. Beim Begriff Große Koalition muß man die Parteinamen nennen)

    Und last but not least gibt es da ja noch den Hamburger Weg. Nach Schill und Stattpartei munkelt man von einer wertkonservativen „Bürgerpartei“, die sich aus CDU Rebellen und dem Umfeld der Schulreformgegner bilden könnte.

    Bei Betrachtung der Alternativen kommt man zu der ernüchternden Erkenntnis:

    Die Koalition bleibt inkl. Goetsch bis zum Ende der Legislaturperiode alternativlos.

    Bis dahin ist viel Wasser die Elbe runtergelaufen. Dann können wir alle wieder CDU wählen und hoffen (mit zwei tränenden Augen auf die Große Koalition)

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