Wer Christa Goetsch einmal in Aktion erlebt hat, der weiß, dass diese Frau keine halben Sachen macht. Nicht nur als Hamburger Schulsenatorin, auch als Pädagogin brennt sie für das, wovon sie überzeugt ist. Sie weiß, dass es eine Schicksalsfrage für unsere Gesellschaft ist, dass die Schulen nicht immer mehr Bildungsverlierer produzieren. Kurzum: Christa Goetsch ist eine Überzeugungstäterin. Umso tragischer dürfte es für sie sein, dass die Hamburger ihrer Reform jetzt per Volksentscheid einen Riegel vorgeschoben haben.
Das Problematische an Überzeugungstätern aber ist, dass sie sich schwertun, auch die andere Seite zu sehen. So hat Goetsch offenbar bis zum Schluss nicht geglaubt, dass die Reformgegner sich durchsetzen könnten. Würde es sich nur um eine private Fehleinschätzung handeln, wäre das ihr persönliches Problem. Offenbar aber hat sie, wie es aus ihrer Behörde heißt, auch als Schulsenatorin keinen Plan B für den Fall ausarbeiten lassen, dass die Primarschule nicht eingeführt wird. Das wäre, wenn es sich bewahrheiten sollte, schlicht verantwortungslos.
Denn vielen Schulen droht nun ein Chaos, da es keinen Plan für die Rückabwicklung der begonnenen Reform gibt. Völlig unklar ist offenbar, ob und wie die bereits zu Primarschulen zusammengelegten Grundschulen wieder entflochten werden. Statt den Status quo ante wieder herzustellen, sollen Fusionen belassen werden – egal, ob das längere Schulwege bedeutet oder zu Raumproblemen führen kann.
Vielleicht war ihnen das nicht klar, aber auch die Grünen können einen Volksentscheid verlieren. Und von einer Behörde, die für die Organisation der gesamten Schullandschaft verantwortlich ist, muss man verlangen, dass sie sich auf einen solchen Fall vorbereitet. Seit die Gegner im November fast 185.000 Unterschriften präsentierten, musste man, Überzeugung hin oder her, ein Scheitern der Reform in Betracht ziehen.
So bitter diese Tage für sie persönlich sein mögen: Verantwortlich für einen reibungslosen Schuljahresbeginn, auch ohne Primarschule, ist Senatorin Christa Goetsch.
Erschienen am 21. Juli 2010 in WELT und WELT ONLINE. Der Artikel der WELT-Kollegin Insa Gall zum drohenden Schulchaos findet sich hier. Eine Sammlung von Jens Meyer-Wellmanns Kolumnen über den alltäglichen Familien- und sonstigen Wahnsinn gibt es unter dem Titel „Schrei mich nicht an, ich bin ein Wunschkind“ auch als eBook bei Amazon, und zwar hier.
Vielleicht erscheint es dem Einen oder der Anderen jetzt befremdlich, wenn wwl auf die „Rückabwicklung“ der Starterschulen drängt.
Aber das Beharren ist richtig. Wenn man dies nicht täte, dann würde die Überzeugungstäterin Goetsch versuchen, entgegen Schulgesetz und Volksentscheid Ihren persönlichen Schulversuch zu starten und damit die Primarschule durch die kalte Küche einführen.
Frau Goetsch hat durch verbohrtes Handeln ihre Chance auf den Schulversuch im Rahmen der Verhandlungen mit wwl im Frühjahr verspielt.
Gut unterrichtete Quellen stützen übrigens die Vermutung, es gäbe keinerlei Plan B. Wie kann eine Politikerin, der das Wohl von Kindern über alles geht so verantwortungslos handeln?