CDU in der Bürgerfalle

Der Hamburger Bürger als solcher hat ein Lob verdient. Während andernorts sorgenvoll über Politikverdrossenheit diskutiert wird, bereiten die Hanseaten ihren Regenten nicht durch Desinteresse, sondern eher durch überbordendes politisches Interesse Probleme. Das bürgerliche Engagement manifestiert sich nicht nur in immer neuen Volks- und Bürgerbegehren (die in ihrer Vielzahl freilich auch die Entwicklung der Stadt hemmen können). Es ist zuletzt auch häufiger in die Gründung von Parteien gemündet. Die Statt-Partei schaffte es in eine Koalition mit der SPD. Die Schill-Partei kam auf fast 20 Prozent. Und nun schickt sich mit den Primarschulgegnern um Rechtsanwalt Walter Scheuerl eine weitere Bürgerbewegung an, zu einer politischen Kraft zu werden.

Die drei genannten Gruppierungen mögen unterschiedlich strukturiert (gewesen) sein: Bei Schill haben sich vor allem Kleinbürger über das Versagen der SPD bei der inneren Sicherheit entrüstet; mit Walter Scheuerl empörten sich mehr Angehörige des gehobenen (Bildungs-)Bürgertums über die geplante Schwächung der Gymnasien. Und doch weisen Schill-, Statt- und Scheuerl-Gruppe eine grundlegende Gemeinsamkeit auf: Sie alle bedienen eine bürgerliche Klientel. Sie alle sind (oder waren) Fleisch vom Fleische der CDU.

Das Problem für die Christdemokraten: Ihr designierter Bürgermeister Christoph Ahlhaus kann derzeit kaum auf die neue Bedrohung reagieren. In der Koalition mit den Grünen muss er den Liberalen geben – obwohl sogar die liberale „Zeit“ der CDU kürzlich vorwarf, beim Thema innere Sicherheit zu lasch zu agieren. Zwar ist der CDU ein Zurück zu einem strammen Konservatismus in einer weltoffenen Stadt kaum anzuraten. Andererseits wird es Zeit, dass man sich in der Partei daran erinnert, wie die eigenen Wähler denken. Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass sich die größere der Koalitionsparteien in den wichtigsten landespolitischen Themen Bildung und Sicherheit in grüner Gefangenschaft befindet.

Als Ein-Themen-Bewegung dürften Scheuerl und seine Mitstreiter kaum eine langfristige Bedrohung für die CDU sein. Sollten sie sich aber auch anderer Themen wie der steigenden Gewaltkriminalität annehmen, könnten sie schnell zu einer konservativen Ergänzung der nach links gerückten CDU werden. Um das zu verhindern, wird Christoph Ahlhaus stärker an die Konservativen denken müssen. Stärker als Ole von Beust es in den vergangenen Jahren getan hat.

Erschienen am 19. August 2010 in WELT und WELT ONLINE. Eine Sammlung von Jens Meyer-Wellmanns Kolumnen über den alltäglichen Familien- und sonstigen Wahnsinn gibt es unter dem Titel „Schrei mich nicht an, ich bin ein Wunschkind“ auch als eBook bei Amazon, und zwar hier.
 

Ein Kommentar

  1. Stimmt. Und in welcher Falle steckt die andere Regierungspartei? Bei der ist die Fallenproblematik – aufgrund der geringeren Wahlquoten – viel relevanter als bei der CDU, die längst weiß, dass ihr ohne von Beust wieder der Sturz auf 30 droht.

    Das Thema Atomenergie hat die GAL in Hamburg der Linkspartei überlassen. Das Thema Gängeviertel teilen sich SPD und Linke, während GAL-Müller was von „borniertem Kultursozialismus“ schwafelt. Schöne Vorlage, vielen Dank. Fällt es jemandem auf, dass sich die Linkspartei in Hamburg nicht (mehr) auf Kosten der SPD konsolidiert?

    Was macht die GAL eigentlich? Was sind die grünen Themen? – Die GAL beschränkt sich weitgehend auf mehr oder weniger nette, erfolgreiche Punkte wie das Fahrradleihsystem oder auf mehr oder weniger nett gemeinte und erfolglose Punkte wie die Stadtwerke (von denen Herr von Beust noch nicht wusste, ob er sie als Kunde beehren soll) oder die Primarschulreform (die ollen Kamellen Moorburg und Elbvertiefung ersparen wir uns an dieser Stelle). Vor diesem Hintergrund ist die Hoffnung der grünen Funktionärselite ziemlich kühn, die Stammwähler der GAL würden auch weiter grün wählen. In dieser trügerischen Sicherheit glaubte sich die Hamburger SPD in den 90ern auch viel zu lange. Bis es 2000 / 2001 krachte. Und richtig gemein wurde.

    Keiner will es hören – aber im Jahr 2001 hieß das Wahlergebnis der Bürgerschaftswahl SPD + 0,3 %, GAL – 5,4%. (Ja, ich weiß, und dann ist irgendeinem Spin-Doctor die Geschicht von den grünen Leihstimmen für die SPD eingefallen). Es hat damals nicht zu einer Fortsetzung der rot-grünen Koalition gereicht, weil die bescheidenen Zugewinne der roten die Verluste der grünen nicht ausgleichen konnten. Das mag was mit Brechmitteln zu tun haben und mit Regenbögen – und vielleicht auch damit, dass das zentrale grüne Thema damals das Inline-Skaten war.

    Darf man kühn behaupten, dass in Wahrheit die GAL die Wahl im Jahr 2001 verloren hat? Darf man frech behaupten, die SPD habe aus der Niederlage von 2001 mehr gelernt als die GAL? Wenn die SPD heute jedenfalls warnt, die GAL möge sich nicht von der CDU in Umfragetiefen ziehen lassen, dann zeugt das von Realismus. Und ist nicht ohne Hintergedanken. Eigennützige sogar.

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