Haben die Hamburger Grünen sich verzockt?

Legt man das mittelalterliche Diktum „Viel Feind, viel Ehr“ zugrunde, dann gebührt den Hamburger Grünen derzeit die größte Ehrerbietung. Denn die GAL, deren Repräsentanten nach dem Ausstieg aus der schwarz-grünen Koalition vor Kraft kaum laufen konnten, hat sich im Wahlkampf zum Prügelknaben für die versammelte Konkurrenz entwickelt. Die CDU geißelt den untreuen Ex-Koalitionspartner verständlicherweise als unzuverlässig (und fortschrittsbremsend). Das Hauptwahlargument der FDP ist die Verhinderung von Rot-Grün. Für die meisten Linken sind die Grünen besser verdienende Öko-Snobs. Und SPD-Spitzenkandidat Olaf Scholz hat im Wahlkampf so gut wie alle grünen Anliegen vom klimafreundlichen Wohnungsbau bis zur Stadtbahn schlanker Hand kassiert. Im Grunde sind sich CDU, FDP und SPD in den meisten Politikfeldern selten einig – nur die Schmuddelkinder von der GAL müssen draußen bleiben.

Den Grünen könnte das egal sein – Alleinstellungsmerkmale sind schließlich eine feine Sache im Wahlkampf. Dumm für sie aber, dass ihnen das Etikett der Fortschrittsverweigerer und Neinsager allmählich ernstlich zu schaden beginnt. In den Umfragen haben sie binnen kürzester Zeit fünf Prozent vor allem zugunsten der SPD eingebüßt. Und mit der FDP ist ihnen unerwartet Konkurrenz beim Buhlen um die Genossen erwachsen. Mittlerweile wünschen sogar viele CDU-Anhänger SPD-Mann Scholz eine absolute Mehrheit – Hauptsache, die verhassten Grünen regieren nicht wieder mit. Kein Wunder, dass die GAL jetzt im Wahlkampf nachsteuert, etwa beim Thema Stadtbahn.

Denn so, wie es derzeit aussieht, könnte die GAL zum Überraschungsverlierer der von ihr selbst erzwungenen Wahl werden. Aus vollem Lauf haben sich die Grünen Olaf Scholz an den Hals geworfen. Der aber könnte am Ende den Kopf wegziehen, weil er die GAL nicht mehr braucht oder will – und die Chefstrategen der Ökopartei würden mit voller Wucht auf der Nase landen. Genauer: Direkt neben der CDU in der Opposition.

Da sage noch mal jemand, dieser Wahlkampf sei langweilig.

Erschienen am 8. Februar 2011 in WELT und WELT ONLINE. Eine Sammlung von Jens Meyer-Wellmanns Kolumnen über den alltäglichen Familien- und sonstigen Wahnsinn gibt es unter dem Titel “Schrei mich nicht an, ich bin ein Wunschkind” auch als eBook bei Amazon, und zwar hier.

 

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