Anja Hajduk und die barocken Damen – ein Porträt der Hamburger Spitzenkandidatin der Grünen

Anja Hajduk rutscht immer wieder ein wenig zur Seite, sie sucht erkennbar die Distanz zu den barocken Damen neben sich. Es ist eng an diesem Nachmittag im schwul-lesbischen Kaffeehaus „Gnosa“ an der Langen Reihe. Eben noch hat das vorwiegend männliche Publikum sich hier in aller Ruhe am Tortenbüfett bedient. Nun aber haben sich drei Frauen des kleinen Cafés bemächtigt, gefolgt von einer drängelnden Medienmeute. Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth, Hamburgs GAL-Chefin Katharina Fegebank und Spitzenkandidatin Anja Hajduk haben sich nebeneinander an einen Doppeltisch gezwängt, sodass die Fotografen sie schön von vorne knipsen können, und wenn jemand jetzt eine dieser Intelligenztestfragen stellte, wer von dem Trio nicht dazu passt, dann wäre die Antwort einfach: Hajduk passt nicht. Roth und Fegebank kommen wie pausbäckige Schwestern daher, laut und fröhlich und in jeder Hinsicht raumfordernd. Sie bestellen Sahnetorte, und Roth jauchzt, sie fühle sich wie zu Hause, und gackert selbst noch über den ältesten Schwulenwitz der Welt, den einer im Publikum reißt: „Von hinten hab ich dich sofort erkannt.“

Hajduk ist hier, wie so oft, das Kontrastmittel. Neben ihr wirken Roth und Fegebank besonders albern oder herzlich, wie man will, vielleicht auch nur befreit. Umgekehrt macht Ex-Stadtentwicklungssenatorin Hajduk neben diesen beschwingten Schwestern einen besonders ernsthaften und vernünftigen Eindruck, oder eben einen kalten und kontrollierten oder distanzierten, auch das liegt im Auge des Betrachters. Es ist jedenfalls bei all dem Chichi wohltuend, wie nüchtern Hajduk auf die Fragen aus dem Publikum zur Stadtbahn oder zum Rückkauf der Energienetze eingeht, ganz ohne erdrückende Herzlichkeit.

Die 47-Jährige spricht wie immer druckreif und akzentuiert jede Silbe, so als habe sie ein mehrmonatiges Nachrichtensprecherseminar absolviert. Dass sie aus Duisburg stammt, ist an der Sprache der passionierten Sängerin, die mit ihrer Altstimme auch Kirchenkuppeln zu füllen vermag, nicht festzustellen. „Es geht nicht mehr darum, wer Bürgermeister wird“, sagt sie, während Claudia Roth sich auf die gerade angelieferte Sahnetorte konzentriert. „Spannend ist nur noch, wie sich die Regierung zusammensetzt.“ Und: „Wer Rot-Grün will, muss Grün wählen.“ Oder: „Man darf diese Stadt nicht der SPD allein überlassen.“

Man könnte darüber streiten, ob eine so sachliche Frau wie Hajduk die richtige Spitzenkandidatin ist, ausgerechnet in diesem eher gefühligen Wahlkampf, in dem die Grünen in Wahrheit nichts anzubieten haben außer einer diffusen Botschaft, dass sie die Guten seien, die Klugen, und dass man die Grünen doch irgendwie brauche, wenn man die Welt ein bisschen besser machen will. Es geht diesmal nicht um harte Politik, nicht darum, ein Kraftwerk zu verhindern, die Schulen zu reformieren oder die Elbvertiefung zu stoppen. All das ist passé, nicht einmal auf die Stadtbahn können die Grünen noch setzen. Also bleibt nur die Botschaft, die SPD dürfe nicht allein regieren, oder Plakatsprüche, wie Öko sei gut für die Wirtschaft. Das sind Plattheiten, die die Intelligenz der Einser-Abiturientin schmerzhaft unterfordern, aber so ist Wahlkampf, als Bergsteigerin kennt Hajduk die Mühen des Aufstiegs: Hauptsache, den Gipfel im Blick behalten!

Die CDU hat der bekennenden Lesbe, die auf der Uhlenhorst mit der früheren SPD-Schulsenatorin Ute Pape zusammenlebt, im Wahlkampf harte Vorwürfe gemacht. Als Ex-Stadtentwicklungssenatorin sei sie schuld daran, dass zu wenige Wohnungen gebaut würden. Sie sei es auch gewesen, die im vergangenen Winter nicht schnell genug auf das Eischaos reagiert habe. Bis vor einer Weile noch galt Hajduk parteiübergreifend als kompetent und durchsetzungsstark. Die Regierungsrealität hat aber auch sie ein wenig entzaubert, die Bilanz der Diplompsychologin ist dürftig. Das Kohlekraftwerk musste sie genehmigen, der Elbvertiefung zustimmen, ihre Stadtbahntrasse hat sie mittlerweile selbst verworfen, von Umweltzone und Citymaut ist keine Rede mehr. In Wahrheit ist so gut wie nichts umgesetzt worden von dem, was Hajduk wollte – wenn man mal vom neuen Fahrradverleihsystem absieht. Hinzu kommt: Der von ihr forcierte Ausstieg aus der schwarz-grünen Koalition könnte sich als Fehler erweisen, sollte die SPD die absolute Mehrheit erreichen und die GAL in der Opposition landen.

Aber so weit ist es noch nicht, wahrscheinlicher ist immer noch Rot-Grün, dann würde Hajduk Zweite Bürgermeisterin. Dafür nimmt sie auch die letzten Tage des Wahlkampfes in Kauf und lässt sich gelegentlich von Claudia Roth unterbrechen, die jetzt lautstark einen Kaffee verlangt, aber bitte mit Sahne drauf, ein schönes dickes Sahnehäubchen! Hajduk lächelt, rückt ein wenig zur Seite und wartet auf die nächste Frage zu irgendeinem Planfeststellungsverfahren.

Erschienen am 18. Februar 2011 in WELT und WELT ONLINE. Eine Sammlung von Jens Meyer-Wellmanns Kolumnen über den alltäglichen Familien- und sonstigen Wahnsinn gibt es unter dem Titel „Schrei mich nicht an, ich bin ein Wunschkind“ auch als eBook bei Amazon, und zwar hier.

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