Freiheit in Verstopfung

Es ist unhanseatisch, U-Bahn zu fahren. Lieber brüten wir Hamburger auf beheizten Ledersitzen im Stau.

Ich nehme an, es stand bei meiner Oma selig im Bad, irgendwo in meiner Kindheit machte ich jedenfalls Bekanntschaft mit einem Mittel namens Agiolax, und genau das ist es, was ich in diesen Tagen der Stadt verabreichen möchte. Hamburg hat Verstopfung, vielleicht hilft diese seltsame Mischung aus Sennesfrüchten und Flohsamen. Das, was sich knäult und krampft und staut in den Innereien unserer Metropole, muss schleunigst verflüssigt und hinausgeleitet werden, andernfalls platzt Hamburg, oder es platzen all die Autofahrer, die sich dieser Tage vor Gram beim stumpfen Im-Stau-Stehen dritte Löcher in die Nasen bohren.

Was die Stadt ihnen aber auch antut! Die Millionen Hamburger und Hunderttausenden Rein-und-raus-Pendler nehmen doch nur ihre Freiheitsrechte wahr, indem sie alle gleichzeitig mit ihren Wagen in die Stadt fahren. Kann man ihnen nicht endlich den Platz schaffen, der ihnen zusteht? Würden nur 50 Prozent der Parkflächen zu Asphaltstraßen aufgewertet, könnte der Verkehrsfluss deutlich verbessert werden, glauben einer geheimen Studie zufolge, die uns leider nicht vorliegt, Experten von Industrieverband, VW und Shell.

So oder so: Man kann den Hamburgern nicht zumuten, massenhaft Bus und Bahn (oder Fahrräder) zu nutzen, wie es die Bewohner von Weltmetropolen wie London tun – und Einwohner anderer deutscher Großstädte doppelt so häufig wie die Hamburger. Öffentliche Verkehrsmittel sind einfach unhanseatisch. Egal, ob sich die Bahn im Schnitt mit 40 km/h durch die Stadt bewegt, ein Auto bisher dagegen mit nur 27 km/h (und seit Wochen sogar langsamer als jeder zackige Fußgänger).

Meine Frau sagt immer, wenn sie mich irgendwo warten lässt (also täglich): „Ich stand im Stau.“ Dabei würde es völlig reichen, wenn sie sagte: „Schatz, ich fahre Auto.“ Weiß doch jeder, dass Autofahrer nicht pünktlich sein können. Das ist aber wirklich nicht ihre eigene Schuld. Es liegt daran, dass die Politik sie so gemein vernachlässigt.

Leicht verändert erschienen am 9. April 2011 in WELT und WELT ONLINE in der Rubrik „Hamburger Momente“. Eine Sammlung von Jens Meyer-Wellmanns Kolumnen über den alltäglichen Familien- und sonstigen Wahnsinn gibt es unter dem Titel „Schrei mich nicht an, ich bin ein Wunschkind“ auch als eBook bei Amazon, und zwar hier.

 

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