Gurken, Islamisten und Männer in blauen Overalls

Es gibt zu viele Angstmacher. Deswegen konzentrieren wir uns auf eine Panik zur Zeit.

Ich gebe zu, ich gehöre nicht zu den Abwieglern. Egal, ob es um Salatgurken oder Terroristen geht, ich neige zur Vorsicht. Man streitet ja auch in Hamburg gerne darüber, ob der Deutsche an sich ein Hysteriker ist, der nach jedem kleinen Unfall ganze Technologien aufgibt und wegen ein bisschen Durchfall nie wieder Gemüse isst (sondern lieber an Vitaminmangel stirbt). Wir haben in der Redaktion diskutiert, wie wir mit der EHEC-Krise zu verfahren hätten und ob die Deutschen unter einer kollektiven Angststörung leiden. Einige Kollegen warnten vor Panikmache und betonten, jede Grippewelle töte mehr Menschen als EHEC.

Als Fukushima explodiert war, flog ich für ein paar Tage mit meinem Sohn nach London. Wir wohnten in einem kleinen Hotel, in dem man nur BBC sehen konnte, und ich bekam schnell den Eindruck, dass die Deutschen krank seien. Während die Briten mit professioneller Distanz über den Unfall am anderen Ende der Welt berichteten, las ich im Internet, dass in Hannover die Geigerzähler ausverkauft waren. Ich traute der BBC, ich traute den gelassenen Briten, und ich traute diesen Tepco-Männern in blauen Overalls, die vor Panikmache warnten und Gerüchte über Kernschmelzen dementierten. Jetzt haben sie zugegeben, dass von Anfang an alles geschmolzen war, was schmelzen konnte, aber das stößt nicht mal mehr bei uns auf Resonanz, schließlich haben wir jetzt die EHEC-Gurken, und auch die Menge an Angst ist begrenzt, man kann sich ja nicht vor allem gleichzeitig fürchten.

Ein paar Tage nach dem Tod von Osama Bin Laden stieg ich in die U-Bahn und setzte mich neben einen Mann mit langem Bart. Auf der Fahrt bemerkte ich den Rucksack zwischen seinen Füßen, sah wie seine Hände zitterten und roch den Angstschweiß, den er verströmte. Bei der nächsten Station stieg ich aus und nahm die folgende Bahn. Ich habe mich gefragt, was passiert wäre, wenn Hunderte gestorben wären, weil ich nicht gewarnt hatte. Ich fragte mich aber auch, ob man mich wohl eingewiesen hätte, wenn ich die Polizei gerufen, es sich bei dem Bärtigen aber nur um einen Späthippie mit Examensangst gehandelt hätte.

Der Vorsichtige, so heißt es, lebt länger. Ob er besser lebt, ist eine ganz andere Frage.

Erschienen am 28. Mai 2011 in WELT und WELT ONLINE in der Rubrik „Hamburger Momente“. Eine Sammlung von Jens Meyer-Wellmanns Kolumnen über den alltäglichen Familien- und sonstigen Wahnsinn gibt es unter dem Titel „Schrei mich nicht an, ich bin ein Wunschkind“ auch als eBook bei Amazon, und zwar hier.

 

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