Gesabbel im Subraum

Schön war der Urlaub im Süden. Die Rückkehr nach Hamburg ist eine Rückkehr in die klatschnasse Dauer-Erregung.

Meistens bin ich Extremist, was soll’s? In Wahrheit sind wir doch alle Extremisten, erregen und empören uns ständig über alles bis zum Fastinfarkt, hetzen von einer Hysterie in die nächste, hyperventilieren uns von Tag zu Tag, von Klimakatastrophe über Finanzkrise nach Fukushima und dann über EHEC, Euro und Börsencrash zu Rezession, Revolte und der Rage über den Regensommer. Nicht zu vergessen die Riesenblondine in der Alster, nie dagewesener Skandal.

Unterlegt ist die Dauererregung mit einem pausenlosen Gesabbel im Subraum. Bei Facebook, Twitter, Google plus, in Radio, Fernsehen, Magazinen ist längst gesendet, gedruckt und analysiert, was wir von Geburt an wissen: Das Ende ist nah. Genaueres weiß man nicht, denn selbst Meteorologen können maximal fünf Tage in die regnerische Zukunft sehen und Wirtschaftsexperten im Höchstfall fünf Minuten, wie die Erfahrung lehrt – und selbst das nur ceteris paribus, also unter Laborbedingungen, die es auf dieser Welt nicht gibt. Nur eines ist sicher: Irgendwann bläht sich die Sonne zum Riesen und schluckt uns mit einem roten Rülpser.

Was aber sollen wir bis dahin tun? Ganz einfach: Bis dahin reden und schreiben wir vom Ende. Denn der Untergang verkauft sich gut, und von irgendwas muss man ja leben, bevor man stirbt. Katastrophe, Leid und Todesangst sichern uns beinahe soviel Aufmerksamkeit wie die hypersexualisierte PR-Windmaschine der angeblich dauerfeuchten, (geld)geilen Schoßgebietsschreiberin. Nur Sex und Tod, nichts anderes treibt uns an, Onkel Sigmund lässt grüßen. Ob die multimediale Überreizung von Angst- und Gier- und Lustzentren am Ende kulturellen Fortschritt bewirkt, oder der Homo erregtus zum Digitalaffen regrediert – das werden wir sicher auch bald irgendwo lesen, hören, sehen oder gesagt bekommen. Denkbar ist natürlich auch eine Kollektiveinweisung ins Kuckucksnest.

Ich jedenfalls habe mich kürzlich zum Abregen in meine Hängematte nach Spanien zurückgezogen und Romane gelesen. Das sind zusammenhängende, längere Geschichten, mit denen man sich konzentriert über Tage beschäftigt. Kein Fernsehenradiointernet, stattdessen Bolaño, Cortázar, Marías und ein, zwei Prisen Bernhard. Und siehe da, die Sonne schien, das Leben war schön.

Aber auch Freud wusste: Glück ist ein Kontrasterlebnis, irgendwann muss jeder zurück nach Hamburg. Jetzt bin ich wieder hier, in einer Stadt, die von ihren aufgedrehten Radiosendern unentwegt zur „schönsten Stadt der Welt“ hochgesabbelt wird, lächerlicher Größenwahn an einem klatschnassen Ort, von dem aus man die Sonne nicht sehen kann. Immerhin: Abregen kann man sich auch hier. Man braucht dafür nur zwei Wände, eine Hängematte und ein kluges Buch. Die Erregung kann man sich ja, ohne jemals einen Roman darüber zu schreiben, fürs Schlafzimmer aufsparen.

Erschienen am 13. August 2011 in WELT und WELT ONLINE in der Rubrik „Hamburger Momente“. Eine Sammlung von Jens Meyer-Wellmanns Kolumnen über den alltäglichen Familien- und sonstigen Wahnsinn gibt es unter dem Titel „Schrei mich nicht an, ich bin ein Wunschkind“ auch als eBook bei Amazon, und zwar hier.

 

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