War wieder abfetzmäßig porno im Büro

Alt ist man, wenn man seine Kinder nicht mehr versteht.
Das ist nicht neu. Für mich schon.

Bei uns Zuhause ist seit einer Weile alles unnötig. Voll unnötig. Nicht im Sinne von überflüssig. Eher im Sinne von „Geht gar nicht“ oder „total bescheuert“. Es können nicht nur Handlungen oder Dinge unnötig sein, wie ich mittlerweile gelernt habe, sondern auch Menschen.

Zum Beispiel Lehrerinnen. Wenn die einen Schüler, etwa meinen zehnjährigen Sohn Max, mehrfach mit voll unnötigen Ermahnungen oder Forderungen triezen, werden sie schnell zur unnötigen Person erklärt. Magistra non grata. Auf jugendlich.

Mit dem Wechsel in die Fünfte endet die Kindheit, zumindest verbal bricht nun die Adoleszenz an. Wenn du das als Vater nicht kapierst, biste voll gedisst. Im Sinne von Dissen, was nicht der lockere Plural für zusammenkopierte Promotionsschriften ist, sondern der eingedeutschte Hip-Hop-Begriff für „disrespect“.

Sagen wir es vornehm: Wer seine Kinder nicht mehr versteht, ist in ihren Augen schnell dis-kreditiert. Schön ist das nicht, denn wer will schon, dass seine Brut ihn für eine Leertaste hält, ein Brotgehirn oder einen Intelligenzallergiker, vulgo: Evolutionsbremse. Das wäre voll opfer, kann niemand wollen.

Andererseits: Nichts ist peinlicher als die willenlose Ranschmeiße der Mittelalten an die Jugend. Stellen Sie sich vor, ein Mittvierziger kommt aus dem Büro nach Hause und sagt, während er sich beim Familienabendbrot gerade den Schlips lockert: „War abfetzmäßig porno im Büro, Digger.“

Womöglich konstatiert der Stammhalter wohlwollend: „Schöner Job.“ Oder er sieht seinen Erzeuger mitleidig an und sagt: „Papa, ich glaube, ich habe Augen-Tinnitus. Ich sehe überall Pfeifen.“

 

 
Erschienen am 25. August 2012 in WELT und WELT ONLINE in der Rubrik „Hamburger Momente“.
 
Eine Sammlung von Jens Meyer-Wellmanns Kolumnen über den alltäglichen Familien- und sonstigen Wahnsinn gibt es unter dem Titel „Schrei mich nicht an, ich bin ein Wunschkind“ auch als eBook bei Amazon, und zwar hier.

 

2 Kommentare

  1. Lieber Herr Meyer-Wellmann,
    zu Ihrem Kommentar „Im Grunde alles unnötig“ gibt es eigentlich nur einen Kommentar: Voll lol! Endlich einmal fühlte ich mich als dauerunnötiger Mensch voll verstanden und anerkannt.

    Wir haben herzhaft gelacht und den Ausdruck mit dem Augen-Tinitus sofort in unseren elterlichen Wortschatz übernommen und auch schon praktisch anwenden können (natürlich nicht in Zusammenhang mit unserem obercoolen Sohn).

    Ich werde meine Schwiegermutter bitten, mir weiterhin Ihre Kommentare zukommen zu lassen.

    Mit altmodischen freundlichen Grüßen
    Christine Pagel

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