Wie Olaf Scholz die Grünen düpierte – und warum die SPD damit überzogen hat

Der grüne Umweltsenator Jens Kerstan hat für den ersten offenen Streit von Rot-Grün in Hamburg gesorgt. Nachdem die SPD ohne Absprache eine Einigung im „Bündnis für das Wohnen“ verkündete, legte Kerstan sein Veto ein – und fordert trotz des massiven Wohnungsbaus mehr Engagement für den Schutz des Stadtgrüns. Mein Kommentar aus dem Hamburger Abendblatt vom 14. Mai. 2016.

König zu sein ist eine tolle Sache, sie hat nur einen Nachteil: Man besitzt als langjähriger Alleinherrscher nicht automatisch die größte Sozialkompetenz. Wie sollte man die auch lernen, wenn man sich nie absprechen muss, weil immer alle mit den Hacken knallen, sobald man nur hüstelt? Bürgermeister Olaf Scholz hat irgendwann in seiner ersten Amtszeit den Beinamen König Olaf bekommen, weil er jedes Detail der Politik allein bestimmte. Das lag erstens daran, dass er als politisches Arbeitstier sattelfest in fast allen Themenbereichen ist. Zweitens war er 2011 mit der absoluten Mehrheit zu einem Machtgaranten der SPD geworden.

Die Ergebnisse von vier Jahren Alleinregierung konnten sich durchaus sehen lassen. Dummerweise hat Scholz aber bisher nicht wahrhaben wollen, dass sich mit der Wahl 2015 einiges geändert hat. Mag er in der SPD weiter allein den Ton angeben, so ist er in der Bürgerschaft auf die Stimmen eines grünen Partners angewiesen. Gemäß dem Spruch seines Lehrmeisters Gerhard Schröder, der von sich selbst einst als Koch und dem grünen Vizekanzler Joschka Fischer als Kellner sprach, begann Scholz die Grünen von Beginn an wie ein strenges Herrchen an sehr kurzer Leine zu führen. Er hat mit Stadtbahn oder Citymaut ihre zentralen Projekte kassiert und ihnen das Verkehrsressort vorenthalten. Grüne Akzente sind im Koalitionsvertrag nur wenige zu finden. Auch intern hat er die Grünen gerne mal auflaufen lassen.

Die Hamburger Grünen, die sich neuerdings am pragmatisch-konservativen grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann orientieren, haben all das geschluckt. Das mag auch am Naturell der Zweiten Bürgermeisterin Katharina Fegebank liegen, der im Zweifel der liebe Frieden wichtiger ist als das Durchsetzen eigener Ideen.

Nun aber ist die Scholz-SPD offenbar zu weit gegangen – und das ausgerechnet in einer Angelegenheit, die Umweltsenator Jens Kerstan betrifft. Der ist ein eher rauflustiger, ziemlich unabhängiger Politiker. Mit einer Pressemitteilung, die SPD-Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt am Donnerstag herausgab, hat sie ausgerechnet Kerstan öffentlich bloßgestellt. Obwohl dessen Umweltbehörde offenbar noch viele offene Fragen zum Schutz des Grüns klären wollte, verkündete Stapelfeldt, das „Bündnis für das Wohnen“ zwischen Stadt und Wohnungswirtschaft zum Bau von jährlich 10.000 Wohnungen sei unter Dach und Fach. Fast so, als sei der Erhalt des Stadtgrüns oder der geschützten Gebiete für Hamburg nebensächlich.

Dass Kerstan nun als Reaktion öffentlich kundtat, er werde den Vertrag so nicht unterschreiben und damit dessen Umsetzung verhindern, bedeutet nur eines: Er hat den Fehdehandschuh aufgenommen und zurückgeworfen – und zwar direkt vor die Füße des SPD-Bürgermeisters. Denn Stapelfeldt ist in den Verhandlungen kaum mehr als eine Strohfrau für Scholz, der auch hier persönlich die Linie vorgibt und die Pressemitteilung selbst abgenickt haben dürfte – vermutlich, um Fakten zu schaffen und den lästigen Widerstand der Grünen zu brechen.

Man kann darüber streiten, ob das in der Sache sinnvoll ist. Im Sinne der Koalition war es sicher nicht. Denn mit der Reaktion Kerstans hat sich Scholz eine Art Showdown mit dem Lautsprecher der Grünen eingehandelt, bei dem er nur verlieren kann. Bleibt er hart, setzt er die Koalition aufs Spiel. Zieht er zurück, ist er das Image des Machers los. Wie gutes Regieren wirkt das alles sowieso nicht. Im besten Fall ergibt sich ein Lerneffekt: Partnerschaften funktionieren nur, wenn beide genug Luft zum Atmen haben und niemand den anderen hintergeht. Auch in politischen Ehen gibt es keine Köche und keine Kellner. Und auch keine Könige.

Erschienen als Leitartikel im „Hamburger Abendblatt“ vom 14. Mai 2016

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