Coronaparty, Pimmelgate, Intrigen: Mit Gallina und Grote sind ausgerechnet die Senatoren für Sicherheit und Rechtsstaat angeschlagen.
Glücklich geht anders. Auf viele wirkte SPD-Bürgermeister Peter Tschentscher am Mittwoch in der Aktuellen Stunde der Bürgerschaft ziemlich gequält. Kein Wunder. Wer lässt sich schon gerne mit seinem Vorgänger vergleichen, um dabei schlecht abzuschneiden? Bei Olaf Scholzhätte es das nicht gegeben, behauptete CDU-Fraktionschef Dennis Thering in der Debatte über die negativen Schlagzeilen, die manche Senatoren zuletzt gemacht haben. Die Mannschaft mache unter Tschentscher, was sie wolle, die Zeiten des von Scholz stets für sich reklamierten guten Regierens seien offenkundig vorbei.
Nun gehört zur politischen Debatte immer auch ein wenig Theaterdonner – und nicht alles, was eine Opposition ganz hoch hängt, ist wirklich von überragender Bedeutung. Diesmal aber traf die Kritik in ihrem Kern genau ins Schwarze: Es kann Tschentscher nicht gefallen, was er über Innensenator Andy Grote (SPD) und Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne) seit Wochen lesen muss.
Hamburger Senat: Affären um Grote und Gallina schwächen Rot-Grüne Regierung
Seit der traumatischen Schill-Wahl 2001 gilt in der Hamburger SPD die Ansage, dass Innere Sicherheit nie wieder zur offenen Flanke der Partei werden dürfe – und die Justiz auch nicht. Dafür aber braucht es über alle Zweifel erhabene Fachsenatoren. Genau die aber haben zuletzt viel dafür getan, ihren Ruf zu beschädigen – und sich selbst sogar über die deutschen Grenzen hinaus zum Gespött gemacht. Gallina und Grote: Der Senat hat dieser Tage ein ganz eigenes 2G-Problem.
Dabei liegen die Fälle durchaus unterschiedlich – vor allem, was den jeweiligen Rückhalt in der eigenen Partei angeht. Grote, der das G-20-Debakel 2017 als für die Sicherheit zuständiger Senator unbeschadet überstand, hat seinen fachlich guten Ruf seit seiner Wiederernennung vor allem durch persönliche Fehlentscheidungen schwer beschädigt. Erst feierte er die illegale CoronaParty, und dann stritt er wochenlang ab, etwas falsch gemacht zu haben.
„Pimmelgate“ kostet Grote Glaubwürdigkeit und Autorität
Im Frühjahr fühlte ausgerechnet er sich berufen, in der Schanze Feiernden bei Twitter „Ignoranz“ vorzuwerfen. Als jemand ihn dann als „Pimmel“ bezeichnete, erstattete Grote Anzeige, und die Staatsanwaltschaft sorgte für eine Razzia beim möglichen Verfasser des Tweets. Schon das wirkte angesichts der Tatenlosigkeit der Justiz in gravierenderen Fällen seltsam unverhältnismäßig.
Aber damit nicht genug: Der Staatsgewalt war es auch nicht zu albern, bis vor Kurzem wochenlang „Pimmel“-Aufkleber von Türen und Laternen zu kratzen und auf Grote zielende Sprüche von der Fassade der Roten Flora zu entfernen. Der Eindruck: Entweder Hamburgs Polizei ist überbesetzt, da sie offenbar für solchen Unfug Zeit hat. Oder sie arbeitet Spezialaufträge ab.
Erst durch seine Reaktion auf die Beleidigung hat Grote so viel Staub aufgewirbelt, das nicht nur die „Washington Post“ über „Pimmelgate“ berichtete. Wer heute das P-Wort googelt, bekommt neben Geschlechtsteilen gleich auf der ersten Seite ein Foto des Hamburger Innen- und Sportsenators präsentiert. Selbst wenn Grote trotz allem im Senat, bei der Polizei und auch bei den Sportverbänden weiterhin als kompetent und hoch engagiert gilt – seine Glaubwürdigkeit und Autorität bei den Bürgern sind (und bleiben vermutlich) beschädigt. Und das ist nicht nur für ihn selbst ein Problem – sondern für den ganzen Senat.
Im Fall Gallina gegen Günther gibt es nur Verlierer
Ähnlich ist es im Fall Gallina. Auch der Ruf der grünen Justizsenatorin ist schwer lädiert. Gallina machte schon als Hamburger Parteichefin keine gute Figur, als sie zwei Abgeordnete der Grünen-Bezirksfraktion Mitte öffentlich der möglichen Nähe zum Islamismus bezichtigte, was dort am Ende für eine Spaltung der Fraktion und den Machtverlust der Grünen sorgte. Dass gegen ihren früheren Lebensgefährten und Ex-Mitte-Fraktionschef Michael Osterburg wegen Untreue ermittelt wird, weil er massenhaft private Rechnungen als Fraktionsspesen abgerechnet haben soll, hilft ihr auch nicht.
Richtig verscherzte es sich die 38-Jährige mit weiten Teilen ihrer Partei aber am Freitag vor einer Woche: Als das Abendblatt über ihr Zerwürfnis mit der weithin geschätzten grünen Justizstaatsrätin Katja Günther recherchierte, glaubte Gallina offenbar, Günther sei eine Quelle der Recherche. In ihrer Wut wandte sie sich an Bürgermeister Tschentscher und bat um Entlassung Günthers.
„Vertrauensbruch“ in den Reihen der Grünen
Das stellte nicht nur Tschentscher vor ein Problem – denn warum sollte er eine kompetente Staatsrätin feuern? Vor allem aber erboste Gallinas Aktion Spitzenleute ihrer eigenen Partei. „Wie blöd kann man sein, als Grüne mit einem internen Problem zum SPD-Bürgermeister zu rennen, ohne die Parteifreunde zu informieren?“, fragt ein prominentes Grünenmitglied. „Das war ein totaler Vertrauensbruch.“
Unklar ist bei all dem die Rolle der Zweiten Bürgermeisterin Katharina Fegebank. Offenbar war sie seit Wochen als einzige Spitzengrüne über die Probleme informiert – konnte die Eskalation aber nicht verhindern. Politisch ist es dabei egal, welche der Erzählungen aus der Justizbehörde denn nun stimmt: die der illoyalen Staatsrätin, die unbedingt Senatorin hätte werden wollen und aus Eifersucht der Amtsinhaberin das Leben schwer macht – oder die der fachfremden Senatorin mit dem aufbrausenden Temperament.
Anna Gallina: Es war nicht alles schlecht
So oder so stehen die Grünen, die sonst Wert auf menschlich anständigen Umgang miteinander legen, nun als Club der Intriganten da, in dem man sich gegenseitig fertig macht. Dass es auch darum ging, welche Grünen sich die Spitzenposten in der Behörde wie aufteilen, lässt ein weiteres unschönes Bild entstehen: das vom grünen Filz.
Unabhängig davon droht auch hier Schaden für die ganze Stadt. Wenn eine Justizbehörde vor allem mit Intrigen befasst ist, bleiben echte Probleme womöglich ungelöst, etwa bei der langen Dauer mancher Strafverfahren wie dem gegen die Massenvergewaltiger vom Stadtpark. Allein dieser Eindruck ist für den gesamten Senat fatal. Dass Gallina zuletzt von der Opposition immer wieder unterstellt wurde, sie habe inhaltlich gar nichts zustande gebracht, finden dabei aber auch nicht alle gerecht.
Sie habe den Pakt für den Rechtsstaat zur Stärkung der Justiz forciert, weitere Hamburger Richter an Bundesgerichte gebracht oder eine Sonderstaatsanwaltschaft zur Aufklärung von Beziehungsgewalt eingerichtet, betonen die verbliebenen Mitstreiter. Aber das nützt ihr derzeit auch nicht viel.
Justizsenatorin verliert Rückhalt ihrer Partei
Gallina ist jetzt nur noch Senatorin auf Bewährung – weil sie in der eigenen Partei kaum noch Rückhalt hat. Wer mit grünen Amts- und Mandatsträgern spricht, hört kaum noch Positives über die alleinerziehende Mutter dreier Kinder. Gallina sei zwar intelligent, aber sie verstehe nichts von Ausgleich, sondern nur von Eskalation, heißt es. Ihre (emotionale) Kompetenz halte nicht mit ihrem Selbstbewusstsein mit, deswegen mache sie immer dieselben Fehler.
Schon bei den Krisensitzungen der Top-Grünen am vergangenen Wochenende habe Gallina ihr Amt nur knapp retten können, heißt es. Selbst die offiziellen Stellungnahmen sind ungewohnt deutlich. „Das ist keine einfache Situation für uns“, sagte Grünenchefin Maryam Blumenthal dem Abendblatt. „Wir hätten uns gewünscht, dass das nicht öffentlich ausgetragen worden wäre, ganz egal von wem.“ Schon in der Bürgerschaft hatte Fraktionschef Dominik Lorenzen gesagt, dass die Schlagzeilen der jüngeren Zeit der Koalition „keinen Spaß“ machten – und Gallina jetzt liefern und einen akzeptablen Ersatz für die lediglich freigestellte Katja Günther vorlegen müsse. Auch SPD-Chefin Melanie Leonhard mahnt: „Nur durch gute Sacharbeit behält man das Vertrauen der Menschen.“
Senat Hamburg: Gallina und Grote sind die Problemfälle
Zwar unterscheiden sich die Querelen um Gallina und Grote vor allem in einem Punkt: Der Innensenator hat deutlich mehr Rückhalt in SPD und Polizei als die Justizsenatorin bei den Grünen und in der Justiz. Das Kernproblem aber bleibt in beiden Fällen ungelöst: Den für Rechtsstaat und Sicherheit zuständigen Ressorts im Senat stehen zwei Senatoren vor, deren persönliche Autorität beschädigt ist – und die in nicht mehr überall ernst genommen werden.
Manche erhoffen sich nun indirekte Hilfe aus Berlin. Wenn SPD-Kultursenator Carsten Brosda womöglich als Kulturstaatsminister in die Bundesregierung wechsle, müsse der Senat ja sowieso umgebildet werden, heißt es hier und da – dann könne man bekannte Probleme ja gleich mit lösen. Andere halten das für abwegig – zumal man so vor der Opposition einknicken würde, es im Fall Grote keine echten neuen Verfehlungen gegeben habe und jede Partei ihre Personalien selbst klären müsse. Dass über die Problemfälle Gallina und Grote bald Gras wächst, glauben aber nicht alle.
„Wir sehen ihre Leistungsfähigkeit“, heißt es aus dem innersten Kreis der Koalition. „Aber es fehlt der Glaube, wie sie mit dieser Außenwahrnehmung die Wahlperiode durchstehen sollen.“
Erschienen in der Rubrik „Die Woche im Rathaus“ im „Hamburger Abendblatt“ am 7. November 2021