Lahmes Deutschland: Unser Internet ist zu langsam. Die Politik tut zu wenig.

Statt der von Internetminister Dobrindt angekündigten „Allianzen“ braucht es endlich Investitionen. Deutschland ist im internationalen Vergleich in Sachen Netz zuletzt immer weiter abgerutscht.

Einer der klassischen Kommentare geht so: „Ja, was ihr macht, ist richtig. Aber ihr macht es zu spät. Und ihr macht es nicht intensiv genug.“ Genau so ein Kommentar ist dies hier. Jedenfalls beginnt er so. Maut- und Internetminister Alexander Dobrindt hat am Freitag eine „Netzallianz“ ins Leben gerufen. Er will Deutschland zu einer führenden Internetnation machen und dafür die Netzanschlüsse flächendeckend ausbauen. Ja, das ist gut! Aber warum so spät?

Hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht schon 2009 die große Netzinitiative angekündigt? Wollen CDU und CSU jetzt etwa in jeder Wahlperiode einen neuen ersten Spatenstich für den großen Netzausbau mit uns feiern, ohne dass die neuen Leitungen wirklich verlegt werden – so ähnlich wie es Ex-Bausenator Wagner ungezählte Male beim Bau der Hamburger Flughafen-S-Bahn tat?

Dass die Netzinitiative reichlich spät kommt, zeigen die Zahlen. Deutschland ist im internationalen Vergleich der Geschwindigkeiten von Internetanschlüssen zuletzt immer weiter abgerutscht. Im dritten Quartal 2013 lagen wir nur noch auf Platz 27. Während in asiatischen Staaten wie Südkorea, Japan oder Hongkong am schnellsten gesurft wird, gehört Deutschland selbst innerhalb Europas zu den Langsamsten.

Wobei der Begriff „Surfen“ es längst nicht mehr auf den Punkt bringt. Zu sehr hört sich das nach Freizeitspaß und Gedöns an. Dabei geht es beim Thema Internetgeschwindigkeit natürlich nicht in erster Linie darum, schneller bei Facebook Dackelbilder zu posten oder bei WhatsApp (oder Threema) Smileys zu verschicken. Nein, es geht um nicht weniger als die wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit unseres Landes.

Künftig wird es fast keinen Bereich der Wirtschaft mehr geben, der ohne ständigen, sicheren und umfassenden Datenfluss auskommt. Das gilt für Industrie- und Dienstleistungen, Medizin, Medien und die Finanzbranche über den Einzelhandel bis hin zur Agrarwirtschaft.

Dabei hat die digitale Revolution eben erst begonnen. Das „Internet der Dinge“ oder die M2M-Technologie, bei der Maschinen mit Maschinen kommunizieren (etwa Automaten, die selbst nachbestellen, wenn sie leer sind), werden die Datenströme weiter anschwellen lassen. Das heißt: Wer am Ende die schlechteren Datenverbindungen (stationär wie mobil) hat, dessen Wirtschaft wird die schlechteren Ergebnisse erzielen. Auch im Privaten werden immer größere Datenmengen bewegt: durch YouTube oder On-demand-Serien wie „House of Cards“, bei der Online-Weiterbildung oder der digitalen Kommunikation.

Für all diese neuen Bedarfe ist unser Netz bisher nicht ausgelegt. Nun kann man sich freuen, dass die Regierung überhaupt etwas tut. Oder so tut, als täte sie etwas. Aber sie tut nicht genug. Das jetzt in Dobrindts Netzallianz ausgegebene Ziel, bis 2018 flächendeckend 50Mbit-Breitbandanschlüsse zu legen, reicht nach Ansicht von Experten nicht aus – zumal andere Staaten ambitioniertere Ziele anpeilen.

Und: Es ist gar nicht klar, wer den Ausbau bezahlen soll. Die großen Unternehmen wie die Telekom zeigen wenig Eile, und man kann sie in der jetzigen Konstellation auch nicht dazu zwingen. Und die Große Koalition hat die Milliarde, die zum Anschub des Ausbaus vorgesehen war, wieder aus dem Koalitionsvertrag gestrichen. Zu Recht beklagen sich nun die Kommunen und fordern mehr Engagement des Bundes und der Länder.

Minister Dobrindt aber steht ohne einen Ausbau-Cent da, seltsam machtlos, ein Digitalminister im Funkloch. Seine Sonntagsreden und freitäglichen Allianzen führen eben nicht zum Netzausbau. Wir brauchen kein Gerede mehr, sondern milliardenschwere Investitionen. Und zwar gestern. Diese Erkenntnis kommt hoffentlich irgendwann auch bei der Großen Koalition an – trotz unserer lahmen Leitungen.

Erschienen am 8. März 2014 im Hamburger Abendblatt
 

„Plötzlich war nur noch Abstoßendes am HSV“

Seit meiner Kindheit habe ich bei jedem Spiel des Hamburger SV mitgefiebert. Nun frage ich mich, ob ich das, was bei meinem Verein passiert, noch ertragen will. Ein Ultimatum an mich selbst. 

Gleich beim ersten Mal stand ich im falschen Block. Vielleicht war das ein schlechtes Omen, aber in Wahrheit kamen danach ja erst einmal die guten Zeiten. Ich war zehn, und der HSV spielte im Volksparkstadion gegen den 1. FC Köln: Kargus im Tor und vor ihm Hidien, Reimann, Kaltz und Co.

Wir gewannen 2:1, aber ich durfte nicht zu laut jubeln.Mein Vater, damals wie heute kein sehr geübter Stadion-Gänger, hatte versehentlich Karten für den Gästeblock gekauft, und zwischen den erst sehr lauten und am Ende sehr schlecht gelaunten Köln-Fans wedelte ich lieber nicht zu auffällig mit meiner HSV-Fahne. Damals war das noch die Regel: Dass die Gäste schlecht gelaunt waren und nicht die Gastgeber.

Auch ich bin nie ein geübter Stadion-Gänger geworden. Ich gehe nur gelegentlich in den Volkspark, und für eingefleischte HSVer, die zu jedem Auswärtsspiel mitfahren, bin ich natürlich gar kein echter Fan. Ich bin auch kein Experte, nicht immer bin ich auf der Höhe der aktuellen Taktiken oder Transfergerüchte.

Große Spiele als schönste Kindheitserinnerungen

Und doch gab es seit jenem Sieg gegen Köln im Oktober 1976 keinen Spieltag, an dem ich nicht mit den Rothosen gefiebert hätte, am Radio, am Fernseher oder am Weltempfänger, wie in den frühen 80er-Jahren, als ich mit meiner Familie im Ausland lebte – und seit ich selber zwei Söhne habe auch wieder häufiger im Stadion, wie auch immer das gerade heißt.

Zuletzt aber habe ich mich gefragt, ob man seinen Kindern das in diesen Zeiten eigentlich zumuten darf: als HSV-Fan aufzuwachsen. Zu meinen schönsten Kindheits-Erinnerungen gehören Stadionbesuche, die mit hohen Siegen endeten, wie beim 5:1 im Halbfinal-Rückspiel gegen → weiterlesen

Being Ingo Egloff

Früher habe ich gedacht, Politiker seien gar nicht so langweilig. Aber das war vor Twitter und Facebook. Jetzt weiß ich, dass es schlimmer ist. Zum Beispiel Ingo Egloff, einstmals SPD-Chef in Hamburg. „Heute Schreibtischarbeiten, Akten lesen und Gespräche“, notiert er jeden Tag bei Facebook für die Öffentlichkeit.

Manchmal wandelt er die digitalen Protokollnotizen aus seinem tristen Dasein auch ab: „Akten aufarbeiten, Sitzung vorbereiten, Gespräche führen“. Oder am Donnerstag: „Heute an den Schreibtisch, letzte Arbeiten. Einige Gesprächstermine ab mittags“. Wenn ich das lese, frage ich mich immer, was schlimmer ist: Ingo Egloff sein, oder einige Gesprächstermine bei Ingo Egloff haben.

Natürlich machen Politiker das alles nicht aus Spaß: Sie müssen ja mit den Menschen in Kontakt bleiben und zeigen, dass sie nicht überflüssig sind. Irgendjemand muss doch all die Akten lesen und Gespräche führen und die Demokratie mit Leben erfüllen. Dabei hilft auch Carsten Ovens, den sie in der CDU „Opa Ovens“ nennen, obwohl er 32 und Chef der Jungen Union ist.

Der Kosename kommt nicht von der Frisur, sondern weil Ovens, sagen manche, auftrete wie sein eigener Urgroßvater, als Mentalitätsgreis, lebendig wie ein wilhelminischer Zinnsoldat. Bei Twitter lässt er uns an seiner preußischen Beflissenheit intensiv teilhaben und protokolliert täglich all die JU- und Neumitgliederabende mit soviel Witz, dass wir uns totlachen würden. Wenn wir uns nicht längst in den Schlaf geweint hätten.

Wäre ich Hauptdarsteller der spannungsarmen Büroserien „Being Ingo Egloff“ oder „Mein Leben als Opa Ovens“, würde ich bei Facebook täglich notieren: „Heute zur Arbeit fahren, am Telefon sprechen und am Computer schreiben. Abends wird es dunkel“.

Oder: „Aufstehen, Akten lesen, hinlegen“. Nach Folge 364 würde ich rebellieren und posten: „Heute Puffbesuch und Bankraub“. Aber das würde natürlich herausgeschnitten. Man will den Zuschauer nicht verunsichern. Und nichts gibt mehr Sicherheit als eine Große Koalition der Langweiler.

Erschienen in der Rubrik „Nordlicht“ in der „Welt am Sonntag“ am 13. Oktober 2013.

Kürbisse im Luther-Kostüm

Wir sind ordentliche Protestanten. Am 31. Oktober feiern wir nicht Halloween, sondern Reformationstag. Dafür riecht es bei uns etwas strenger.

Es gibt da diesen Witz über Halloween und Politik. Eine Karikatur, die jetzt überall verbreitet wurde. Da stehen so drei Piefkes vor einer Haustür, alle ordentlich verkleidet als Gespenst, Teufelchen und Zauberer, und dann kommt ein Glatzkopf mit Rübennase und Strickpulli aus der Tür, fuchtelt rum und sagt: „Ihr habt so viele Bonbons. Ich nehm Euch die Hälfte weg und gebe sie den Kindern, die zu faul sind, von Tür zu Tür zu gehen.“ Und der kleine Zauberer denkt: „Oh scheiße, ein Sozi!“

Um es klar zu sagen: Meine Kinder tun sowas nicht. Ich habe ihnen für den 31. Oktober Luther-Kostüme genäht, dieses kapitalistische Gemüsefest wird bei uns nicht begangen, sondern der Reformationstag.

Außerdem habe ich eine Kürbisallergie, und wer soll die ganze beim Ausnehmen der Dinger entstehende Suppe essen, von der Konsistenz geflockter Milch und der Farbe von Baby… Lassen wir das.

Bettelnde Gören mit Tischtüchern über den Köpfen bekommen von uns jedenfalls weder Süßes noch Saures, sondern eine Lesung der 95 Thesen. Und wehe, einer haut vorher ab, dann wird mit dem Tintenfass geworfen.

Nach dem schmackhaften Abendessen rülpsen und furzen wir nach Luther’scher Vorgabe eine Kantate, hernach spielen wir Schach, weil man da gefahrlos Bauern erschlagen kann.

Mein Sohn hat sich jetzt zum Konfirmandenunterricht angemeldet. Manche behaupten ja, Jesus sei Sozi gewesen: Arme speisen und Reiche mit Kamelen vergleichen. Aber meinen Sohn, so mein Eindruck, interessiert weniger das Soziale, dafür eher die Technik. Überwasserlaufen, Auferstehen und so.

„Wenn Jesus alle heilen konnte“, hat er festgestellt, „dann konnte er sicher auch Fernseher und iPods durch Handauflegen reparieren.“

Das ist natürlich auch ein Grund für einen Kircheneintritt. Wer trotzdem nicht will, der soll doch Kürbisse schnitzen gehen.

Erschienen am 2. November 2013 in der Rubrik „Hamburger Momente“ im Hamburg-Teil der WELT.

 

Olaf Scholz vom Glück verlassen

Elbvertiefung vertagt, Volksentscheid verloren, Gartenschau ein Flop, Streit über Flüchtlinge und Flora: Für Hamburgs SPD-Bürgermeister Olaf Scholz häufen sich plötzlich die Probleme.

Zuletzt hat er ja mehr in die Berliner Kameras gelächelt als in die Hamburger. Ein bisschen verkniffen, wie es seine Art ist, meistens gehend im Genossen-Tross auf dem Weg zum Sondieren mit der Kanzlerin. Oft eine Hand am Sakko, die schnell noch den Knopf überprüft. Alles soll sitzen, Olaf Scholz braucht die Kontrolle. Auch über die Bilder, die es von ihm gibt. Image ist das halbe Politikerleben. Die andere Hälfte ist Handwerk. Er nennt es: Gutes Regieren.

Das mit dem Image hat Olaf Scholz fast perfekt hinbekommen. Seinen erfolgreichen Aufstieg vom zuerst belächelten, dann verhassten SPD-Generalsekretär der Agendazeit zum anerkannten Arbeitsminister und schließlich zum Hamburger Bürgermeister hat er nicht nur seinem Ehrgeiz und seinem Fleiß zu verdanken. Er ist auch Folge eines gelungenen Imagewechsels.

In Wahrheit hat sich Olaf Scholz kaum verändert in all den Jahren, er hat seinem Ich nur ein paar positive Attribute beigemengt. Früher galt er als hölzerne Sprechmaschine, als Scholzomat. Heute redet er kaum anders. Aber wenn er jetzt Tagesthemen oder Heute Journal Interviews gibt, ohne eine Miene zu verziehen und selbst nach dem Gewinn der absoluten Mehrheit kein Lächeln auf die Lippen bekommt – dann gilt das nicht mehr als langweilig und verstockt, sondern als ernsthaft und seriös. Scholz hat es geschafft, seine frühere Schwäche, seine bis an die emotionale Sterilität heranreichende Selbstkontrolle, in eine neue Stärke umzudeuten. Hier setzt einer auf Arbeit statt auf Glamour, das ist die Botschaft seiner Schmallippigkeit. Handwerk statt Gesabbel. Verantwortung statt Wolkenkuckucksheim. Mit diesem Image hat er in Hamburg die absolute Mehrheit geholt. Und so will er eines Tages Kanzler werden.

Haushalt stabilisiert – ohne viel Tamtam

Aber vorher muss er erst einmal die zweite Hälfte dessen erledigen, was das Politikerdasein eben auch ausmacht: Er muss gut regieren, und zwar zunächst einmal in Hamburg. In den ersten beiden Jahren seiner Regierung schien das ganz gut zu klappen. Er tat, was er versprochen hatte, schaffte die Studiengebühren ab und kurbelte den Wohnungsbau an. Er befriedete den Konflikt um die Elbphilharmonie – mit vielen Hunderten Millionen Euro extra zwar, aber doch auch mit Zustimmung des Steuerzahlerbundes, der seine Lösung lobte. Und es gelang Scholz mit Blick auf die Schuldenbremse, den Haushalt zu stabilisieren und zu sparen – und zwar ohne viel Tamtam. Anders als seine Vorgänger, die regelmäßig pompöse Sparklausuren inszenierten und bei den Bürgern mit ihren Heulen-und-Zähneklapper-Reden stets massive Widerstände auslösten.

Nun aber scheint sich das Blatt für Olaf Scholz ins Schlechte zu wenden. An vielen Ecken läuft es plötzlich gleichzeitig schief. Begonnen hat die jüngste Pechsträhne des Bürgermeisters mit→ weiterlesen