Total die Schwalbe!

Ich bin ein großer Freund klarer Grenzsetzungen. Leider ist meiner Zielgruppe das egal.

Ich dringe mit meinen Themen nicht durch. Dabei habe ich kluge Konzepte, was die Kindererziehung angeht. Zum Beispiel bin ich dafür, dass Acht- und Elfjährige um 22 Uhr längst im Bett sein sollten, jedenfalls an einem Wochentag. Und ich bin dagegen, dass die noch nicht mal Halbstarken, die ihre Füße unter meinen Tisch stellen, ihre klebrigen Klamotten immer exakt da fallen lassen, wo sie sie ausziehen – so als sei die Gravitationskraft bei Jungsunterhosen unüberwindbar. Allein, Konzepte hin, Konzepte her, wir haben ein Vermittlungsproblem. Erst recht, wenn Fußball läuft.

„Ab ins Bett.“ „Boah, Freistoß ganz nah am Tor.“ „Danach aber sofort.““Alllteeeer, das war Gelb!“ „Interessiert mich nicht, ihr geht ins Bett, sonst zieh ich Rot.“ „Ich hab Durst.“ „Dann träum von `ner Kiste Fanta.“

Erst geht der Eine zum Kühlschrank, öffnet die Tür in Superzeitlupe und guckt eine Minute lang teilnahmslos ins Chaos. Dann trottet der Andere hinterher. Stellt sich neben den Ersten und glotzt mit auf Gouda und Gulasch. Wie erstarrt. Erst der Lattenkracher bringt Leben zurück.

„Boah, Papa, hast du das gesehen?“ „Nein, ich gucke nur zufällig in Richtung des Fernsehers.“ „Die schießen noch ein Tor“, sagt der Kleine und macht die→ weiterlesen

Wegducken im Blumenbeet

Der Rechnungshof warnte bereits Anfang 2012 vor den finanziellen Risiken bei der Planung der Internationalen Gartenschau in Hamburg. Der Hamburger SPD-Senat und die Bürgerschaftsabgeordneten ignorierten das.

Der Erfolg hat bekanntlich viele Väter und Mütter, der Misserfolg dagegen ist ein Waisenkind. Die Internationale Gartenschau ist dementsprechend elternlos. Niemand will verantwortlich dafür sein, dass Hamburg die vom Ergebnis schlechteste igs überhaupt hingelegt hat: 25 Millionen Euro Defizit und 1,2 Millionen statt der angepeilten 2,5 Millionen Gäste. Wie konnte die Politik so danebenliegen, fragt sich der Steuerzahler, der das Loch in der Kasse stopfen muss. Wer ist schuld an den Fehlplanungen? Und: Warum hat niemand die Warnungen des Landesrechnungshofs im Jahr 2012 ernst genommen?

Aus der SPD wird mit Vorliebe darauf verwiesen, dass erste Gutachten und Planungen der igs aus einer Zeit stammen, in der die Sozialdemokraten als bitterbös zerstrittene Oppositionspartei mit allem Möglichen zu tun hatte, nur nicht mit Regierungsverantwortung. Richtig ist: Die letztlich viel zu hohen Schätzungen der Besucherzahlen stammen aus den Jahren des CDU-Senates. Auch die grüne Umweltsenatorin Anja Hajduk trug von 2008 bis 2010 Verantwortung für die igs-Vorbereitungen.

Richtig ist aber auch: → weiterlesen

Welke Blütenträume

Die Internationale Gartenschau wurde zum Flop. Dafür gibt es vor allem zwei Gründe.

Am kommenden Wochenende ist sie vorbei, und man kann es nicht bloß durch die Blume sagen: Die Internationale Gartenschau war für Hamburg ein Flop. Statt der erwarteten 2,5 Millionen Besucher werden am Ende wohl gerade einmal 1,2 Millionen gekommen sein. Die igs hinterlässt deswegen ein riesiges Defizit von voraussichtlich etwa 25 Millionen Euro, für das nun der Steuerzahler aufkommen muss. Damit hat Hamburg die zumindest im Ergebnis schlechteste Gartenschau abgeliefert, die es in Deutschland je gegeben hat.

Mögliche Gründe werden bereits seit Wochen diskutiert. Die Preise seien zu hoch gewesen, sagen die einen. Andere führen das schlechte Wetter im Frühjahr als Begründung an. Und für einige Besucher, die einfach nur schöne Gärten mit prächtigen Blumenbeeten erwarteten, war das Konzept der igs zu intellektuell. Deswegen kamen sie nicht wieder und rieten anderen vom Besuch ab. All das sind mögliche Gründe. Aber richtig überzeugend sind sie nicht.

Vergleicht man nämlich die igs mit anderen Großveranstaltungen oder mit dem Besuch eines Musicals oder eines HSV-Spiels, dann relativiert sich das Bild der angeblichen Wucherpreise schnell. Das Wetter war in der Bilanz sogar deutlich besser als von einem Hamburger Durchschnittssommer zu erwarten. Und die große Mehrheit der Menschen, die die igs in Wilhelmsburg besuchten und sich auf ihre Machart einließen, war am Ende begeistert. Wenn die Gartenschau selbst also gut gemacht und die Bedingungen in Ordnung waren – warum hat die Veranstaltung so ein hohes Minus eingefahren?

Eine zentrale Ursache für das schlechte Ergebnis dürfte in der → weiterlesen

Hamburg sollte seine Volksgesetzgebung überarbeiten

Der Streit um die Netze ist entschieden. Über den Volksentscheid aber ist noch zu reden. Mein Leitartikel aus dem Hamburger Abendblatt.

Eines kann man der SPD wirklich nicht vorwerfen: beim Volksentscheid über den Netze-Rückkauf den schlechten Verlierer zu geben. Schon am Abend der denkbar knappen Niederlage zog SPD-Fraktionschef Andreas Dressel seinen Plan B aus der Tasche, und vergangenen Mittwoch beschloss die Bürgerschaft erste Schritte für eine Übernahme der Energienetze. Damit zeigt die SPD nicht nur ein tadelloses Demokratieverständnis. Sie handelt auch im eigenen Interesse. Denn viele Wähler und Mitglieder der Partei waren für den Rückkauf und damit gegen die Linie von Bürgermeister Olaf Scholz. Gäbe es jetzt Anzeichen dafür, dass die Spitzenfunktionäre den Volksentscheid nicht mit ganzer Kraft umzusetzen suchten, könnte aus der Spaltung der Stadt in der Netzfrage schnell eine Spaltung der SPD werden. Auch Olaf Scholz stellte daher unmissverständlich klar: „Wenn entschieden ist, müssen sich alle daran halten.“

Die Debatte über Sinn und Unsinn der Rekommunalisierung ist damit vorbei, und es beginnen die Mühen der Umsetzung. Das sollte die Hamburger aber nicht davon abhalten, auch Lehren aus dem Volksentscheid zu ziehen. Das Verfahren hat nämlich Fragen aufgeworfen, über die zu reden ist. Sie betreffen vor allem die Fragestellung und die Gestaltung des Stimmzettels, die Finanzierung der Kampagnen und die Haushaltsauswirkungen von Volksentscheiden.

An die Frage, die den Abstimmenden vorgelegt wurde, war der Satz angehängt: „Verbindliches Ziel ist eine sozial gerechte (…) Energieversorgung aus erneuerbaren Energien.“ Hört sich prima an. Wer sollte etwas gegen soziale Gerechtigkeit haben? Mit Rohren und Kabeln der Energienetze aber kann man weder Sozialpolitik machen, noch Gerechtigkeit herstellen. Die Aussage auf dem Stimmzettel erweckte also einen missverständlichen Eindruck. So etwas sollte für künftige Entscheide ausgeschlossen werden. Außerdem sollte man darüber nachdenken, den Abstimmenden die Möglichkeit zur Enthaltung zu geben.

Viel gestritten wurde über die Frage, ob die Kirche eine Bürgschaft für die Initiative übernehmen durfte, zumal sich nicht unmittelbar erschließt, was Kabel und Rohre mit Bibel und Bergpredigt zu tun haben. Das ist in Wahrheit eine innerkirchliche Angelegenheit. Unter Demokratie-Gesichtspunkten müssen zwei andere Punkte diskutiert werden. Erstens: Sollten Spenden an Volksinitiativen künftig steuerlich absetzbar sein, um diesen eine passable finanzielle Ausstattung zu sichern? Zweitens: Kann und soll ein so drastisches Ungleichgewicht der Finanzkraft, wie wir es jetzt erlebten, künftig verhindert werden?

Während die Initiative über die eingesetzten 190.000 Euro öffentlich Rechenschaft ablegen muss, schweigen sich die maßgeblich von Wirtschaftsverbänden gegründete Gegen-Initiative und Vattenfall über ihre Mittel aus. Die Fülle der Anzeigen und Spots lassen die Schätzungen von 10 bis 20 Millionen Euro durchaus plausibel erscheinen. Das ist ein krasses Missverhältnis der Kräfte. Es steht dahin, ob es für dieses Problem eine Lösung gibt. Diskutiert werden muss darüber dennoch.

Bleibt die Frage, ob ein Volksentscheid über so große Summen überhaupt vertretbar ist. Ich meine: Ja. Jeder Volksentscheid hat Auswirkungen auf die Finanzlage der Stadt. Wollte man das verhindern, müsste man die direkte Demokratie abschaffen. Im Übrigen haben die vergangenen Jahrzehnte nicht gezeigt, dass Parlamente besser mit Geld umgehen als die Bürger selbst. Diskutieren sollte man, ob Initiativen künftig auch Finanzierungskonzepte für ihre Vorhaben vorlegen müssen.

Vielleicht muss sich der sprichwörtliche Pulverdampf erst verziehen. Danach aber sollten Bürgerschaft und Initiativen sich an eine weitere Verfeinerung der Volksgesetzgebung machen. Dieses Instrument ist in Hamburg mittlerweile viel zu wichtig, um seine Schwächen zu ignorieren.

Erschienen am 28. September 2013 als Leitartikel im Hamburger Abendblatt.