Pater Karol

Keine Ahnung, wie es Ihnen geht, aber ich habe genug. Ich denke ernsthaft darüber nach, mich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu wenden, außerdem an Obama und den Lama. Mit dem, was die Hamburger Bürgerschaft jetzt beschlossen hat, nimmt sie nämlich billigend den Tod unschuldiger Menschen aus aller Welt in Kauf. Zum Beispiel den eines polnisches Pfarrers, den ich vor Jahren in Südamerika kennenlernte.

Pater Karol konnte nicht essen, ohne dabei zu rauchen. Genau genommen konnte er nichts tun, ohne zu rauchen. Er rauchte sogar im Gottesdienst (heimlich hinter Heiligenfiguren), beim Religionsunterricht (in dem er sich außerdem verschwörerisch über den Diktator und den Papst lustig machte) und ganz sicher auch auf der Toilette. Gut, dass er dem Zölibat unterlag, sonst hätte der wegen seiner wasserblauen Augen begehrte Pole sicher täglich die Kopfkissen einheimischer Frauen in Brand gesetzt mit seinen Kippen. Beim Essen machte er es so: ein Gäbelchen Mandiok, darauf eine Wölkchen Qualm, ein Stück zähes Rind plus frisches Nikotin, ein Löffelchen Suppe, ein Zug aus der Fluppe. Nehmen wir an, Karol (falls er noch lebt) verschlüge es nach Hamburg. Er würde nach ein paar Tagen Hungers sterben. Denn unser Parlament hat beschlossen, dass wer raucht, nicht essen darf, und wer isst nicht rauchen. Karol also würde elendig zugrunde gehen.

Immerhin haben sich in dieser Woche 50 bis 70 Hamburger zusammengefunden, die gegen die Rauch- und Essverbote demonstriert und erkannt haben, dass es nicht nur um Menschen wie Karol geht. Es geht um Größeres, es geht um das höchste Gut des menschlichen Daseins: die Freiheit. Dass sich ein paar der Freiheitskämpfer bei der Kundgebung auf dem benieselten Heiligengeistfeld Zigaretten nicht nur in den Mund, sondern auch in die Ohren steckten, sollte nicht etwa beweisen, dass ein richtiger Raucher aus allen Öffnungen qualmen kann. Nein, die Kippen in den Ohren sollten helfen, das penetrante Gepredige all dieser Umwelt-, Klima- und Gesundheitsapostel zu überhören, die behaupten, Rauchen sei schädlich. Und die erklären, wenn sie schon neben Süchtigen sitzen müssten, dann lieber neben Junkies. Die stänken nicht so wie Raucher.

Wenn Sie mich fragen, ich saß immer gerne neben Karol. Der konnte beim Essen und Rauchen nämlich auch noch erzählen. Meist von den großen Freiheitskämpfen der menschlichen Geschichte.

Erschienen am 12. Dezember 2009 in der Rubrik „Hamburger Momente“
in WELT und WELT ONLINE Eine Sammlung von Jens Meyer-Wellmanns Kolumnen über den alltäglichen Familien- und sonstigen Wahnsinn gibt es unter dem Titel „Schrei mich nicht an, ich bin ein Wunschkind“ auch als eBook bei Amazon, und zwar hier.

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