Antwort auf Stefan Niggemeier

Der Medienjournalist Stefan Niggemeier hat in seinem Blog die Einführung von Bezahlinhalten beim „Hamburger Abendblattkritisiert – und ist dabei mit einem Artikel des Abendblatt-Vizechefredakteurs Matthias Iken hart ins Gericht gegangen. Dieser hatte in dem Beitrag „Den Webfehler endlich beheben“ die Paid-Content-Offensive begründet und eine „Freibier-Mentalität“ im Netz moniert. Niggemeier nennt Iken einen „dahergelaufenen Vize-Chefredakteur“ und geißelt dessen Text. Konstruktive Vorschläge zur Rettung des weltweit in seiner Existenz bedrohten Journalismus hat Niggemeier nicht zu bieten. Ein offener Brief.

Lieber Stefan Niggemeier,

man kann über Texte streiten. Man kann Formulierungen in Editorials kritisieren und über das unsichere Hin oder Her der Verlage in Sachen Bezahlinhalte im Netz lästern. Man kann auch erläutern, warum Werbung im Internet nicht mehr viel einbringt. Man kann zum x-ten Mal die notorischen Datensammler von Google als Beispiel für alles und jedes preisen (und diese weltweit agierende Firma sogar zum Maßstab für eine naturgemäß örtlich begrenzt handelnde Regionalzeitung erheben). Von mir aus. All das aber beantwortet nicht die zentrale Frage: Wie kann Qualitätsjournalismus in Zukunft finanziert werden?

Angesichts der schwindenden Printauflagen, der Abwanderung von Werbung ins Internet, wo sie aber (Sie haben erläutert, warum) kaum Geld einbringt, wird in den Redaktionen immer stärker gespart. Journalisten sind immer höheren Belastungen ausgesetzt, sie müssen mit weniger Kollegen immer mehr und immer komplexere Aufgaben übernehmen. Weil die Geschäftsmodelle der Vergangenheit nicht mehr funktionieren und journalistische Inhalte seit Jahren verschenkt werden, droht eine Abwärtsspirale mit sinkender Qualität, sinkenden Einnahmen, neuen Sparrunden und weiter sinkender Qualität. Das ist es, worauf der Kollege Iken verweist, wenn er schreibt: „Wer Qualitätsjournalismus zum Nulltarif will, will keinen Qualitätsjournalismus.“

Ohne Paid Content ist Qualität aber momentan kaum zu sichern. Sie schreiben es ja selbst in Ihrem Blogeintrag: Die Werbeeinnahmen sind erstens sehr gering. Und zweitens ist es fraglich, ob unabhängiger Journalismus langfristig möglich ist, wenn er ausschließlich durch Werbung finanziert wird.

Weil es kein funktionierendes Geschäftsmodell mehr gibt, haben Hunderte von Kolleginnen und Kollegen aus meiner Branche, der Medienbranche, ihre Jobs verloren. Es hat alle getroffen. Die Magazin-Journalisten, die von überregionalen Zeitungen (von FAZ über SZ bis FR) und von vielen großen und kleinen Regional- und Lokalblättern. Und wenn nicht bald ein Geschäftsmodell gefunden wird, dann geht das womöglich so weiter – bis es keinen Journalismus und keine Journalisten mehr gibt.

Kann man da nicht verstehen, dass Verleger und Journalisten nach einem Ausweg aus dieser Existenzkrise suchen? Kann man unsere Suche nach Lösungen wirklich nur mit Häme und Herablassung begleiten?

Ich bin ein großer Anhänger einer gerne auch hart geführten Auseinandersetzung – solange es ein konstruktives Ziel gibt. Was aber bleibt von Ihrem Beitrag, Ihrer Kritik übrig, abgesehen davon, dass Sie sich an einem Text von Matthias Iken abgearbeitet haben?

Eine tragfähige Lösung für die existenziellen Probleme unserer Branche haben Sie nicht aufgezeigt (mal abgesehen von dem Vorschlag, einzelne Artikel zu Kleinstbeträgen anzubieten, was meines Wissens bisher nirgends funktioniert hat, auch weil die Bezahlsysteme dafür nicht ausgelegt sind – aber belehren Sie mich eines Besseren).

Der Journalismus aber, nicht nur in Hamburg, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit, braucht eine Lösung. Sonst wird er verschwinden. Vielleicht würde sich mancher Politiker darüber freuen. Vielleicht auch manche Blogger, die (wie dummerweise auch manche Journalisten) glauben, dass Blogger und Journalisten Feinde zu sein haben. Für die (Welt-)Gesellschaft, in der wir leben aber, wäre es fatal. Ich glaube, und da teile ich die Ansicht des von Matthias Iken zitierten Jürgen Habermas: Keine Demokratie kann sich ein Marktversagen leisten, wenn es um seriösen Journalismus geht.

Sehen Sie das anders?

fragt mit herzlichem Gruß

Jens Meyer-Wellmann

2 Kommentare

  1. Jens, danke für diesen Diskussionsbeitrag. Er rückt einiges zurecht. Um es gleich klar zu sagen: Ich bin für paid content, nutze selber auch einige Angebote. Qualitätsjournalismus gibt es nicht zum Nulltarif. D’accord! Ist Dir aber mal aufgefallen, dass sich vor allem am ersten Tag nach Bekanntgabe des neuen Abendblatt-Angebots rund 70 Prozent der Kommentatoren über die mangelnde Qualität des Abendblatts beklagen. Das muss man ernst nehmen, Iken geht leider nicht darauf ein. Mir scheint, die drohende Abwärtsspirale dreht sich längst, da hilft nur eine gewaltige Kraftanstrengung von… Ja, von wem? Möglicherweise machst Du da einen Denkfehler. Erwartest Du wirklich, dass die Kunden in Vorleistung gehen? Und wenn sie dann genug gezahlt haben, steigert das Abendblatt wieder seine Qualität? Das funktioniert nicht.

    Konkret: Regionales und Lokales kosten jetzt was. Ich weiß ja aus eigener leidvoller Erfahrung, welche Auswirkungen das im Regionalen hat. Und genau das soll jetzt Qualitätsjournalismus sein und Geld kosten?

  2. Meyer-Wellmann hat mit vielem Recht – und trotzdem klingt es ein bisschen, als beklage Uli Hoeness die Kommerzialisierung des Fußballs.

    Ein paar Anmerkungen: Die Entscheidung, journalistische Arbeit – ganz gleich welcher Qualität – umsonst anzubieten, haben allein Redaktionen und Verlage zu verantworten – keine finsteren Mächte. In soweit ist die Klage über die „Geiz-ist-geil“-Mentalität zwar nachvollziehbar und berechtigt. Sie als Vorwurf gegen Internetnutzer zu biegen, ist aber so problematisch als würde ein Schnapsfabrikant seinen Kunden das Saufen vorwerfen.

    Geschwiegen wird in der laufenden Debatte bisher über den skurrilen Umstand, dass die Klage über die EXISTENZ der „Geiz-ist-geil“-Mentalität jetzt ausgerechnet von den Branchen geäußert werden, die das ENTSTEHEN dieser Mentalität durch ganzseitige Anzeigen, PR-Preise, Campaign-Awards etc. pp. in entscheidendem Maße gefördert hat. Der Hinweis auf die Trennung von Redaktion und Marketing wirkt da so bemüht wie das Insistieren eines Politikers, er habe die Wiedereinführung der Prügelstrafe als Privatmann gefordert und nicht als Abgeordneter.

    Marktgläubig wie ich bin, bin ich davon überzeugt, dass Menschen bereit sind, für Qualität zu zahlen. Ein teurer Anzug hält in aller Regel länger als ein billiger.
    Wenn – was ich befürchte – das Interesse an PaidContent gering bleiben wird, dann muss das nicht auf Dummheit oder Charakterschwäche der User zurückzuführen sein. Es KANN auch damit zu tun haben, dass Kunde und Produzent unter QUALITÄT etwas anderes verstehen.

    Einer der vielen Lehrer, die an mir verzweifelt sind und umgekehrt, hat mal gesagt: „Qualität ist, wenn die Auflage steigt.“ – Gewinn ist geil. Gute Nacht.

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