Ole Paulus, Ole Saulus

Es gehört zu den misslichen Gepflogenheiten der Politik, Verantwortung für Negatives bei denen abzuladen, die sich bereits aus Amt und Würden verabschiedet haben. Derzeit praktiziert auch die Hamburger CDU dieses Ritual, indem sie den eigenen Niedergang in den Umfragen mehr oder weniger direkt ihrem ehemaligen Bürgermeister Ole von Beust in die Schuhe zu schieben versucht. Der neue Senatschef Christoph Ahlhaus und Parteichef Frank Schira vermitteln den Eindruck, als habe von Beust die bei CDU-Wählern unbeliebte Schulreform in Partei und Fraktion quasi im Alleingang durchgesetzt. Dabei war es Schira, der als Fraktionschef die CDU-Abgeordneten auf Primarschul-Linie brachte, damit sie dem umstrittenen Schulgesetz zustimmten. Auch von Ahlhaus, seit 2008 Innensenator, ist Widerstand gegen die Schulpolitik und andere schwarz-grüne Kompromisse nirgends verzeichnet.

Daher mutet es wenig aufrichtig an, nun die einstige Lichtgestalt Ole von Beust, dem die Hamburger CDU eine mittlerweile neunjährige Regierungszeit und die bisher einzige absolute Mehrheit in Hamburg zu verdanken hat, zum Buhmann zu stilisieren. Geradezu unanständig ist es, wenn Ahlhaus und Schira jetzt zulassen, dass der von ihnen als Parteiloser auf die CDU-Liste geholte Primarschulverhinderer Walter Scheuerl den Ex-Bürgermeister düpiert, indem er verkündet, dieser sei „im Wahlkampf nicht gefragt“. So geht man, bei allem möglichen Dissens in der Sache, nicht mit einem früheren Senatschef um.

Natürlich kann und muss eine Partei bisweilen ihren Kurs anpassen, und es ist sicher nicht falsch, dass die CDU sich wieder stärker um zuletzt vernachlässigte konservative Wähler kümmert. Eines sollten die Strategen aber nicht vergessen: Ihre größten Erfolge hat die Hamburger CDU mit einem liberalen Profil unter Ole von Beust gefeiert. Selbst während der hitzigsten Debatten über die Schulreform lag die CDU unter seiner Regierung noch bei 36 Prozent. Heute bei 22.

Die CDU-Führung täte daher gut daran, einen anständigen Umgang mit Ole von Beust zu pflegen und von anderen einzufordern. Alles andere würde der Partei weiteren Schaden zufügen.

Erschienen am 28. Dezember 2010 in WELT und WELT ONLINE. Eine Sammlung von Jens Meyer-Wellmanns Kolumnen über den alltäglichen Familien- und sonstigen Wahnsinn gibt es unter dem Titel „Schrei mich nicht an, ich bin ein Wunschkind“ auch als eBook bei Amazon, und zwar hier.
 

 

4 Kommentare

  1. So ist es eben, wenn eine Partei das Ziel Macht erreichen und Macht erhalten über alle die eigentlichen Ansichten und Prinzipien stellt. Es mag über Jahre hinweg gut gehen aber irgendwann kommt dann das bittere Ende.
    Mit Ole von Beust hat man einen Repräsentanten gehabt, der nirgendwo richtig aneckte und der irgendwie etwas hanseatisches- liberales hatte. Wobei ich nicht weiß, was das eigentlich genau war – denn politische Profil war es nicht womit Herr von Beust die Stimmen für die CDU holte – aber egal damit stände man sich und seiner Partei im Zweifel auch nur selbst im Wege.

    Nach dem Motto der Macht und Machterhalt zählt durfe es darum auch eine Koalition mit dem koksenden Richter Gnadenlos sein. In der Hoffnung, daß dies mit der GAL genauso klappen würde kam diese dann als Koaltionspartner genaus gut in Frage.

    Bei den Koaltionsverhandlungen waren Inhalte für Herr von Beust wohl eher Nebensache und so wurde Moorburg und Stadtbahn genauso durchgewinkt wie die Primarschule.
    Moorburg erledigte sich dann von allein, die Stadtbahn (sinnvoll oder nicht) hat erstmal die Finanzkrise dahingerafft und über die Primarschule und Herrn Scheuerl sind dann CDU, GAL aber auch die SPD (zu ihrem großen Glück in dieser Zeit in der Opposition) gestolpert.

    Natürlich ist die 180 Grad Wende von Herr Ahlhaus lächerlich und verzweifelt und das verhalten gegenüber v. Beust neben der Spur. Wäre die Wende am 19.Juli erfolgt, wäre sie noch halbwegs glaubhaft oder zumindest nachvollziehbar gewesen und hätte dem Machterhalt wohl noch gedient. Aber Ahlhaus macht gleich noch den nächsten kapitalen Fehler und hält an Herrn Frigge fest. Diese Hinterlassenschaft aus der unseligen Buddy-Ecke von Herrn von Beust (http://www.buzzmachine.de/tag/filz/) bricht ihm endgültig das Genick.

    Und was kommt nun?
    Scholz kann doch mit der GAL genauso wenig anfangen wie Ahlhaus und Spaß hätten die beiden Parteien auch nicht zusammen (und die Wähler von SPD und GAL auch nicht).
    Absolute Mehrheit für die SPD wäre ganz nett – dann kann sich hinterher wenigstens keiner rausreden.

    Mein Geheimfavorit: Große Koalition (wenn man die Koalition mit einer 20 plus minus x Volkspartei denn noch so nennen darf)

  2. @Rüdiger Burg: In der Tat glaube ich, dass die CDU in jüngster Zeit kritische Kommentare verdient hat. Und mit diesem Glauben bin ich wahrlich nicht allein. Als pars pro toto hier die Analyse „Avanti dilettanti“ des geschätzten WELT-Kollegen Uwe Bahnsen aus den Wochen vor dem Koalitionsbruch der Grünen: http://www.welt.de/print/die_welt/hamburg/article10863350/Avanti-dilettanti.html

    Ehrlich gesagt vermisse ich vor allem etwas Rückgrat bei vielen der aktuellen Hamburger CDU-Politiker. Gestern für, heute gegen die Stadtbahn. Gestern für, heute gegen eine Schulreform. Vorgestern (nach Peiners Abgang) den Haushalt ruinieren, gestern sparen wollen wie noch nie, heute die Sparbeschlüsse wieder aufheben. Ganz gleich, welche Partei sich so präsentierte: Ich würde ein solches Verhalten kritisch kommentieren. Weil es nicht in Ordnung ist – und Hamburg verlässliche und professionelle Politik braucht.

    Und die Kritik von Ahlhaus an von Beust war doch mehr als deutlich. Oder gegen wen richtet sich die Aussage, man habe 2008 bei den Koalitionsverhandlungen den eigenen „Markenkern“ aufgegeben? (Vgl. HA vom 8.12.: http://www.abendblatt.de/hamburg/kommunales/article1720508/Christoph-Ahlhaus-geht-auf-Distanz-zu-Ole-von-Beust.html). Oder wie deuten Sie es, wenn Ahlhaus und Schira den schärfsten Gegner der Beust-Politik auf die eigene Liste holen und sich die CDU schon bei dessen Präsentation von diesem scharf kritisieren lassen muss und Scheuerl jetzt sogar öffentlich den Ex-Bürgermeister düpieren darf?

    Ich sehe das Problem, das die CDU hat. Das ist keine beneidenswerte Lage, weil man so oder so nicht mehr glaubwürdig wirkt. Die Gegner der Schulreform hätten 2008 aufstehen und Rückgrat zeigen müssen, das wäre glaubhaft gewesen. Wo war Ahlhaus damals? Wo Schira? Wo all die anderen, die sich heute kritisch äußern?

    Dass ich all das nicht allein so sehe, belegen nicht nur die Kommentare der Journalisten-Kollegen. Sie können es vor allem an den Umfragen ablesen.

    Beste Grüße, jmw

  3. @Jens Meyer-Wellmann: Ihre Kommentare sind in der letzten Zeit immer wieder gegen die CDU gerichtet. Zum Glück sind es Kommentare. Sie spiegeln offensichtlich Ihre Meinung wieder. Viele sehen es jedoch anders.

    Deshalb hier mein Kommentar zu Ihrem Kommentar:

    1. Es gehört nicht zu „den misslichen Geflogenheiten DER Politik“ – wie Sie schreiben – , „Verantwortung für Negatives bei denen abzuladen, die sich bereits aus Amt und Würden verabschiedet haben“. Nach Ihrem Bild handeln alle Politiker so. Ich würde nie sagen, dass alle Journalisten mies schreiben.
    2. Die CDU-Senatsmitglieder und auch die CDU-Fraktion haben sich penibel an den Koalitionsvertrag gehalten. Der sah die Primarschule vor. Ole von Beust hat sich jedoch, während die Abstimmung zum Volksentscheid lief, für viele in der CDU zu eindeutig für die Primarschule positioniert. Die CDU war in dieser Positionierungsphase schon gespalten. Schon nach dem Volksentscheid waren Seiten über die Schulpolitik aus dem Koalitionsvertrages gerissen worden. Die CDU hätte schon dann Neuwahlen durchsetzen sollen.
    3. Niemand aus der CDU hat – wie Sie schreiben – Ole von Beust jetzt je „zum Buhmann“ stilisiert. Minutenlanger Applaus bei seiner Verabschiedung auf dem Parteitag sprechen eine andere Sprache. Die CDU hat jedoch im Bereich der Schulpolitik wieder Ihre alte gute Position eingenommen. Die Frage ist jedoch, ob man Ole von Beust diese Kehrtwendung abnimmt und ob er die Kehrtwendung auch im Wahlkampf glaubhaft vertreten kann.

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