Offenheit zahlt sich aus

Die Volksinitiative „Transparenz schafft Vertrauen“ will Hamburg zur Stadt der gläsernen Verwaltung machen. Alle städtischen Verträge, Gutachten, Senatsbeschlüsse etc. sollen frei zugänglich ins Internet gestellt werden. Ein Kommentar.

Gelegentlich muss man von lieb gewonnenen Legenden Abschied nehmen. Eine davon ist die der sogenannten Schwarmintelligenz, wonach das Zusammenspiel der vernetzten Massen im Internet stets in besonders kluge Entscheidungen mündet. Spätestens seit sich, wie kürzlich in Emden, der Mob über Facebook sogar zum Lynchen verabredet, dürfte dieser Mythos vollends zerstört sein.

Auch Niveau und Tonfall und die Hysterie vieler Internetdebatten sprechen nicht dafür, dass in der Summe aus dem Netz vor allem Intelligentes kommt. Aber das kann man ja auch nicht ernstlich erwarten.

Schließlich ist das Internet ein Kanal, eine Technologie, mehr nicht. Für das, was dort kommuniziert wird, sind die Nutzer selbst verantwortlich. Man würde ja auch nicht der Telefontechnik ankreiden, dass an Telefonen Unmengen dümmlicher Gespräche geführt werden.

Aber natürlich kann man das Internet auch klug nutzen – etwa politisch. Um die Bürger stärker einzubeziehen, sie mehr zu beteiligen und so die bisweilen lendenlahm wirkende Demokratie zu stärken – und umgekehrt: um die Regierenden besser zu kontrollieren.

Das ist auch das Ziel des Hamburger Transparenzgesetzes, das die Volksinitiative „Transparenz schafft Vertrauen“ anstrebt, die am Sonntag ihr Volksbegehren anmelden will. Danach sollen sämtliche Verträge, die die Stadt schließt, ins Internet gestellt werden, ebenso wie alle Verwaltungsvorschriften oder alle auf Kosten der Steuerzahler erstellten Gutachten und Statistiken.

Grundsätzlich ist dieser Ansatz richtig. Denn es muss auch mit einer zweiten Legende aufgeräumt werden: der Vorstellung, dass mit Herrschaftswissen ausgestattete Fachleute und Spitzenpolitiker stets weiser entscheiden, als das beteiligte Volk, als der Schwarm es tun würde. Man muss nur den Verkauf der HEW oder die miserable Gestaltung der Elbphilharmonie-Verträge erwähnen, um zu zeigen, wie unklug einsame Spitzenentscheidungen ausfallen können. Mehr Transparenz und öffentliche Kontrolle könnten künftig für mehr Sorgfalt bei der Ausgestaltung von Verträgen sorgen und Korruption verhindern. So kann sich mehr Offenheit für alle auszahlen.

Freilich muss auch die Transparenz ihre Grenzen haben – etwa dort, wo es um den Schutz von Persönlichkeitsrechten oder Betriebsgeheimnissen geht. Weisheit der Massen hin, Klugheit der Weisen her – am Ende gilt auch bei diesem Thema und auch im Internetzeitalter noch der Klassiker des Aristoteles: Die Weisheit liegt in der Mitte.

Erschienen am 12. April 2012 in WELT und WELT ONLINE. Der aktuelle Artikel zum Thema findet sich hier. Eine Sammlung von Jens Meyer-Wellmanns Kolumnen über den alltäglichen Familien- und sonstigen Wahnsinn gibt es unter dem Titel „Schrei mich nicht an, ich bin ein Wunschkind“ auch als eBook bei Amazon, und zwar hier.

 

Ein Kommentar

  1. Schwarmintelligenz sollte nur in dem richtigen Kontext angeführt werden: Freiheit und Verantwortung! Erhält der Schwarm Verantwortung (in einem geeigneten Regelungsrahmen) entscheidet er auch nicht unintelligenter als diejenigen, die angeblich durch ihr Amt geläutert worden sein sollen! Der Mob hat nichts mit Schwarmintelligenz zu tun.
    Übrigens zählt auch der Schutz des Urheberrechtes zu den Problemfeldern jeglicher Transparenzinitiative, dem Rechnung getragen werden muss.

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