Nehmen Sie doch Platz auf meinem Rucksack!

Wer sich im Bus oder in der Bahn neben ihn setzt, hat der Nah- oder Fern-Reisende weitgehend selbst in der Hand.

Natürlich ist der Mensch ein geselliges Wesen, aber nicht ununterbrochen. Manchmal will er lieber allein sein, unbedrängt und ungestört, mit möglichst viel Freiraum rund um den eigenen Bauch.

Das gilt nicht nur für den Loriot’schen Ehemann, der „einfach nur sitzen“ will, sondern auch für fast jeden Normalo auf einer längeren Busfahrt. Oder (U-)Bahnfahrt. Da darf der Nebenplatz gern frei bleiben, die Komfortzone kann nicht groß genug sein.

Um dieses Ziel zu erreichen, haben die Menschen im Zuge der Evolution ausgefeilte Strategien entwickelt. Ein Kollege etwa setzt sich im Bus stets auf den Gangplatz, stellt auf den Fensterplatz eine offene Coladose und legt daneben ein krümelndes Baguette.

Mit dieser Taktik sei er immer gut, also ohne lästigen Sitznachbarn gefahren, behauptet er. Denn wer will sich schon in einen Haufen feuchter Krümel neben einen ostentativ schmatzenden Grobian setzen?

Andere stellen Rucksäcke auf den Nebenplatz oder fläzen sich über alle erreichbaren Sitze. Beliebt ist auch die Taktik, irre aus dem Fenster zu starren. Oder den MP3-Player mit Zwölftonmusik oder Metallica zu füttern und voll aufzudrehen.

Freilich ist man gut beraten, es nicht zu übertreiben. Eine amerikanische Soziologin hat das Sitzverhalten in Greyhound-Bussen analysiert.

Ihr Fazit: Wenn der Bus voller wird, macht man den Nebenplatz besser betont freundlich frei, sobald sich ein sympathischer Mensch nähert. Andernfalls setzt sich am Ende der letzte Zugestiegene neben einen.

Fast immer ein Wüstling, der sich um nasse Krümel nicht schert, säuerliche Bierrülpser ausstößt und wirklich zehn Stunden lang Metallica hört.

Erschienen am 29.09.2012 in DIE WELT. Ein Interview mit der erwähnten Soziologin Esther Chihye Kim findet sich hier.
 
 
 

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