Die Angst der SPD vor der Transparenz

Der Hamburger SPD-Senat wird immer häufiger gerügt, weil er parlamentarische Anfragen von Abgeordneten nicht offen genug beantwortet.  Das passt zu einer Partei, deren Kanzlerkandidat behauptet, Transparenz gebe es nur in Diktaturen. Ein Kommentar.

Transparenz, so hat es SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück kürzlich behauptet, gebe es nur in Diktaturen. Man weiß nicht genau, in welchen transparenten Diktaturen der Spitzengenosse solch erstaunliche Erfahrungen gesammelt hat.

Und man fragt sich zugleich, was diese Aussage etwa für skandinavische Staaten bedeutet, in denen sämtliche Einkommensteuererklärungen im Internet veröffentlicht werden.

Sind Norwegen und Schweden also totalitäre Transparenz-Diktaturen? Und was heißt der steinbrücksche Satz für die USA? Dort können die Bürger seit bald 50 Jahren aufgrund des Freedom of Information Act Einsicht in fast alle Regierungsdokumente nehmen. Ist derlei Transparenz diktatorisch, weil sie die Regierung zur Offenheit verpflichtet?

Mitnichten. Der mündige Bürger hat ein Anrecht zu erfahren, was die von ihm beauftragten Regenten in seinem Namen treiben. Er sollte auch wissen, welche seiner Abgeordneten Bundestagsdebatten schwänzen, weil sie lieber dicke Honorare für launige Reden kassieren, anstatt dem Wählerauftrag nachzugehen.

Steinbrücks dümmlicher Diktaturenvergleich ist aber nicht allein der transparente Versuch, die Geheimhaltung seiner exakten Redehonorare zu verteidigen. Sie ist auch symptomatisch für das gespaltene Verhältnis der politischen Klasse zum Thema Transparenz.

Man gibt sich, auch aufgrund der Erfolge der Piratenpartei, gern offen. In Hamburg ist nun sogar ein Transparenzgesetz in Kraft getreten, das den Bürgern die Einsichtnahme in Regierungspapiere erleichtert. Und doch: In Wahrheit ist die Idee der gläsernen Regierungszentralen der politischen Elite nicht geheuer. Auch dem Hamburger SPD-Senat nicht.

Anders lässt sich nicht erklären, dass die Zahl der Beschwerden über die mangelnde Auskunftsbereitschaft der Regierung in Hamburg sprunghaft angestiegen ist, seit Olaf Scholz Bürgermeister ist. So sehr wie der Scholz-Senat hat lange keine Hamburger Regierung mehr gemauert, wenn es um die Beantwortung von Großen und Kleinen Anfragen der Oppositionsfraktionen ging.

Die Schizophrenie, einerseits ein Transparenzgesetz zu verabschieden und andererseits der Opposition ihr zustehende Informationen zu verweigern, zeigt vor allem eines: Der nötige Mentalitätswechsel ist von den SPD-Regenten noch nicht vollzogen worden.

Es wird Zeit, dass die Genossen auch in Hamburg begreifen, dass Transparenz nichts mit Diktatur zu tun hat – sondern mit gelebter Demokratie.

Erschienen am 9. Oktober 2012 in DIE WELT. Der Artikel über die mangelhafte Beantwortung von Anfragen und die angedrohte Klage der CDU gegen den SPD-Senat findet sich hier.
 
 
 
 
 

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