Hamburgs heimlicher Oppositionsführer

Manfred Braasch ist der mächtigste Gegenspieler des Hamburger Bürgermeisters. Der BUND-Chef hat die Elbvertiefung einstweilen verhindert. Jetzt will er Olaf Scholz zwingen, die Energienetze der Strom- und Gasleitungen zurückzukaufen. Für rund zwei Milliarden Euro. Ein Porträt.

Stellt man sich so einen Volkstribun vor? Einen, der die Massen mobilisiert, die Mächtigen herausfordert, gar einen König bezwingt? Manfred Braasch ist ein mittelgroßer Mann mit nicht so vielen Haaren, der hinter einer Brille mit nicht so dünnen Gläsern ernst in die Welt blickt. Ernst und gerade. Aber auch ein wenig schalkhaft. Bei passender Gelegenheit stets zu einem Spötterspruch bereit.

BUND-Chef Manfred Braasch an der Alster. (Foto: Bertold Fabricius, pressebild.de)

Kein Volkstribun im klassischen Sinne also, auch kein Populist im modernen. Keiner, der volle Hallen zum Tosen bringt. Und doch ist Manfred Braasch, Vater zweier Töchter, Vegetarier, passionierter Nudelesser und Landesgeschäftsführer des Bundes Umwelt und Naturschutz Deutschland der dieser Tage wohl mächtigste Gegenspieler des Hamburger SPD-Bürgermeisters Olaf Scholz. Der wird wegen seiner großen Machtfülle „König Olaf“ genannt. Gegen den BUND-Chef macht er aber bisher keinen Stich.

Braasch und sein Verband haben mit ihrer Klage die Elbvertiefung einstweilen gestoppt, die der Bürgermeister und mit ihm die große Mehrheit der Hamburger für so wichtig halten. Er droht gerade damit, die Stadt wegen der laut EU-Prüfung deutlich zu hohen Luftbelastung per Gerichtsverfahren zu radikalen Maßnahmen gegen den Autoverkehr zu zwingen.

Und nun schickt er sich auch noch an, den Bürgermeister zu etwas zu nötigen, gegen das dieser sich mit Händen und Füßen und allem, das man im öffentlich Meinungskampf so einsetzen kann, zur Wehr setzt. Braasch ist nämlich auch Sprecher der Initiative „Unser Hamburg – unser Netz“, die einen vollständigen Rückkauf der Hamburger Energienetze durchsetzen will.

Mehr als 35.000 Kilometer Kabel, Rohre und Fernwärmeleitungen, die in der Hamburger Erde liegen, soll die Stadt von Vattenfall und Eon erstehen, fordert die Initiative. Das sei unerlässlich für das Gelingen der Energiewende und außerdem ein gutes Geschäft, glauben Braasch und seine Mitstreiter in Verbraucherzentrale, Nordkirche und bei den Grünen.

Die Chancen, dass seine Initiative sich auch hier durchsetzt, stehen gut. 64 Prozent der Hamburger haben sich kürzlich bei einer Umfrage für den vollständigen Rückkauf der Leitungen ausgesprochen. Dass Bürgermeister Olaf Scholz nicht jedes Mal die Hände vors Gesicht schlägt, wenn der Name Braasch fällt, liegt vermutlich nur daran, dass diese Geste nicht zu seinen Reaktionsmustern zählt, wie er kürzlich sagte.

„Macht ist ein merkwürdiger Begriff“

Ihren großen Einfluss beziehen Braasch und der BUND vor allem aus drei Quellen: dem Verbandsklagerecht der Umweltverbände gegen Großvorhaben wie die Elbvertiefung. Aus der Hamburger Volkgesetzgebung, mit deren Hilfe die Initiative den Netzerückkauf per Volksentscheid am Tag der Bundestagswahl durchsetzen will. Und aus der großen Unterstützung, die Umweltschützer mittlerweile in Deutschland genießen.

Fragt man den gerade noch 48-Jährigen, dessen Name mittlerweile fast so häufig in den Zeitungen zu lesen ist wie der des Bürgermeisters, wie sich diese Macht anfühlt, dann wiegelt er ab. Macht – das sei doch in diesem Zusammenhang ein merkwürdiger Begriff, sagt er. Es gehe beim Engagement des BUND allein um die Sache. Darum, dass „die Löffelente und der Schierlingswasserfenchel sonst niemanden haben, der sich für ihr Überleben einsetzt“. Nur deswegen sei das Verbandsklagerecht eingeführt worden, wohlgemerkt auch auf Betreiben von FDP-Politikern wie Gerhart Baum.

Es sei doch auch seltsam, dass man hierzulande so gerne den Schutz der brasilianischen Regenwälder fordere, wenn es aber darum gehe, eines der letzten europäischen Süßwasserwattgebiete wie das Mühlenberger Loch zu schützen, dann zucke man mit den Schultern.

Überhaupt: das Mühlenberger Loch. Braaschs erste große Niederlage. Airbus hat sich auf ganzer Linie durchgesetzt. Als Braasch 1996 Geschäftsführer des BUND in Hamburg wurde, war der Kampf gegen die Airbus-Erweiterung und für den Erhalt des Mühlenberger Lochs seine erste große Herausforderung. Damals war er noch nicht so erfahren wie heute, vielleicht muss man sagen: nicht so abgebrüht. „Wenn es spitz auf Knopf steht, dann sieht man, wie es läuft. Dann wird getrickst und geschoben.“ Das habe er damals gelernt. „Ich habe die Erkenntnis mitgenommen, dass man sich die Dinge wirklich erstreiten muss.“ Und das ist es, was er heute tut. So eine Niederlage will er nicht noch einmal kassieren.

BUND hat auch Alternativen vorgeschlagen

Dabei sei der BUND kein reiner Club der Verhinderer, betont Braasch. Keine Neinsager-Truppe. Immer habe man auch Alternativen vorgeschlagen. Beim Streit um die Airbuserweiterung habe der BUND auf den Standort Rostock gesetzt. Auch bei der Elbvertiefung appelliere man doch bloß an die Vernunft der Politik. Eine Kooperation der norddeutschen Häfen sei sinnvoller als ein Gegeneinander, bei dem am Ende der Fluss Schaden nehme wie auch die Arbeiter in Wilhelmshaven, die plötzlich in Kurzarbeit gehen müssten, weil Hamburg alles an sich reiße. Soll das vernünftig sein?

Vernunft. Das ist es, was zählt. Braasch ist keiner, der mit vollem Herzen Barrikaden anzündet, der jederzeit losrennen könnte, um irgendeine Bastille zu erstürmen. Er schäumt nicht über, er lodert nicht, er wedelt nicht wild mit den Armen. Er argumentiert und argumentiert, zählt Urteile auf, zitiert Gutachten und isst dabei in aller Gemütsruhe seine Spinat-Cannelloni beim Italiener an der Langen Reihe gegenüber dem BUND-Büro. Langsam kauen, schlucken, dann das nächste Argument. Alles ganz klar. Wie das Wasser in seinem Glas.

Dieser Mann ist einfach sicher, dass er Recht hat. Warum also sollte er die Stimme heben? Warum mit den Armen rudern oder die Fäuste recken?

Kann man Selbstgewissheit lernen?, fragt man sich, wenn man Manfred Braasch eine Weile gegenüber sitzt. Vermutlich bekommt man sie geschenkt. Vielleicht von den Eltern. Braasch ist in Itzehoe aufgewachsen, als Sohn eines Lokführers. Beamter bei der Bundesbahn. Mutter Hausfrau. „Einfache Verhältnisse“, sagt er. Seine beiden Schwestern waren schon 18 und älter als er auf die Welt kam, also war er zu Hause ein Einzelkind, Nesthäkchen. Vielleicht kommt daher diese Sicherheit, wie man sie Kindern nachsagt, die nie einen Bruder oder eine Schwester zu fürchten hatten. Keinen, der ihnen die Kekse klaut oder die Zuwendung der Eltern.

Eine gerade Vita und seltene Hobbies

Mit neun oder zehn hat sein Vater ihn mit auf die Lok genommen. Traumberuf eines jeden Jungen. Später hat er Drucker gelernt, in der Gruner + Jahr-Druckerei in Itzehoe, die zuletzt Prinovis hieß und jetzt schließen soll. Ein bodenständiger Beruf. Jedenfalls damals, vor der digitalen Zeit. Ein paar Mal sei er auf Anti-AKW-Demos gewesen, erzählt Braasch. Brokdorf. Aber so richtig politisiert oder gar radikalisiert habe er sich nicht.

Nach der Ausbildung dann das Studium der Ökotrophologie, Ernährungswissenschaft, in Kiel und Bonn. Ein faszinierendes Studium, findet er heute noch, weil es so breit gefächert ist. Naturwissenschaften, Betriebswirtschaften und Psychologie. 1992 dann eine Stelle als Abteilungsleiter der Verbraucherzentrale in Stuttgart. Vier Jahre schwäbische Diaspora, die Zeit der ersten großen Lebensmittelskandale.

Heirat. 1996 der Wechsel zum BUND nach Hamburg und der Kauf eines Siedlungshauses in Lüneburg. Eine ziemlich gerade Vita. Vor ein paar Jahren ist Braasch in Niedersachsen bei den Grünen Mitglied geworden. Passives Mitglied, wie er betont. Er sei ja kein Politiker.

Noch heute lebt die Familie in Lüneburg. Frau und Mann und zwei Töchter, 18 und acht. Und der Vater fährt jeden Tag mit dem Metronom zur Arbeit nach Hamburg-Sankt-Georg, um für das zu kämpfen, was er für gut hält, für richtig und vernünftig.

45 Minuten von Haustür zu Haustür. Wer braucht da ein Auto? Die Familie hat nie eins gehabt. Und wie holt man Getränkekisten? Ist doch klar: mit dem Fahrradanhänger. Oder man leiht sich mal ein Auto beim Carsharing. „Das ist ökologisch und ökonomisch vernünftig.“ Noch Fragen?

„Familie ist die moderne Herausforderung“

„Familie“, sagt Manfred Braasch irgendwann nachdenklich, „das ist die moderne Herausforderung.“ Seine Frau ist Ergotherapeutin. Hyperaktive Kinder, Asperger-Fälle. Keine kaputten Familien. Bürgerliche ohne große Not, aber mit viel zu wenig Zeit für die Kinder. Das ist die Herausforderung. Beruf und Kinder. Ehe. Dass man immer noch weiß, was bei den anderen gerade passiert, was wichtig ist. Dass man den anderen noch gerecht wird. Die Familie Braasch erholt sich abwechselnd auf Hiddensee und in Venedig. „Faszinierende Stadt, da könnte man immer wieder hinfahren.“ Verreist wird mit dem Zug. Lange Autofahrten kennen seine Kinder nicht.

Wenn der BUND-Chef zu Hause abspannen will, geht er abends in den Lüneburger Keller und beginnt zu drucken. Er hat den gelernten Beruf in seiner eigenen kleinen Druckerei zu einer Kunstform weiterentwickelt. Er hat alles Mögliche bedruckt, einmal 15 Unwörter des Jahres auf unterschiedliche Materialien. „Peanuts“ natürlich auf Erdnussschalen.

Schon dreimal hat er im Museum der Arbeit ausgestellt. Zuletzt hat er vor allem geschrieben. Mittlerweile hat er einen fertigen Krimi in der Schublade. Er handelt von Diabetes, einem Verbrechen, einer Journalistin, und es wird auch ein wenig über die Handelskammer gelästert.

Na prima. Da werden sich die Herren auf der Rückseite des Rathauses bestätigt fühlen. Die halten Manfred Braasch nämlich für einen furchtbar anstrengenden Hardliner, einen Öko-Fundi.

Och, nee, sagt er und nippt am Espresso. „Ein Fundi bin ich wirklich nicht.“ Und auch ganz bestimmt nicht der Härteste beim BUND. „Außerdem“, sagt Manfred Braasch, und da flackert der wache Schalk wieder durch die Brillengläser, „wäre mir neu, dass die Herren in der Kammer weich sind.“

Erschienen am 3. März 2013 in der „Welt am Sonntag“, in DIE WELT und bei Abendblatt Online. Das Foto von Manfred Braasch hat Bertold Fabricius gemacht.

 

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