Mein Pokalabend mit AfD-Sprecher Bernd Lucke und seinen Freunden und Feinden

Eines kann man den Mitgliedern der AfD jedenfalls nicht nachsagen: eine übermäßige Leidenschaft für Fußball. Sonst hätten am Sonnabend, kurz vor Anpfiff des DFB-Pokalendspiels, nicht mehr als 150 von ihnen aus ganz Norddeutschland den Festsaal des Jägerhofs in Hamburg-Hausbruch gefüllt, um eine Vorlesung von Parteisprecher Bernd Lucke über die EU, über fiskalische Kapazitäten, das Subsidiaritätsprinzip und tarifäre Handelshemmnisse zu hören.

Aber natürlich waren derlei professorale Analysen nicht der Grund für das Kommen der vielen meist älteren Herren (und wenigen Damen). Nein, das Parteivolk wollte wissen, wie es weitergehen soll mit der Alternative für Deutschland, nachdem sich die Führungsspitze so unheilbar heillos zerstritten hat.

Schon die Form der Einladung in den Hausbrucher Gasthof lasen dabei einige als Zeichen einer bereits vollzogenen Spaltung der Partei. Denn zu dem Lucke-Vortrag waren nicht etwa alle Parteimitglieder des Nordens gebeten worden. Die einladende Europaparlaments-Fraktion (EKR) und der Hamburger AfD-Chef Jörn Kruse hatten offenbar lediglich handverlesene Freunde des liberalen Lucke-Kurses und seiner „Weckruf“-Gruppe angeschrieben.

Als die Einladung in die Hände von Lucke-Kritikern geriet, machte sie trotzdem schnell in der ganzen Partei die Runde, so dass nun im Jägerhof neben den Lucke-Unterstützern auch ein gutes Dutzend seiner parteiinternen Gegner saß.

Nachdem der Professor nach mehr als 90 Minuten (also gegen Ende des Pokalfinales) seine akademischen Darlegungen beendet, und die meisten Zuhörer schon ziemlich viel Jägerhof-Bier getrunken haben, meldet sich auch sofort jemand und fragt, warum Lucke nichts zum Führungsstreit gesagt habe.

„Ihr Sänger, ich bin Polizist!“

„Was Sie erzählen, ist so am Thema vorbei“, empört sich danach auch der frühere Schill-Mitstreiter, jetzige Bezirksabgeordnete und pensionierte Polizeibeamte Bodo Theodor Adolphi. „Wenn Sie eine Trennung wollen, Herr Lucke, dann sagen Sie das hier und heute!“ Darauf geht der Hamburger Parteichef Jörn Kruse ans Mikrofon und sagt zu Adolphi: „Mein Vertrauen in dein politisches Urteilsvermögen ist zuletzt immer kleiner geworden, Bodo.“ Man hört ihm die Wut schon jetzt an.

Aber erst einige Frage- und Bestellrunden später bricht es dann aus dem Hamburger AfD-Chef heraus. Er beschimpft jetzt ein paar seiner Parteifreunde als „Lügner und Betrüger“. Man hat den Eindruck, Professor Kruse rede dabei mittlerweile etwas zu laut und ein wenig verwaschen. Das liegt vermutlich daran, dass auch seine Zunge dieser ewigen Zankereien längst müde ist.

Bodo Theodor Adolphi dagegen ist überhaupt nicht müde. Das mit dem „Betrüger“ geht dem einstmals besten Schill-Freund zu weit. Wie ein Springteufel hüpft der 75-Jährige von seinem Biertisch hoch und schreit: „Das sind Beleidigungen, das ist Strafrecht, ihr Sänger! Ich bin Polizist!“

Irgendwann geht Jens Eckleben nach vorne, ein in der DDR aufgewachsener Betriebswirt, der jetzt Chef der AfD in Hamburg-Nord ist. Er kritisiert, dass er und andere Nicht-Weckrufer nicht zu diesem interessanten Abend eingeladen wurden. „Ich bin entsetzt“, sagt Eckleben. „Das ist die durchgeführte Spaltung.“

Damit ruft er den Bürgerschaftsabgeordneten Detlef Ehlebracht auf den Plan. „Welche Spaltung, welche Spaltung?“, schreit der. Man weiß es nicht genau, aber die Herren Eckleben und Ehlebracht scheinen keine Freunde zu sein.

Lucke fürchtet die Verbannung – nach Brüssel

Der einzige, der ruhig bleibt an diesem Abend, ist Bernd Lucke. Alle Wut perlt an ihm ab. Eingeladen habe die EKR, nicht die AfD, sagt er nüchtern. Es habe nie einen Beschluss zur Zusammenarbeit mit Pegida gegeben. „Wir müssen eine Richtungsentscheidung treffen“, so Lucke.

Er stehe für Religionsfreiheit, West-Orientierung und dafür, dass die AfD viele unterschiedliche Themen behandeln müsse. „Man kann den einen Weg gehen oder den anderen, beide kann man nicht gehen“, sagt er mit Blick auf die Konservativen.

Die Mehrheit der Zuhörer im Jägerhof unterstützt Lucke. Er bekommt viel Applaus, besonders, als er beteuert, die Partei nicht verlassen zu wollen. Auch wenn er nicht Chef werde. Auch wenn es einen ganz neuen Vorstand geben sollte – in dem dann aber keine der streitenden Führungskräfte sitzen dürfe.

Er hoffe, sagt Lucke gegen Ende noch, als alle Biere getrunken und alle Schnitzel verspeist sind, dass er nicht wie beim attischen Scherbengericht in die Verbannung gejagt werde – womöglich „zehn Jahre Brüssel“.

Sicher kann er sich da nicht sein. Beim Landesparteitag in Hessen gingen am Wochenende alle Sprecherposten an Lucke-Kritiker. Zwei Wochen vor dem Bundesparteitag erhielten seine Gegner auch Unterstützung von Bundesvize Alexander Gauland. „Wir brauchen den liberalen Flügel“, sagte Gauland – „aber ohne Bernd Lucke“.

Erschienen im „Hamburger Abendblatt“ am 1. Juni 2015. Eine Art Liveticker von der Veranstaltung hier auf meiner Facebook-Seite

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