Wie die Corona-Verharmloser uns ins Desaster geführt haben – und was wir jetzt tun sollten

Mit meinem sehr geschätzten Abendblatt-Kollegen Matthias Iken habe ich in einem Pro und Kontra in der Zeitung über die Frage diskutiert, ob wir angesichts nun sinkender Inzidenzen schnell raus müssen aus dem Lockdown – oder ob wir auch angesichts der Mutationen vorsichtiger sein und erst auf deutlich niedrigere Inzidenzen warten und dann womöglich eine No-Covid-Strategie mit grünen Zonen bei Nullerinzidenz verfolgen sollten. Ich habe mich in meinem Beitrag dabei auch mit dem in den vergangenen Monaten leider viel zu großem Einfluss der Corona-Verharmloser auseinandergesetzt – und dessen fatalen Folgen. Hier mein Kontra-Beitrag aus dem Abendblatt.

Nein, ich kann es nicht mehr hören. Was geht in den Köpfen von Menschen vor, frage ich mich, die monatelang das Falsche behauptet haben, und jetzt, wo ihre Irrtümer offen zutage liegen, immer noch denselben gefährlichen Unsinn verbreiten? Nein, ich meine nicht meinen geschätzten Kollegen. Ich meine die Gruppe der Verharmloser um eine Handvoll penetrant falsch liegender wissenschaftlicher Außenseiter, deren zu großer Einfluss mit dazu geführt hat, dass wir 55.000 Tote in Deutschland zu beklagen haben, dass Schulen, Theater, Restaurants über Monate geschlossenen werden mussten.

Corona sei nicht schlimmer als eine Grippe, haben sie behauptet. Die Sterblichkeit steige nicht, Kinder und Jugendliche steckten sich kaum an, und in Schulen seien Abstand und Maske unnötig. Schweden sei mit seinem freundlichen Umgang mit tödlichen Viren ein Vorbild. Es werde keine zweite Welle geben. Es stürben vor allem Alte – soweit ging der Zynismus bei manchen – daher sei ein hartes Vorgehen gegen das Virus nicht verhältnismäßig.

Das alles war falsch. Mittlerweile ist klar, was seriöse Wissenschaftler lange angenommen haben: Die Infektionssterblichkeit liegt rund zehnmal so hoch wie bei der Grippe. Es gibt eine deutliche Übersterblichkeit. Kinder und Jugendliche sind so ansteckend wie Erwachsene. In Schweden hat nach extremen Todeszahlen auch der König festgestellt, dass man mit tödlichen Viren keine Partys des Liberalismus feiern kann. Immer war klar, dass auch Übergewichtige, Diabetiker, Menschen mit Bluthochdruck, Autoimmunerkrankungen oder Krebs zur Risikogruppe gehören. Damit ist etwa jeder Dritte besonders gefährdet. Viele Menschen leiden noch Monate nach Infektionen an extremer Müdigkeit, Kurzatmigkeit, Gedächtnisproblemen oder können nicht riechen und schmecken.

Trotz dieser Fakten wird von den Verharmlosern mantraartige behauptet, man müsse nur Pflegeheime schützen, dann könne der Rest des Landes wieder feiern. Zwar muss deren Schutz verbessert werden – und hier muss und kann auch wirklich endlich mehr getan werden. Wir wissen allerdings auch längst aus aller Welt: Wenn das Virus überall grassiert, lassen sich Risikogruppen kaum sicher schützen — es sei denn, man isoliert sie radikal. Sollen wir also ein Drittel der Bevölkerung wegsperren? Auch das Ausspielen von Jung gegen Alt zeigt, wie unsolidarisch westliche Ich-Gesellschaften heute funktionieren. In den kollektivistischer denkenden asiatischen Staaten wäre es undenkbar zu sagen: Wir opfern unsere Alten, damit die Jungen feiern können oder keinen Tag Präsenzunterricht verpassen.

Mediziner zieht Vergleich: Wie wenn man einem Patienten zu wenig Antibiotikum gibt…

All die falschen Behauptungen haben dazu geführt, dass wir zu inkonsequent gegen das Virus vorgegangen sind. Die Folge war ein monatelanges Herumeiern, das dem Virus nicht geschadet, aber Firmen an den Rand des Ruins und Kinder um ihre Bildung gebracht hat. Es ist so, wie es Intensivmediziner Uwe Janssens bei „Anne Will“ sagte: Wenn man Patienten zu wenig Antibiotikum gibt, geht es ihnen kurzfristig besser. Dann aber kommt die Infektion mit Macht zurück – und die Erreger werden resistent. Daher gebe es nur eine richtiges Vorgehen bei schweren Infektionen: „Hit hard, hit early“ – hart und früh gegen Keime vorgehen.

Einen Ausweg aus dem halbherzigen Dauerlockdown zeigt nun die „No Covid“-Strategie, die von Pädagogen, Virologen, Soziologen und einem renommierten Ökonomen wie Ifo-Instituts-Chef Clemens Fuest entwickelt wurde. Ihre Kernelemente: schnelles Absenken der Infektionszahlen auf null, Vermeidung der Wiedereintragung in „Grüne Zonen“ u.a. durch massives Testen und hartes Ausbruchsmanagement bei sporadischen neuen Fällen – und zwar möglichst europaweit.

Dabei geht es vor allem um einen grundsätzlichen Wechsel des Ziels. Es sollte nicht mehr das Ziel sein, nur genau so viele Infektionen zuzulassen, dass es gerade noch genug Platz auf den Intensivstationen gibt. Man sollte versuchen, möglichst jede Infektion zu verhindern, und möglichst allen Menschen den lebensgefährlichen und traumatischen Anschluss an ein Beatmungsgerät, den Tod durch das Virus oder schwere Infektionsfolgen zu ersparen. Staaten wie Australien (oder asiatische Länder), die so vorgegangen sind, hatten deutliche weniger Infektionen und Tote, konnten Schulen schneller wieder öffnen und ihre Wirtschaft nahm weniger schaden. Sie sind bisher deutlich besser durch die Krise gekommen, als Staaten, die mit einem ewigen Rein und Raus aus dem Lockdown zunächst immer nur die Infektionskurve so abflachen wollten („Flatten the Curve“), dass die Kliniken gerade noch zurecht kommen, und daher niemals eine wirkliche Kontrolle über das Virus erlangt haben.

Mehr Feuerwehr gegen Brandstifter? Oder lieber dem Zündler das Handwerk legen?

Es sollte in dieser neuen „No Covid“-Zielsetzung nicht mehr nur ums Nachverfolgen, sondern ums weitgehende Ausmerzen des Virus gehen. Anders hat es kürzlich in einer Clubhouse-Diskussion einmal Björn Ognibeni mit Blick auf die Nachverfolgung der Fälle durch die Gesundheitsämter formuliert: „Wenn ich einen Brandstifter in der Stadt habe, stelle ich ja auch nicht viel mehr Feuerwehrleute an, um dessen immer neue Brände zu löschen. Sondern ich versuche den Brandstifter außer Gefecht zu setzen.“ Wenn es mit dieser konsequenten Linie endlich gelänge, das Virus wirklich zu schwächen, könnten wir schon vor der Durchimpfung der Mehrheit zu vielen Freiheiten zurückkehren.

Wenn wir aber jetzt trotz der Mutationen wieder planlos zu früh lockern, laufen wir in eine dritte Welle – mit Zehntausenden weiteren Toten, immer mehr Pleiten und Kindern, die bis zum Sommer nicht mehr in die Schulen dürfen. Auch das hätten dann die Verharmloser zu verantworten.

Die beiden Beiträge vom Kollegen Iken und mir finden sich am 29. Januar 2021 in der Druckausgabe des Abendblatts und hier auch auf abendblatt.de. Meinen Artikel habe ich hier im Blog um einige Passagen ergänzt.

Ein Kommentar

  1. Des Pudels Kern nicht verstanden! Dieses Coronavirus wird endemisch! Es ist, kurz gesagt, nicht mehr komplett eradizierbar! Deshalb ist No-Covid oder Zero-Covid leider zero-evident, wie es Klaus Stöhr so schön formuliert hat. Ein realistischer Umgang mit dem Virus erfordert realistische Zielsetzungen! Diese müssen neben den gesundheitlichen Aspekten auch wirtschaftliche Erfordernisse und nicht zuletzt den Erhalt unserer Freiheitsrechte berücksichtigen!

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