Erst Bach, dann Krach

Es ist eine Freude, kluge, streitbare Kinder zu haben. Außer sonntags oder abends.

Jede Kindheit hat ihre eigenen Gesetze, in meiner begann der Ärger immer mit Bach. Erst die Brandenburgischen Konzerte zum Käsenutellabrötchen und dann: „Kinder, wir machen einen Sonntagsspaziergang.“
„Och nee, wir haben doch gerade erst einen gemacht.“
„Das war vor sechs Wochen.“
„Ich bleibe hier.“
„Du kommst mit. Wir haben so wenig gemeinsame Familienzeit.“
„Nö, ich bleibe hier. Ihr könnt nicht über mich bestimmen. Dies ist ein freies Land.“
„Aber nicht da, wo ich bin. Du brauchst frische Luft, zieh dir die Jacke an.“

Neindochneindochnein.

Und dann bleibe ich zu Hause und habe es mir mit meinen Eltern auf Wochen verscherzt. Oder ich gehe widerwillig mit und versaue nach Kräften die Sonntagsstimmung. Bis sich jeder auf den Montag freut.

Heute ist es immer noch so. Nur dass ich jetzt derjenige bin, der von Familienzeit und frischer Luft und gesunder Bewegung redet. Immerhin variiere ich die Musik und lege meinetwegen die Goldbergvariationen oder das fünfte Klavierkonzert auf, aber in Wahrheit fühle ich mich wie in einer Wiederholungsschleife.

„Ich komme nicht mit.“
„Doch, gutes Wetter, Niendorfer Gehege, Rehe füttern, Kollauwanderweg, von mir aus auch Elbe.“
„Nein, du kannst mich nicht zwingen.“
„Ich gebe auch ein Eis aus, Max.“
„Dann bring es mir mit.“
„Eine Woche Nintendoverbot.“
„Erpresser.“

Undsoweiter, undsoweiter, immer dasselbe, erst Bach, dann Krach, und ich frage mich, warum ich nicht jeden Tag in die Redaktion gehen darf.

Mit dem Sechsjährigen ist es nicht anders – auch alltags und ganz ohne Johann Sebastian.

„So, jetzt ins Bett.“
„Nein, ich bin nicht müde.“
„Ins Bett.“
„Du kannst nicht bestimmen, wann ich ins Bett gehe.“
„Doch, kann ich.“
„Du kannst mich nicht zum Schlafen zwingen. Ich schlafe, wenn ich müde bin. Ich bin aber nicht müde.“
Eisversprechen, Fernsehverbot, sinnloses Brüllen, am Ende Um-Mitleid-Winseln: „Paul, bitte, ich musste viel arbeiten und bin müde.“
„Dann geh du doch ins Bett.“

Vielleicht ist es instant karma. Die eigenen Eltern rächen sich mittels ihrer Enkel für jedes einzelne Sonntagsspaziergangsgezeter, das man ihnen angetan hat. Das ist zwar viele Jahrzehnte her, aber es gibt keine Verjährung. Hin und wieder rechne ich nach, wann ich frühestens meine ersten Enkel bekommen könnte. Ich will, dass sie mich rächen.

Morgen ist Sonntag. Zum Frühstück werde ich zur Abwechslung mal nicht Bach spielen, sondern Led Zeppelin, AC/DC oder Rage Against the Machine. Vielleicht ändert das etwas. Danach gehe ich joggen. Allein.

Erschienen am 5. März 2011 in WELT und WELT ONLINE
 
 
 
 
Eine Sammlung meiner in „Welt“ und „Hamburger Abendblatt“ erschienenen Kolumnen über den alltäglichen Familien- und sonstigen Wahnsinn gibt es jetzt unter dem Titel „Schrei mich nicht an, ich bin ein Wunschkind“ auch als günstiges eBook bei Amazon, und zwar hier.
 
Die „Welt“-Kollegin Inga Griese hat diese Kolumne in ihr amüsantes Buch „12 Enkel, bitte! Als Großmutter an der Familienfront“ aufgenommen.
 

Multitasking, Großraumbüro und Burnout: Auf der Suche nach dem Aus-Knopf

Das moderne Büro kennt keinen Feierabend mehr. Kommuniziert wird nonstop. Der Hamburger Senat plant jetzt eine Schutzverordnung, die den Arbeitsalltag radikal verändern könnte – in ganz Deutschland.

Wir müssen uns Adam als einen kränklichen Depressivling vorstellen. Kein Job, keine Herausforderung, kein Ziel. Bore out im Paradies: der nackte Langeweiletod im Abendrot. Dummerweise sprach Gott nach der leidigen Apfelsache aber nicht: „Du sollst künftig einer sinnstiftenden Arbeit nachgehen.“ Nein, die Rede war von Dornen, Disteln, Mühsal und Schweiß. Und siehe: Der Mensch war unter Stress gesetzt.

Dass wir im Paradies glücklicher gewesen wären, ist allerdings keinesfalls ausgemacht. Noch heute zeichnen unterschiedlichste Studien ein einheitliches Bild: Wer arbeitet, und sei es auch unter Mühsal, ist zufriedener mit sich und der Welt – und er ist meist auch gesünder. Menschen ohne Aufgabe werden schneller krank und depressiv.

Das ist allerdings nur die eine Hälfte der Wahrheit. Denn zugleich hat der Mensch sich selbst die Arbeit immer wieder so eingerichtet, dass sie für viele zu einem Kreuz wurde. Nach der echten Sklaverei kam die Lohnsklaverei der frühen Industrialisierung. Und in unserer Zeit ist er dabei, sich selbst zum Digitalsklaven zu machen. Die Arbeitswelt verändert sich so radikal und schnell wie nie zuvor. Und wieder scheint der Mensch dabei das Augenmaß zu verlieren. Die umfassende Digitalisierung unserer Welt führt dazu, dass wir immer erreichbar sind und uns auf nichts mehr richtig konzentrieren können, weil Informationen im Sekundentakt aus unterschiedlichen Kanälen auf uns einströmen: Aus Telefonen, Mails, sozialen Netzwerken, fast antik anmutenden Faxgeräten und hochmodernen Tablets sprudeln ununterbrochen Anweisungen, Aufgaben und Anfragen.

Mitarbeiter haben mit Großraumbüros zu kämpfen

Hinzu kommt, dass viele Firmen dazu übergegangen sind, ihre Mitarbeiter in Großraumbüros zu platzieren, in denen sie gezwungen sind, auch die Kommunikation ihrer Kollegen unentwegt mitzuverfolgen. Man erhoffte sich ein Mehr an Kreativität und Effektivität – außerdem spart die Auflösung der Einzel- oder Zweierbüros teure Büromieten. Nebenwirkung: ein höherer Krankenstand und eine höhere Fehlerquote.

„Die menschliche Verarbeitungskapazität ist an ihre Grenzen gekommen“, sagt Dirck Süß, Chefvolkswirt der Hamburger Handelskammer. „Immer mehr Menschen brechen unter dieser Last zusammen.“ Die Unternehmen müssten dieser Tatsache noch deutlich mehr Rechnung tragen. Selbst bei einem ausschließlich vom Datenfluss lebenden Unternehmen wie Google haben Mitarbeiter bei der jüngsten internen Umfrage in Hamburg als ein Problem den „Information-Overload“ angegeben, wie Personalchef Frank Kohl-Boas berichtet. Auch Nerds sind eben nur Menschen.

Nun hat auch die Politik das Problem erkannt. Der → weiterlesen

Hamburgs heimlicher Oppositionsführer

Manfred Braasch ist der mächtigste Gegenspieler des Hamburger Bürgermeisters. Der BUND-Chef hat die Elbvertiefung einstweilen verhindert. Jetzt will er Olaf Scholz zwingen, die Energienetze der Strom- und Gasleitungen zurückzukaufen. Für rund zwei Milliarden Euro. Ein Porträt.

Stellt man sich so einen Volkstribun vor? Einen, der die Massen mobilisiert, die Mächtigen herausfordert, gar einen König bezwingt? Manfred Braasch ist ein mittelgroßer Mann mit nicht so vielen Haaren, der hinter einer Brille mit nicht so dünnen Gläsern ernst in die Welt blickt. Ernst und gerade. Aber auch ein wenig schalkhaft. Bei passender Gelegenheit stets zu einem Spötterspruch bereit.

BUND-Chef Manfred Braasch an der Alster. (Foto: Bertold Fabricius, pressebild.de)

Kein Volkstribun im klassischen Sinne also, auch kein Populist im modernen. Keiner, der volle Hallen zum Tosen bringt. Und doch ist Manfred Braasch, Vater zweier Töchter, Vegetarier, passionierter Nudelesser und Landesgeschäftsführer des Bundes Umwelt und Naturschutz Deutschland der dieser Tage wohl mächtigste Gegenspieler des Hamburger SPD-Bürgermeisters Olaf Scholz. Der wird wegen seiner großen Machtfülle „König Olaf“ genannt. Gegen den BUND-Chef macht er aber bisher keinen Stich.

Braasch und sein Verband haben mit ihrer Klage die Elbvertiefung einstweilen gestoppt, die der Bürgermeister und mit ihm die große Mehrheit der Hamburger für so wichtig halten. Er droht gerade damit, die Stadt wegen der laut EU-Prüfung deutlich zu hohen Luftbelastung per Gerichtsverfahren zu radikalen Maßnahmen gegen den Autoverkehr zu zwingen.

Und nun schickt er sich auch noch an, den Bürgermeister zu etwas zu nötigen, gegen das dieser sich mit Händen und Füßen und allem, das man im öffentlich Meinungskampf so einsetzen kann, zur Wehr setzt. Braasch ist nämlich auch Sprecher der Initiative „Unser Hamburg – unser Netz“, die einen vollständigen Rückkauf der Hamburger Energienetze durchsetzen will.

Mehr als 35.000 Kilometer Kabel, Rohre und Fernwärmeleitungen, die in der Hamburger Erde liegen, soll die Stadt von Vattenfall und Eon erstehen, fordert die Initiative. Das sei unerlässlich für das Gelingen der Energiewende und außerdem ein gutes Geschäft, glauben Braasch und seine Mitstreiter in Verbraucherzentrale, Nordkirche und bei den Grünen.

Die Chancen, dass seine Initiative sich auch hier durchsetzt, stehen gut. 64 Prozent der Hamburger haben sich kürzlich bei einer Umfrage für den vollständigen Rückkauf der Leitungen ausgesprochen. Dass Bürgermeister Olaf Scholz nicht jedes Mal die Hände vors Gesicht schlägt, wenn der Name Braasch fällt, liegt vermutlich nur daran, dass → weiterlesen

Umweltpolitik bei Olaf Scholz: Nur noch Gedöns

Der Hamburger SPD-Senat hat es in zwei Jahren Regierung nicht geschafft, der EU ein verabschiedetes Luftreinhalteprogramm vorzulegen. Jetzt erhöht Brüssel den Druck auf all die Städte, die die Schadstoffgrenzwerte nicht einhalten. Es ist kein Zufall, dass Hamburg dazugehört. Der SPD ist die Umweltpolitik schnurz wie in den 1970ern. Ein Kommentar.

Olaf Scholz ist bekanntlich kein religiöser Mensch. Einen tiefen Glauben aber pflegt der Hamburger Bürgermeister trotzdem – den an die Industrie und ihre Ingenieure. Sobald es um Klima- und Naturschutz geht, betont Scholz stets, wie sehr er auf die Lösung aller Probleme durch den „ingenieurgetriebenen Umweltschutz“ baue.

Den Autoverkehr will Scholz nicht antasten

Das ist eine sehr praktische Herangehensweise. Dreckige Luft und ohrenbetäubender Verkehrslärm? Die Ingenieure werden’s schon richten. Wir brauchen weder Umweltzone noch CityMaut, nicht mehr Geld für Radwege und keine Stadtbahn. Niemand muss langsamer fahren, keiner Energie sparen, auf die Innenstadttouren mit dem Geländewagen muss kein Mensch verzichten. Warum auch?

Entsprechend dieser Einstellung haben die Hamburger SPD und ihr Chef Scholz die Umweltpolitik seit Amtsantritt 2011 in der Kategorie Gedöns abgelegt. Anders ausgedrückt: Umweltpolitik findet unter der SPD faktisch nicht mehr statt. Die zuständige Senatorin hat ja auch mit dem Wohnungsbau genug um die Ohren.

Da die Genossen allein regieren, gibt es auch keinerlei Korrektiv. Dabei würde selbst eine Große Koalition vermutlich mehr Rücksicht auf umweltpolitische Belange nehmen als dieser Senat. Denn die CDU ist hier längst moderner aufgestellt als die SPD. Die ist als gute alte (Industrie-)Arbeiterpartei nämlich in eine abgehobene Fortschrittsgläubigkeit zurückgefallen, die seit den 1980ern längst überwunden schien.

Unbeantwortet lassen die Genossen die Frage, warum Ingenieure es seit Jahrzehnten nicht schaffen, den Spritverbrauch von Autos radikal zu senken, den Lärm durch Reifenabrieb zu vermindern, funktionale Batterien zu entwickeln oder Kreuzfahrtschiffe zu bauen, die keine Dreckschleudern sind.

So ist es auch hier ein Segen, dass es→ weiterlesen

Hier heute kein Sexismus

Hier werden keine Dirndl gefüllt oder Hosen ausgebeult. Hier ist Lanzfreie Zone. Gehen Sie weiter!

Diese Kolumne ist geschlechtsneutral. Frauen können sie lesen, ohne sich gedemütigt zu fühlen. Männer können nicht irgendwo hingucken, wo sie nicht hingucken sollten. Hier gibt es nichts zu sehen.

Dies ist eine körperfreie Zone. Hier wird auch nicht geredet, nicht philosophiert und nicht getalkt, nicht mit den Armen gewedelt und nicht räsoniert. Nicht über Brüderle und blonde Journalistinnen. Nicht über Unterdrückung. Nicht über Ausbeutung. Nicht über Frauenquote und nicht über die Identitätskrise des Mannes.

Hier geht es nicht um Lust. Nicht um die Herbertstraße. Nicht um Gefühle. Hier spricht niemand über Wut. Auch nicht über Trauer. Hier herrscht Lanzverbot.

Es gibt hier keine Pornos. Es wird niemand begrapscht. Es gibt keine Herrenwitze und keine Talibanwitze. Niemand pfeift niemandem hinterher. Hier wird nicht geraucht, nicht gekifft und kein Alkohol getrunken.

Es gibt hier keine Gegensätze, die Geschlechter sind → weiterlesen