Warum Frauen nie nach oben kommen und Männer zu oft Indianer spielen

Der Hamburger Justizsenator Steffen (GAL) ist Mitautor eines grünen Männermanifests. Er fordert Freiheit fürs starke und Quoten fürs schwache Geschlecht. Ein Interview.

Herr Senator, Sie wurden nicht als Mann geboren. Könnten Sie uns das kurz erläutern?

 

Till Steffen auf dem Spielplatz
Ausriss aus der WELT: Der grüne Senator Till Steffen auf einem Spielplatz in Hamburg-Eimsbüttel. (Foto: Fabricius)

Till Steffen: Sie spielen auf das grüne Männermanifest an, in dem es heißt: „Man wird nicht als Mann geboren, man wird dazu gemacht.“

Genau. Wer oder was hat Sie demnach zum Mann gemacht?

Steffen: Auch ich bin in Deutschland groß geworden, wo schon im Kindergarten die Rollenerwartungen vorhanden waren.

Die 21 prominenten Grünen-Politiker aus ganz Deutschland, die das Manifest unterzeichnet haben, bezeichnen sich darin selbst als „männliche Feministen“. Heißt das, Männer sollen sich über das Thema Frauenrechte definieren?

Steffen: Nicht nur. Aber auch. Wir haben die Bezeichnung „männliche Feministen“ als bewusste Provokation gewählt. Wir wollen, dass Männer sich an der feministischen Debatte, also an der Debatte um die Gleichberechtigung der Geschlechter, beteiligen. Diese Debatte ist in den letzten Jahrzehnten fast ausschließlich von Frauen geführt worden. Aus der Gleichberechtigung können aber auch Männern neue Freiheiten erwachsen. Dafür müssen sie sich aber auch an der Diskussion beteiligen. Auch die Frauen müssen sich bewegen. Aus der Frauendebatte muss eine gleichberechtigt geführte Gleichberechtigungsdebatte werden.

Welche neuen Freiheiten versprechen Sie den Männern?

Steffen: Die festgelegten Geschlechterrollen sind ja auch für Männer ein Korsett, das ihnen mehr schadet als nützt. Es ist immer noch so, dass von den Männern in der Regel verlangt wird, die Familien zu ernähren. Es ist für Männer schwieriger als für Frauen, Zeit für Kinder einzufordern. Die Debatte um Gleichberechtigung muss auch eine Debatte sein, die Männerrechte stärker in den Vordergrund rückt. Und die den Männern zugleich sagt: „Gebt Macht ab! – Es lohnt sich.“

Eine abstrakte Debatte wird womöglich nicht viel nützen.

Steffen: Zunächst geht es darum, das Bewusstsein zu stärken, dass wir mit der Gleichberechtigung längst nicht am Ziel sind. Frauen machen zwar häufiger Karriere als früher. Wenn es um die echten Spitzenpositionen geht, um Vorstandsposten oder Chefredakteursstellen, um mal in Ihrem Bereich zu bleiben, dann ist Schluss mit der Gleichberechtigung, dann besetzen die Männer die wichtigen Posten.

Und was wollen die Grünen konkret dagegen unternehmen?

Steffen: Wir wollen, dass bei der Elternzeit nicht nur zwei Monate für die Männer verpflichtend sind. Die Elternzeit muss paritätisch zwischen Vätern und Müttern aufgeteilt werden. Das würde die Männer und die Unternehmen zum Umdenken zwingen. Wenn Väter nicht nur zwei, sondern sechs Monate fehlen, müssten neue Zeit- und Jobmodelle her. Die brauchen wir dringend für mehr Gleichberechtigung.

Sie planen in der Justizministerkonferenz, der Sie derzeit vorsitzen, auch eine Quotenregelung für Unternehmen – ein scharfer Eingriff in die unternehmerische Freiheit.

Steffen: Wir prüfen, ob Quotenregelungen für Unternehmen rechtlich möglich sind, um Frauen mehr Chancen auf Führungspositionen zu geben. Wir Grüne halten das für sinnvoll. Ich war positiv überrascht, dass es auch Mehrheiten für diese Idee zu geben scheint. In der CSU zum Beispiel gibt es dafür Unterstützung. Wie eine Regelung etwa im Aktiengesetz aussehen könnte, wird sich erst bei der Konferenz im Juni zeigen. Ein weiterer Schritt zur Gleichberechtigung ist die Abschaffung des Ehegattensplittings, das in erster Linie den Ehen nützt, bei denen der Mann arbeitet und die Frau zu Hause bleibt.

Wie sollen all diese Gleichberechtigungsthesen eigentlich zu der drastischen Kita-Gebührenerhöhung passen, die Schwarz-Grün beschlossen hat? Die schadet vor allem gut ausgebildeten Frauen mit passablem Einkommen.

Steffen: Diese Erhöhung ist nicht schön. Und vermutlich schadet sie uns Grünen auch. Sie ist aber nötig, um die Qualität der Kita-Betreuung zu erhalten und auszubauen. Hamburg ist und bleib Vorreiter bei der Kinderbetreuung. Schwarz-Grün hatte 2009 das kostenlose letzte Kita-Jahr eingeführt. Hierdurch werden Familien mit Kindern im Vorschulalter durch die Beitragsfreiheit um bis zu 3504 Euro im Jahr entlastet werden. 2012 werden 40 Prozent mehr Krippenplätze, 20 Prozent mehr Hortplätze geschaffen. Und: Erzieherinnen und Erzieher werden besser bezahlt.

In dem Manifest gehen Sie auf den Suizid von Nationaltorhüter Enke ein, der sich wegen Depressionen das Leben nahm. Was hat Enkes Tod mit Gleichberechtigung zu tun?

Steffen: Der Fall sagt viel über den gesellschaftlichen Umgang mit dem Thema Männergesundheit aus. Männliche Schwäche, männliche Versagensängste sind nach wie vor weitgehend tabuisiert. Männer nehmen ihre Gesundheit oft nicht so wichtig. Da heißt es schnell mal: „Ein Indianer kennt keinen Schmerz.“ Es ist auch deshalb nicht verwunderlich, dass Männer im Durchschnitt früher sterben als Frauen. Auch Unternehmen verlangen Männern besonders viel ab.

Haben Sie da Beispiele?

Steffen: Ein ganz simples. In Anwaltskanzleien etwa wird, auch wenn man dort um 18 Uhr seine Arbeit vollständig erledigt hat, nicht akzeptiert, dass man nach Hause geht. Zu dem Männlichkeitsbild gehört, dass man nicht nur gut und effektiv, sondern auch lange arbeitet. Männer müssen ständig Gewehr bei Fuß stehen, quasi immer kampfbereit sein. Dass man, um gute Arbeit abzuliefern, auch Zeit zur Regeneration braucht, spielte bei diesem Männlichkeitsethos keine Rolle. Das muss sich ändern. Schon in Kindergärten und Schulen müssen wir ein anderes, ein moderneres Männerbild vermitteln.

In Kitas und Grundschulen arbeiten aber fast nur Frauen.

Steffen: Das ist ein Problem. Jungen fallen auch viel häufiger als Bildungsverlierer aus dem System heraus. Um dem entgegenzuwirken, brauchen wir mehr Erzieher, mehr Grundschullehrer und mehr Sozialpädagogen. Wir brauchen eine emanzipatorische Erziehung, die die Stärken von Jungen und Mädchen gleichermaßen wertschätzt und fördert. Auch stärkere Werbung für den Boys‘ Day, bei dem Jungen sich typische Frauenberufe ansehen können, wäre sinnvoll.

Die Grünen waren mit ihren Quotenregelungen Vorreiter der Gleichberechtigung. Bisweilen nimmt das aber für Außenstehende groteske Züge an – zum Beispiel, wenn Männer bei Parteitagen nicht mehr reden dürfen, sobald sich keine Frau mehr zu Wort meldet. Das ist doch klare Männerdiskriminierung.

Steffen: Ach, wissen Sie, diese Regelung ist pragmatischer, als sie aussieht. Es bedarf stets nur eines Mehrheitsbeschlusses, damit die Männer auch reden dürfen, wenn keine Frau mehr auf der Rednerliste steht. Und den gibt es auch fast immer. So wird lediglich die Tatsache kompensiert, dass sich Männer gerne mal zu Wort melden, bevor sie wissen, was sie sagen wollen.

Eine sexistische Behauptung.

Steffen: Basiert auf der empirischen Beobachtung, dass Männer oft während ihres Redebeitrages überlegen, was ihre Botschaft ist.

Herr Steffen, vor fünf Jahren saßen Sie mit Ihrer Frau, Heike Opitz, gemeinsam in der Bürgerschaft. Beide promovierte Juristen. Heute sind Sie Senator, Ihre Frau Hausfrau. Was stimmt da nicht bei Ihnen zu Hause?

Steffen: Meine Frau ist berufstätig in verantwortlicher Position. Sie macht wegen der Geburt unseres zweiten Kindes Elternzeit, allerdings nur für sechs Monate. Im Übrigen teilen wir uns die Belastungen, soweit das geht. Ich bringe unseren älteren Sohn viermal pro Woche in die Kita und hole ihn zweimal ab. Wenn ich nach Hause komme, kümmere ich mich um die Wäsche. Es kann auch gut sein, dass es in ein paar Jahren umgekehrt ist. Vielleicht verbringe ich dann mehr Zeit mit den Kindern – und meine Frau mehr Zeit im Büro.

Interview: Jens Meyer-Wellmann

Das Interview ist erschienen am 3. Mai 2010 in WELT und WELT ONLINE. Die Rechte des Original-Fotos liegen bei Bertold Fabricius, www.pressebild.de. Das grüne Männermanifest „Nicht länger Machos sein müssen“ hier online. Eine Sammlung von Jens Meyer-Wellmanns Kolumnen über den alltäglichen Familien- und sonstigen Wahnsinn gibt es unter dem Titel „Schrei mich nicht an, ich bin ein Wunschkind“ auch als eBook bei Amazon, und zwar hier.
 

Ein Kommentar

  1. Bemerkenswert, mutig und wahr. Respekt, Herr Senator.

    So lange der Kampf für Gleichberechtigung mit dem Anspruch auf das Recht gleichgesetzt wird, mit 45 den ersten Infarkt zu kriegen, sollte man sich wohl besser mit den bestehenden Missständen abfinden. Und so lange auf Schlagzeilen wie „Jungen sind die Schulverlierer“ mit bemerkenswerten Reflexen wie „Kampagne der Springer-Presse“ oder „das ist gerecht – dafür gehts denen bei der Lehrstellenvergabe besser“ reagiert wird, sind wir nicht mal reif für eine Debatte über Gleichberechtigung. Mal ehrlich: Wir sind in der Gleichberechtigungsdebatte doch über das Niveau von „Dass Mädchen nicht zum Bund müssen, ist gerecht. Weil die müssen ja später Kinder kriegen“ nie hinaus gekommen. Und wie Senator Steffen richtig bemerkt: Diese Debatte ist bisher fast ausnahmslos von Frauen geführt worden.

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