Sparen in der Not

Hamburg muss bis zu einer Milliarde Euro jährlich einsparen – also rund zehn Prozent des gesamten Haushaltes. Die Stadt habe seit Jahren über ihre Verhältnisse gelebt, und die Senate hätten jahrzehntelang eine sehr „kreative Buchführung“ betrieben, hat CDU-Bürgermeister Ole von Beust jetzt gestanden. Blut, Schweiß und Tränen stehen den Hanseaten bevor.
Ein Kommentar.

Es kommt vor, dass man versehentlich ein Sprichwort verdreht. Da kauft man dann die Kirche im Sack und lässt die Katze im Dorf. Weniger komisch gerät das Ganze, wenn aus einer verdrehten Lebensweisheit eine verquere Politik erwächst. Der für jeden Privatmann ewig gültige Satz „Spare in der Zeit, so hast du in der Not“ gehört zu den Weisheiten, die Staatenlenker seit Jahrzehnten falsch verstehen. Auch Hamburgs Senate haben eher nach dem Motto „Prasse in der Zeit, und spare in der Not“ gelebt. Zurückgelegt wurde fast nie etwas. Erst wenn die Pleite drohte, wurden Stellen, Leistungen und Gedöns gestrichen.

So richtig der keynesianische Ansatz sein mag, in der Krise die staatlichen Ausgaben zu erhöhen, so fatal ist es, dass die Politik sich niemals an die zweite Hälfte der Lehre des Ökonomen John Maynard Keynes gehalten hat. Die nämlich heißt: Spare in der Zeit. In Boomphasen sollten die Staatsdefizite ausgeglichen werden. Geschehen ist das nie.

Das Ganze hat einen simplen Grund: Wer gestalten will, der braucht Spielräume, sprich: Geld. Gestalten will jede Regierung, Regieren heißt schließlich auch Kreieren, und so schreibt man sich lauter schöne Dinge auf die Fahnen und in (schwarz-grüne) Koalitionsverträge: eine Stadtbahn, eine Schulreform, eine mordsteure Zwei-Stationen-U-Bahn, eine Elbphilharmonie. Vielleicht gar noch einen kompletten Uni-Umzug. Hamburg gehört ja in die Weltliga.

Gestern hat uns Bürgermeister Ole von Beust erläutert, wir hätten (mit all dem) über unsere Verhältnisse gelebt. Das ist immerhin ein Fortschritt: dass diese Erkenntnis nun auch diejenigen erreicht hat, die seit fast einem Jahrzehnt die Stadt regieren und ihre Kasse verwalten. So ist die neue Einsicht des Bürgermeisters auch ein Eingeständnis des eigenen Versagens: Ole von Beust hat über unsere Verhältnisse regiert. Bezahlen in der Not werden wir dafür alle.

Erschienen am 28. Mai 2010 in WELT und WELT ONLINE. Eine Sammlung von Jens Meyer-Wellmanns Kolumnen über den alltäglichen Familien- und sonstigen Wahnsinn gibt es unter dem Titel „Schrei mich nicht an, ich bin ein Wunschkind“ auch als eBook bei Amazon, und zwar hier.
 

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