Burkawerfen mit Osama

Ein harmonisches Familienleben bedarf vor allem einer guten Organisation. Möglicherweise gibt es jetzt eine Formel dafür. Falls die nicht funktionieren sollte, empfehlen wir ein Lied.

Gesetzt den Fall, Sie haben ein bis viele Kinder, und beide Eltern arbeiten, dann wissen Sie, dass Sie genau zwei Dinge zum Überleben brauchen: eine perfekte Organisation – und tiefste Gelassenheit angesichts der Erkenntnis, dass das Chaos am Ende immer siegt. Vielleicht hilft es ein wenig, seine Nachkommen durchzunummerieren, wie es ein Facebook-Freund tut, der seine Kinder jetzt K1, K2 und K3 nennt. Er behauptet zwar, er wolle bloß ihre Namen im Internet schützen, aber es steckt sicher etwas anderes dahinter: Er hat eine Formel gefunden, mit der er das Leben perfekt organisiert. Und in Formeln heißen Variablen nicht Max oder Sarah, sondern X oder K. Seine Frau nennt er vermutlich F, wobei ich nicht weiß, ob eine Nummernbeifügung in diesem Fall nötig ist, er kommt aus Altona und nicht aus Abbottabad.

Der dort kürzlich verstorbene Osama brauchte sicher F-Nummern, auch wenn ich wegen der verwirrenden Nachrichten nicht begreife, welche seiner Frauen ihn verriet und welche die Soldaten mit einem Schuh angriff oder was nun. Auch weiß ich nicht, wie ich die Schlagzeile „Unbewaffneter Bin Laden wehrte sich gegen Soldaten“ deuten soll. Vermutlich zeigte er dem Spezialkommando einen gefährlichen Stinkefinger oder bewarf es mit der zerknüllten Burka der Verräterin. Man weiß es nicht und auch nicht, wen man fragen soll.

Andererseits ist das keine Frage, die mich nachts weckt, dafür ist die Chefin meiner Frau zuständig, eine perfekt organisierte Person, die ihre Führungsstärke rund um die Uhr einsetzt (sie hat wohl keinen M). Für mich heißt das, dass der Firmen-Blackberry meiner Frau öfter um drei Uhr nachts das Mailsignal dudelt. Ich frage: „Schatz, was war das?“ Sie: „Chefin. Hat mich zum Kick-off-meeting eingeladen.“ Und ich: „Oh, gut. Dachte schon, es wär’ der Wecker.“

Wir haben das mit den Kick-off-meetings, so nennen weltgewandte Menschen Konferenzen zum Start neuer Projekte, zu Hause längst aufgegeben. Weder das Projekt „Ich lasse dreckige Unterhosen nicht im Flur liegen“ noch das „Ich gehe abends gern ins Bett“ haben wir angesichts der gelebten Vetos von K1 und K2 erfolgreich implementieren können. Stattdessen singen wir jetzt viel. Am liebsten das Brecht’sche Lied von der menschlichen Unzulänglichkeit: „Ja mach ruhig einen Plan, sei nur ein großes Licht. Und mach dann noch nen zweiten Plan, geh’n tun sie beide nicht.“

Erschienen am 7. Mai 2011 in WELT und WELT ONLINE in der Rubrik „Hamburger Momente“. Eine Sammlung von Jens Meyer-Wellmanns Kolumnen über den alltäglichen Familien- und sonstigen Wahnsinn gibt es unter dem Titel „Schrei mich nicht an, ich bin ein Wunschkind“ auch als eBook bei Amazon, und zwar hier.

 

2 Kommentare

  1. Chefs, die glauben, dass der Angestellte es auch in seiner Freizeit ist – als ein Angestellter, gehören in die Produktion versetzt. Die Erosion des Privaten ist kein Witz und wer sie vorantreibt ein Feind des freien, selbstbestimmten Menschen. Klingt harsch, ist aber ernst gemeint.

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