Makropole Ehebett

Hamburgs Bürgermeister Olaf  Scholz will, dass wir näher zusammenrücken. Ich mache da nicht mit.

Unser Bürgermeister hat behauptet, je enger die Menschen zusammenlebten, umso kreativer und einfallsreicher würden sie, aber das stimmt nicht. Als ich kürzlich Pauls Größe-33-Füße im Gesicht hatte, fiel mir überhaupt nichts ein. Paul ist mein sechsjähriger Sohn, und es muss zwischen drei Uhr nachts und der dritten REM-Phase gewesen sein. Von links presste Pauls Bruder Max mir ein Knie in den Rücken, von oben wärmten Hundi und Hasi mir den Schädel, irgendwo hinter dem mannslangen Eisbären grummelte meine Frau, während mehrere Lego-Darth-Vaders und Klonkrieger, ein Schwert und ein Donald-Heft sich um meine Füße gruppierten.

So ein von Kindern gestürmtes Ehebett ist ja quasi das Versuchsfeld für das, was Olaf Scholz neuerdings als das Laboratorium der Moderne preist: die große, die enge, die verdichtete Stadt, kurz: die Big City, in der die Menschen eine neue Nähe leben und daher klug und kreativ und erfinderisch werden. Das ist des Bürgermeisters (von einem amerikanischen Professor geliehene) Theorie, aber ich bin kein großer Theoretiker und halte rein praktisch viel von einer gewissen Bewegungsfreiheit und absolut nichts von Füßen auf meiner Nase. Außerdem schlafe ich gern und zitiere mit Vorliebe einen Satz aus dem Jarmusch-Film „Mystery Train“, in dem eine junge Japanerin sagt: „Das Schlimme am Tod ist, dass man danach nicht mehr schlafen kann.“

Ich bin also aufgestanden und habe das Laboratorium der Moderne verlassen. Meine Kreativität reichte gerade noch dafür, den Weg ins Gästezimmer zu finden, ohne auf den Papierfliegern der jüngsten Luftschlacht auszurutschen, man kann sagen: Ich zog ohne größeren Zwischenfall in den Speckgürtel unserer Behausung, raus aus der großen Stadt in die kleine, wo jeder Mensch noch zwei Kubikmeter für sich allein hat, und versank in einen seltsamen Traum.

Ich träumte, ich saß in einem Flugzeug, das mich nach Hause bringen sollte, aber dann machte der Pilot die Durchsage, dass es in Hamburg neun Grad kühl und regnerisch sei und er das alles nicht mehr einsehe und daher nach Südspanien fliege. Wir alle jubelten, die Stewardessen servierten Sekt und Schokoladeneis, wir tanzten und besangen unsere Freiheit, bis wir schließlich landeten, aber nicht in Spanien, sondern auf Coruscant, das ist eine Makropole aus „Star Wars“.

Makropolen sind Städte, die ganze Planeten umspannen und die, weil sie sich nicht mehr in die Fläche ausdehnen können, kilometerweit in die Höhe und in die Tiefe wachsen. Ich fühlte mich schlagartig verlassen und verloren in diesem Dschungel aus Metall und Glas und Granit auf tausend Etagen, bis schließlich ein Joda-ähnlicher Knirps vor mir mit einem Laserschwert wedelte und „Papa, aufstehen, Schlafmütze“ rief und ich merkte, dass ich wieder im beschaulichen Hamburg gelandet war.

Es hätte wirklich schlimmer kommen können.

Erschienen am 10. September 2011 in WELT und WELT ONLINE in der Rubrik „Hamburger Momente“. Eine Sammlung von Jens Meyer-Wellmanns Kolumnen über den alltäglichen Familien- und sonstigen Wahnsinn gibt es unter dem Titel „Schrei mich nicht an, ich bin ein Wunschkind“ auch als eBook bei Amazon, und zwar hier.

 

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