Freund und Bolzenschneider

Manchmal hilft die Polizei auch beim Fahrradknacken. Man muss nur freundlich fragen.

Ich musste dieses Fahrrad einfach haben, ich wusste nur nicht, wie ich es knacken sollte, es war mit einem dicken Schloss an einen Poller vor der U-Bahnstation gekettet. Keine Ahnung, wie andere vorgehen, vielleicht schleichen sie sich nachts mit einem Bolzenschneider an, ziehen sich Mützen in die Stirn, schauen sich unauffällig um und dann mit aller Coolness und Gewalt, zack, durch das Schloss und ab dafür mit dem Drahtesel ihrer Träume.

Ich habe es anders gemacht, man muss gelegentlich neue Wege gehen, deswegen fuhr ich zur Polizeiwache und bat um Amtshilfe. Ich sprach ein wenig mit den netten Beamten, vermutlich lag es an meinem rhetorischen Talent, vielleicht hatten die freundlichen Herren auch bloß Lust auf eine verwegene Aktion, ein paar Minuten später jedenfalls packten sie den Bolzenschneider ein und begleiteten mich zur U-Bahnstation.

Okay, vielleicht sollte ich an dieser Stelle erwähnen, dass es sich bei dem Fahrrad, das ich unbedingt haben musste, um mein eigenes handelte. Ich hatte es bei Frost angeschlossen und später meinen Schlüssel im Schloss abgebrochen.

Der ADAC erklärte sich für unzuständig, meine Nachbarn haben keine Bolzenschneider, und ich hätte auch panische Angst gehabt, beim Aufbrechen meines eigenen Fahrradschlosses beobachtet, angezeigt und verhaftet zu werden. Gerade neben besagter Bahnstation schauen immerzu wachsame Nachbarn aus den Fenstern. Sehr sichere Gegend.

Also nahm ich den Kaufvertrag mit auf die Wache und diejenigen, die mir sonst die Strafzettel verpassen, knackten am Ende mein Fahrradschloss.

Eine ältere Dame schaute uns dabei aus dem Fenster zu. Ich meinte zu sehen, wie sie ungläubig die Augen zusammenkniff und ich wette, sie war kurz davor, die Polizei zu rufen – bis sie die Uniformen sah, und sich in einem Gefühl vollkommener Ohnmacht fragte: Was ist bloß aus diesem Land geworden?

Erschienen am 31. März 2012 in WELT und WELT ONLINE in der Rubrik „Hamburger Momente“. Eine Sammlung von Jens Meyer-Wellmanns Kolumnen über den alltäglichen Familien- und sonstigen Wahnsinn gibt es unter dem Titel „Schrei mich nicht an, ich bin ein Wunschkind“ auch als eBook bei Amazon, und zwar hier.

Ein Kommentar

  1. Ich habe mir auch mal mein Rad von der Polizei knacken lassen… ich hatte gerade eine Hospitation auf einer Wache im Rahmen meines Studiums und die Gelegenheit war günstig.
    Leider wurde mir kurze Zeit später mein edles Rad geklaut. Aber der Blick der Nachbarn ist bis heute unvergessen.

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