Olaf Scholz vom Glück verlassen

Elbvertiefung vertagt, Volksentscheid verloren, Gartenschau ein Flop, Streit über Flüchtlinge und Flora: Für Hamburgs SPD-Bürgermeister Olaf Scholz häufen sich plötzlich die Probleme.

Zuletzt hat er ja mehr in die Berliner Kameras gelächelt als in die Hamburger. Ein bisschen verkniffen, wie es seine Art ist, meistens gehend im Genossen-Tross auf dem Weg zum Sondieren mit der Kanzlerin. Oft eine Hand am Sakko, die schnell noch den Knopf überprüft. Alles soll sitzen, Olaf Scholz braucht die Kontrolle. Auch über die Bilder, die es von ihm gibt. Image ist das halbe Politikerleben. Die andere Hälfte ist Handwerk. Er nennt es: Gutes Regieren.

Das mit dem Image hat Olaf Scholz fast perfekt hinbekommen. Seinen erfolgreichen Aufstieg vom zuerst belächelten, dann verhassten SPD-Generalsekretär der Agendazeit zum anerkannten Arbeitsminister und schließlich zum Hamburger Bürgermeister hat er nicht nur seinem Ehrgeiz und seinem Fleiß zu verdanken. Er ist auch Folge eines gelungenen Imagewechsels.

In Wahrheit hat sich Olaf Scholz kaum verändert in all den Jahren, er hat seinem Ich nur ein paar positive Attribute beigemengt. Früher galt er als hölzerne Sprechmaschine, als Scholzomat. Heute redet er kaum anders. Aber wenn er jetzt Tagesthemen oder Heute Journal Interviews gibt, ohne eine Miene zu verziehen und selbst nach dem Gewinn der absoluten Mehrheit kein Lächeln auf die Lippen bekommt – dann gilt das nicht mehr als langweilig und verstockt, sondern als ernsthaft und seriös. Scholz hat es geschafft, seine frühere Schwäche, seine bis an die emotionale Sterilität heranreichende Selbstkontrolle, in eine neue Stärke umzudeuten. Hier setzt einer auf Arbeit statt auf Glamour, das ist die Botschaft seiner Schmallippigkeit. Handwerk statt Gesabbel. Verantwortung statt Wolkenkuckucksheim. Mit diesem Image hat er in Hamburg die absolute Mehrheit geholt. Und so will er eines Tages Kanzler werden.

Haushalt stabilisiert – ohne viel Tamtam

Aber vorher muss er erst einmal die zweite Hälfte dessen erledigen, was das Politikerdasein eben auch ausmacht: Er muss gut regieren, und zwar zunächst einmal in Hamburg. In den ersten beiden Jahren seiner Regierung schien das ganz gut zu klappen. Er tat, was er versprochen hatte, schaffte die Studiengebühren ab und kurbelte den Wohnungsbau an. Er befriedete den Konflikt um die Elbphilharmonie – mit vielen Hunderten Millionen Euro extra zwar, aber doch auch mit Zustimmung des Steuerzahlerbundes, der seine Lösung lobte. Und es gelang Scholz mit Blick auf die Schuldenbremse, den Haushalt zu stabilisieren und zu sparen – und zwar ohne viel Tamtam. Anders als seine Vorgänger, die regelmäßig pompöse Sparklausuren inszenierten und bei den Bürgern mit ihren Heulen-und-Zähneklapper-Reden stets massive Widerstände auslösten.

Nun aber scheint sich das Blatt für Olaf Scholz ins Schlechte zu wenden. An vielen Ecken läuft es plötzlich gleichzeitig schief. Begonnen hat die jüngste Pechsträhne des Bürgermeisters mit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, die Elbvertiefung vorerst zu stoppen. Nun droht eine zeitaufwändige Beteiligung des Europäischen Gerichtshofes. Diese Entwicklung kratzt an Scholz‘ Glaubwürdigkeit. Zusammen mit seinem parteilosen Wirtschaftssenator Frank Horch hatte er stets davon gesprochen, dass die Baggerarbeiten schon 2012 beginnen sollten. Nun ist nicht mal klar, ob es 2014 oder überhaupt etwas wird mit dem Anpassen der Fahrrinne. Je länger es dauert, umso größer die Wahrscheinlichkeit, dass die großen Reedereien etwa aus China mit ihren Riesenpötten auf besser erreichbare Seehäfen ausweichen.

Dabei stellt sich mittlerweile auch die Frage, ob die von der Hamburger SPD stets gepflegte wirtschaftspolitische Fixierung auf den Hafen langfristig noch sinnvoll ist. Denn, man kann es drehen und wenden, wie man will: Hamburg ist keine Stadt am Meer. Irgendwann werden die Containerfrachter, wenn sie immer größer werden, nicht mehr nach Hamburg kommen können. Die Grünen haben deshalb schon lange gefordert, Hamburg müsse sein Wachstum auch in andere Bereiche umlenken. Kürzlich hat auch Ex-Finanzsenator Wolfgang Peiner (CDU), Vater des Leitbilds der wachsenden Stadt, vor einer Fixierung auf den Hafen gewarnt. Weil Scholz aber stärker als alle anderen auf die Hafenkarte setzt, treffen ihn die Probleme bei der Elbvertiefung umso härter. Es zeige sich auch hier, dass „Scholz den Mund zu voll genommen hat“, sagt CDU-Fraktionschef Dietrich Wersich, der als Herausforderer des Bürgermeisters bei der Wahl 2015 ins Rennen gehen könnte. „Der Putz blättert an vielen Stellen.“

Die schlechte Bilanz der igs

Den Mund zu voll genommen haben die Verantwortlichen auch bei der Planung der Internationalen Gartenschau (igs) in Wilhelmsburg. Statt der veranschlagten 2,5 Millionen kamen nur etwas mehr als eine Million Besucher nach Wilhelmsburg. Deswegen fuhr die igs statt einer schwarzen Null ein sattes Minus von 37 Millionen Euro ein.

Eines der Lieblingswörter von Olaf Scholz ist „sorgfältig“. Man hört es dieser Tage von ihm oft im Zusammenhang mit den Koalitionsverhandlungen. Er hat aber auch wiederholt betont, dass das Projekt Elbphilharmonie vor dem Start „sorgfältiger“ hätte geprüft werden müssen. Nun muss er sich vorwerfen lassen, dass sein Senat bei der vom Vorgänger übernommenen, aber für gut befundenen Planung der igs, bei Prüfung von Gutachten, Preisgestaltung und Werbung selbst nicht genügend Sorgfalt an den Tag gelegt hat.

Scholz ist nicht so instinktlos wie seine Stadtentwicklungssenatorin Jutta Blankau, die das planerische Debakel der igs noch immer als Erfolg zu verkaufen sucht. Und die so tut, als sei sie die Mutter der schönen Blumen, die Vorgängersenate aber die Väter der Fehlkalkulation. Das ist schon deshalb Unsinn, weil Blankau Aufsichtsratschefin der igs war – also selbst für eine intensivere Bewerbung der Gartenschau und eine klügere Preisgestaltung hätte sorgen können.

Niederlage beim Volksentscheid

Weitaus größere Auswirkungen als die schlechte Bilanz der Gartenschau allerdings dürfte eine andere Niederlage des Bürgermeisters haben: die beim Volksentscheid über den Rückkauf der Energienetze. Natürlich, das haben auch Grüne und CDU 2010 nach dem Entscheid über die Schulreform gesagt: Es ging um eine Sachentscheidung, nicht um eine Abstimmung über das politische Personal. Und doch: Für Scholz ist es auch eine persönliche Niederlage, dass er nun gezwungen ist, für geschätzte zwei Milliarden Euro die Netze für Strom, Gas und Fernwärme zu verstaatlichen. Die Hamburger sind ihm erstmals nicht gefolgt – und zwar bei einer der weitreichendsten Entscheidungen dieser Wahlperiode. Und das, obwohl Scholz auf die Brisanz der Entscheidung schon vor der Wahl 2011 hingewiesen und dann bis zum Tag des Volksentscheids unermüdlich selbst für seine eigene Kompromisslösung gekämpft hatte: eine Beteiligung der Stadt mit 25,1 Prozent an den Netzen. Weder bei den in der Bürgerschaft gehörten Experten noch bei den Bürgern aber kam diese Variante an. Die Niederlage wiegt umso schwerer, als Scholz fast die gesamte Wirtschaft, Gewerkschafter, Steuerzahlerbund, die FDP, die CDU sowie Vattenfall und E.on hinter sich hatte – und von einer millionenschweren Kampagne unterstützt wurde, gegen die das 190.000 Euro-Budget der Volksinitiative bestenfalls Erdnussformat besaß.

Was aber womöglich noch schwerer wiegt, ist die Tatsache, das ganz offensichtlich ein großer Teil der SPD-Mitglieder und Wähler dem Partei- und Senatschef nicht gefolgt ist. Anders lässt sich das Ergebnis nämlich nicht erklären. Den Beinamen „König Olaf“ bekam Scholz bekanntlich nicht nur wegen seines zentralistischen Regierungsstils verpasst, sondern auch weil seine Macht mit der Doppelrolle als Bürgermeister und SPD-Landeschef größer ist als die seiner Vorgänger. Weil er die Partei nach Jahren der Skandale und Grabenkämpfe befriedet hatte, galt es zuletzt als unfein, dem aus Berlin herbeigeeilten Retter Scholz zu widersprechen. Langfristig kann eine solche Haltung allerdings gefährlich sein – sowohl für einen Regierungschef, wie auch für sein Partei. Das Votum vieler Genossen beim Volksentscheid gegen die Politik ihres Oberhauptes könnte den Beginn einer Emanzipation der Parteimitglieder anzeigen.

Für die SPD wird es ungemütlicher

Wenn die SPD sich fortan wieder stärker als Korrektiv des Regierungshandelns wahrnimmt, könnte die Basis sich bald auch in einen aktuellen Konflikt einschalten, der dieser Tage zu eskalieren droht: den um die Flüchtlingspolitik. Dass SPD-Innensenator Michael Neumann den Kurs gegen die Hamburger Lampedusa-Flüchtlinge ausgerechnet in der Woche verschärfte, in der im Fernsehen täglich Bilder der vor Lampedusa ertrunkenen Menschen zu sehen waren – das stieß nicht nur bei Parteilinken in der SPD auf Stirnrunzeln. Unabhängig von der Sache selbst, die man so oder so bewerten kann: Einen schlechteren Moment hätte der Scholz-Senat kaum wählen können, um sich als Garant einer kalten Rechtsstaatlichkeit zu gerieren. Hinzu kommt: Mit seiner Flüchtlingspolitik hat die Regierung der zuletzt lendenlahmen radikalen Linken eine perfekte Vorlage geliefert. Der Streit um die vom Eigentümer geplante Umnutzung der Roten Flora ist auch nicht ausgefochten. Die Besetzer haben angekündigt, dass sie eine Eskalation nicht scheuen würden. So droht dem einstigen Stamokap-Marxisten Scholz nun auch massiver Ärger von links – als hätte er nicht sowieso genug zu tun.

Bei der SPD leugnet man nicht, dass es gerade ungemütlicher wird. Das seien „durchziehende Wolken“, sagt Fraktionschef Andreas Dressel. Und Senatssprecher Christoph Holstein fügt hinzu, die Bürger fänden es „gut, wenn Politiker Kondition und gute Nerven haben und sich nicht einmal in etwas aufgeregteren Zeiten nervös machen lassen“.

Olaf Scholz sagt von sich, er kenne weder Nervosität noch Angst. Angst vor der eigenen Courage schon gar nicht. Warum auch? Er hat schließlich alles unter Kontrolle. Und er hat noch Großes vor. Schon 2001, als Scholz von Ortwin Runde auf eigenes Drängen zum Innensenator ernannt wurde, ließ er die Journalisten wissen: Mit diesem Job habe auch Helmut Schmidt mal angefangen.

Erschienen in der „Welt am Sonntag“ am 20. Oktober 2013 und auf welt.de und abendblatt.de am 19. Oktober 2013. Der NDR-Kollege Jan Frenzel hat den Artikel einige Tage nach Erscheinen zu einem eigenen Beitrag im Hamburg-Journal verarbeitet.

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