Total die Schwalbe!

Ich bin ein großer Freund klarer Grenzsetzungen. Leider ist meiner Zielgruppe das egal.

Ich dringe mit meinen Themen nicht durch. Dabei habe ich kluge Konzepte, was die Kindererziehung angeht. Zum Beispiel bin ich dafür, dass Acht- und Elfjährige um 22 Uhr längst im Bett sein sollten, jedenfalls an einem Wochentag. Und ich bin dagegen, dass die noch nicht mal Halbstarken, die ihre Füße unter meinen Tisch stellen, ihre klebrigen Klamotten immer exakt da fallen lassen, wo sie sie ausziehen – so als sei die Gravitationskraft bei Jungsunterhosen unüberwindbar. Allein, Konzepte hin, Konzepte her, wir haben ein Vermittlungsproblem. Erst recht, wenn Fußball läuft.

„Ab ins Bett.“ „Boah, Freistoß ganz nah am Tor.“ „Danach aber sofort.““Alllteeeer, das war Gelb!“ „Interessiert mich nicht, ihr geht ins Bett, sonst zieh ich Rot.“ „Ich hab Durst.“ „Dann träum von `ner Kiste Fanta.“

Erst geht der Eine zum Kühlschrank, öffnet die Tür in Superzeitlupe und guckt eine Minute lang teilnahmslos ins Chaos. Dann trottet der Andere hinterher. Stellt sich neben den Ersten und glotzt mit auf Gouda und Gulasch. Wie erstarrt. Erst der Lattenkracher bringt Leben zurück.

„Boah, Papa, hast du das gesehen?“ „Nein, ich gucke nur zufällig in Richtung des Fernsehers.“ „Die schießen noch ein Tor“, sagt der Kleine und macht die Kühlschranktür wieder zu. „Und dann Verlängerung“, sagt der Große. „Für Euch Verkürzung“, sage ich. „Ab dafür.“ Keine Regung. Und dann: „Ich muss mal.“ Und der Andere: „Ich warte hier auf ihn.“

Mein Konzept klarer Grenzen wird eiskalt ignoriert. „Ej, Mann, total die Schwalbe.“ „Sucht es Euch aus: Ihr macht freiwillig den Abflug. Oder ihr verzichtet aufs nächste Taschengeld.“

„Ich wollte meins für Kinder spenden, die kein Spielzeug haben, das geht dann wohl nicht“, tönt es vom Klo. „Tor!“, schreit der Andere. Ich mache die Glotze aus, und wecke meine Frau auf dem Sofa. „Wir gehen jetzt ins Bett“, sage ich in die Runde.

„Schlaft gut!“, sagt der Große. „Und, Papa: Lass die Fernbedienung hier!“

Erschienen am 12. Oktober 2013 in der WELT in der Rubrik „Hamburger Momente“.

 

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