Hamburgs SPD mit neuer Kraft

Die seit Längerem verbreiteten Nachrichten über das baldige Ableben der SPD kamen offensichtlich verfrüht. Bei ihrem Hamburger Parteitag jedenfalls zeigte sich die Partei ausgesprochen lebendig. Das Führungsduo aus Parteichefin Melanie Leonhard und Bürgermeister Peter Tschentscher hat ein Jahr nach der Amtsübernahme sichtbar Tritt gefasst.

War Tschentscher bei seinem ersten Parteitag als Senatschef 2018 noch still im Hintergrund geblieben und hatte nicht ein offizielles Wort an die Genossen gerichtet, so gab er am Sonnabend in den Messehallen in freier und teils launiger Rede klar den Takt vor und konkrete neue Ideen aus – und wurde minutenlang von den rund 300 Delegierten mit Standing Ovations gefeiert. Die Blässe, die dem Mediziner in den ersten Monaten als Bürgermeister attestiert wurde, ist einem eigenen Profil gewichen.

Tschentscher tritt nicht marktschreierisch und dominant auf, er nimmt (anders als mancher Vorgänger) auch Anregungen und Widerspruch aus der Partei und von außen auf, wägt in der Sache ab und gibt dann einen Kurs vor, an dem sich alle orientieren können. Ein lautes Ja zu Europa und zur Internationalität Hamburgs mit seinen mehr als 600.000 Bürgern mit Migrationshintergrund und eine Kampfansage an (rechten) Populismus gehören dabei zum SPD-Markenkern.

Partei wirkt wieder als Ideenwerkstatt

Bei alldem ergänzt sich Tschentscher gut mit Parteichefin Leonhard, die in den Messehallen die großen Linien der SPD für Hamburg skizziert und an sozialdemokratische Grundwerte erinnert hat: Bildungsgerechtigkeit, ein gutes Umfeld für Unternehmen, die aber gerechte Löhne zahlen müssen – und den Kampf für den Erhalt der Demokratie, der neuerdings nicht mehr nur eine Floskel, sondern längst eine drängende Notwendigkeit ist.

Natürlich sind Parteitage vor anstehenden Wahlen (wie jetzt zu Bezirksversammlungen, Europaparlament und Bürgerschaft) immer auch PR-Veranstaltungen und sollen Stärke suggerieren, wo diese nicht immer wirklich vorhanden ist. Allerdings hat die Hamburger SPD am Wochenende nicht nur gezeigt, dass sie ihre Führungsleute für die Medien laut beklatschen kann. Sie hat auch eine lange vergessene Qualität wiederentdeckt: die Fähigkeit, in der Sache hart zu diskutieren – und dabei doch als Partei an einem Strang zu ziehen.

Stundenlang haben die Genossen offen darüber debattiert, ob die SPD sich für ein 365-Euro-HVV-Jahresticket einsetzen soll – und diese Idee schließlich verworfen und sich auf einen gemeinsam veränderten Leitantrag zur Verkehrspolitik geeinigt. Einstimmig. Das Ganze zeigt: Nach dem Abgang von Olaf Scholz und der Aufteilung von Senats- und Parteiführung auf zwei Personen hat die SPD eine neue alte Rolle: Sie dient nicht mehr nur als Machtinstrument. Sie leistet auch einen wichtigen Beitrag als Ideenwerkstatt.

Schnelle Umsetzung der Versprechen notwendig

Dabei müssen die Regierenden allerdings erst noch beweisen, dass sie die nun ausgegebenen SPD-Versprechen zur Verkehrspolitik auch umsetzen können. Die Garantie, dass die Menschen bis 2029 an jedem Ort der Stadt nach maximal fünf Minuten Wartezeit von Bus, Bahn oder Shuttle-Service abgeholt werden, ist maximal ambitioniert. Zumal sie kombiniert wurde mit der Zusage günstigerer HVV-Preise für Senioren, Schüler, Azubis und Angestellte – und einer generellen Deckelung von Preisanstiegen.

Nun müssen SPD und Senat den Hamburgern zügig konkrete Konzepte zur Umsetzung dieser großen Versprechen vorlegen – und zwar noch vor den Wahlen. Sonst wäre das Ganze schnell als Wahlkampfgag entlarvt. Und darüber würde dann auch kein Dauerapplaus auf Parteitagen hinwegtäuschen.

Erschienen als Leitartikel im Hamburger Abendblatt am 1. April 2019. Der Bericht zum Parteitag findet sich hier.

Ein Kommentar

  1. „eine Kampfansage an (rechten) Populismus gehören dabei zum SPD-Markenkern“

    Soll heißen, auf eine Kampfansage an linken Populismus wird man vergeblich warten müssen ? Ein aktuelles Beispiel böte die Diskussion um die Enteignung privatisierter Wohnungsunternehmen ‚gegen den Mietwahnsinn‘. Peter Tschentschers Meinung hierzu ?

    Die Sozialdemokratie sollte politisch-programmatisch nicht immer nur den medienstarken Grünen hinterhecheln, wenn sie als eigenständige Kraft wahrgenommen werden möchte.

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