Am 24. Februar jährte sich die Wahl, nach der Bürgermeister von Beust das erste Bündnis mit den Grünen schmieden konnte. 15 Jahre hatte der CDU-Politiker auf diese Machtoption hingearbeitet. Sein Erfolg beruht auch darauf, dass er seinen politischen Standort stets mühelos anpasst.
Sie haben ihn einen „Di-Mi-Do-Bürgermeister“ geschimpft, einen, der sich nur von Dienstag bis Donnerstag für Hamburg ins Zeug legt und es sich zwischen Freitag und Montag lieber auf Sylt gut gehen lässt. Oder einen Teflon-Politiker, an dem nichts kleben bleibt, nicht die ganze Kette von Schill- und Kusch-Skandalen und auch nicht das wiederholte Ignorieren von Volksentscheiden. Schließlich haben sie ihm vorgeworfen, er regiere gar nicht, er präsidiere bloß und kümmere sich nicht um wichtige politische Entscheidungen.
Und doch blicken diejenigen, die solche Vorwürfe seit Jahren erheben, vor allem Hamburger Sozialdemokraten, mindestens ebenso fasziniert, vielleicht sogar neidisch auf das Phänomen Ole von Beust wie mittlerweile die gesamte politische Klasse des Landes.
Am Dienstag jährt sich die Bürgerschaftswahl 2008, seit der von Beust, zum dritten Mal von den Hamburgern ins Amt befördert, nun mit den Grünen regiert. Nicht einmal zwei Jahre fehlen ihm noch, um Hamburger Rekordbürgermeister zu sein. Niemand wird dann nach 1945 die Hansestadt länger am Stück regiert haben als von Beust.
Dass er mit Schill an die Macht kam, nimmt niemand mehr übel
Dass er 2001 nur mit Hilfe des windigen Rechtspopulisten Ronald Schill ins Amt kam, wirft ihm kaum noch jemand vor, heute, wo er mit Schills einstmals schärfsten Kritikern von der Grün Alternativen Liste (GAL) regiert. Schon allein deswegen wird der Freiherr, der sich mit 18 Jahren seinen Spitznamen Ole standesamtlich eintragen ließ, als bedeutender CDU-Politiker in die Geschichte eingehen. Nicht wegen der Elbphilharmonie (wenn ?sie denn endlich steht) oder der Wachsenden Stadt. Allein, weil er es geschafft hat, binnen weniger Jahre erst mit einem Schill und ?dann mit der GAL zu regieren. Damit, dass er als erster CDU-Landesfürst ein Bündnis mit den Grünen zustande brachte, hat er seiner Partei die größtmögliche Handlungsfreiheit in Zeiten eines Fünfparteiensystems verschafft.
Wohl kein anderer deutscher Politiker wäre zu einer solchen Volte in der Lage gewesen. Denn der Erfolg des Modells von Beust ruht auf zwei Säulen: Auf einem durch und durch unprätentiösen und sympathischen persönlichen Auftreten, auf einer Erhebung des gepflegten Smalltalks zu einer Kunstform, wie nur er sie in dieser Perfektion beherrscht. Und auf der weitgehenden Entpolitisierung von Politik.
Fragt man Abgeordnete, Politologen oder den gemeinen Wähler, so kann kaum jemand eine Antwort auf die Frage geben, für welche konkreten politischen Inhalte dieser Spross einer CDU-Familie (sein Vater war Mitbegründer der Jungen Union) eigentlich steht. Zu flexibel hat er sich seit seiner Regierungsübernahme im Herbst 2001 gezeigt.
Dauerndes Hin und her in Umwelt-, Bildungs- und Energiepolitik
Beispiel Ökologie: Kaum an der Macht, schaffte er die Umweltbehörde ab und hob das Tempolimit auf Hamburger Straßen an. Anfang 2007 ließ er sich dann plötzlich von der Bundes-CDU zu deren Umweltbeauftragten und oberstem Klimaschützer küren. Der Al-Gore-Film zur Klimakatastrophe habe ihn bekehrt, behauptet er.
Beispiel Energiepolitik: 2007 ließ er das Kohlekraftwerk Moorburg genehmigen und stellte es als alternativlos dar. Heute versucht der Senat, den Bau mit juristischen Winkelzügen zu verhindern.
Beispiel direkte Demokratie: Mehrfach hebelte er selbst Volksentscheide aus. Jetzt will er sie verbindlich machen.
Beispiel Wirtschaft: Kaum ein Bürgermeister privatisierte so schnell wie von Beust, dessen Senat binnen weniger Jahre die Kliniken des Landesbetriebs Krankenhäuser (LBK) verkaufte (an Asklepios), die Reste der Hamburgischen Electricitäts-Werke (an Vattenfall), ja sogar die Gebäude, in denen die Hamburger Behörden selbst arbeiten (an französische Fonds). Heute konstatiert er, der Kapitalismus sei gescheitert, und seine Senatoren singen Loblieder auf den Staat.
Beispiel Bildungspolitik: Im Wahlkampf 2008 gerierte sich seine CDU als Retterin der Gymnasien gegen linke und grüne Pläne einer Schule für alle und gegen eine bildungspolitisch vollkommen unentschiedene SPD. Heute führt der Beust-Senat in beispielloser Eile eine sechsjährige Primarschule ein, ein System, das niemand gewollt hat, weder die Grünen (die eine neunjährige Gemeinschaftsschule wollten) oder die Linken, nicht die SPD und schon gar nicht die CDU, denn schließlich nimmt man mit der Reform den Gymnasien zwei Schuljahre weg. Er habe eben dazugelernt, entgegnet er Kritikern, die ihm bildungspolitische Beliebigkeit vorwerfen und in der Primarschule nichts als einen faulen schwarz-grünen Kompromiss sehen. Diesmal fand sein Erweckungserlebnis, anders als beim Klima, nicht im Kino statt. Diesmal bemerkte er plötzlich, dass eine sechsjährige Grundschule weltweiter Standard sei.
Beust hat sich von den Fesseln politischer Inhalte befreit
All das zeigt: Wenn man von bestimmten Grundwerten wie der Abneigung gegen jede Form der Diskriminierung absieht, sind tief sitzende und also langlebige Grundüberzeugungen beim Hamburger Bürgermeister kaum aufzuspüren. Im Gegenteil: Ole von Beust ist der erste Politiker, der sich fast vollständig von den Fesseln politischer Inhalte befreit hat.
Gerade das hat ihn so erfolgreich gemacht. Und erst das hat ein Bündnis mit den Grünen ermöglicht. Während Leute wie der hessische Ministerpräsident Roland Koch mit hartem inhaltlichen Profil in die politische Mittelmäßigkeit abrutschten, erfreut sich die Hamburger CDU nach wie vor guter Umfragen, und ihr Bürgermeister kann sich auf extrem hohe Beliebtheitswerte stützen. Man nimmt es dem netten Ole nicht übel, dass er für nicht viel mehr steht als für sich selbst.
Möglich ist eine solche Entkernung von Politik dabei letztlich nur durch das systematische Verwischen von Gegensätzen – eine Kunst, die von Beust wie kein anderer beherrscht. Er verwischt die Grenzen zwischen links und rechts genauso wie die zwischen U- und E-Kultur. Der jüngste Beleg dafür ist ein Interview, das er vergangene Woche gab. Dafür ließ er sich mit einem Karl-Marx-Porträt fotografieren, erklärte den Kapitalismus für gescheitert, den Sozialismus aber ebenso. Als seine Lieblingslektüre nannte er den Philosophen Karl Popper und Donald Duck. Er legte ein gutes Wort für die früheren Schill-Parteigänger ein und nannte die Abgeordneten der Linkspartei „menschlich angenehm und intelligent“. Der Mann hat für jeden etwas im Portfolio.
Geholfen hat ihm aber stets auch etwas anderes: Von Beust, der zu Hause am Computer gern die weltweite Wetterentwicklung per Internet verfolgt, erspürt Veränderungen des politischen Großklimas früher als viele andere – und kann deswegen ebenso rechtzeitig wie flexibel darauf reagieren.
Schwarz-Grün ist sein Lebenswerk – er hat es lange vorbereitet
Bei all dem kann man ihm nicht unterstellen, er führe die Wähler hinters Licht. Er hat sich, was die großen Linien angeht, stets offen zu seinen Absichten geäußert. 2001 machte er neun Monate vor der Wahl klar, dass er notfalls mit Schill koalieren würde, um die SPD nach 44 Jahren Regierungszeit abzulösen. Und im Wahlkampf 2008 ließ er offen durchblicken, dass die Zeit reif sei für Schwarz-Grün.
In Wahrheit hat von Beust seit 15 Jahren auf dieses Bündnis hingearbeitet, in dem viele die Wiedervereinigung des über eine Generation lang zersplitterten Bürgertums sehen. Schon in den 90er-Jahren beschäftigte er sich mit der „Politik nach dem Ende der Ideologien“ – und liebäugelte öffentlich mit Schwarz-Grün. Spätestens seit Gewinn der absoluten Mehrheit 2004 bereitete er seine Partei intensiv auf ein künftiges Bündnis mit den Grünen vor. Er half, schwarz-grüne Koalitionen in den Bezirken Altona und Harburg zu installieren – als Versuchslabore für die Landesebene. Und er sorgte dafür, dass Senatoren und Abgeordneten die GAL kaum noch attackierten und sie stets als bessere Opposition im Vergleich mit den angeblich verbohrten Sozialdemokraten darstellten. Mit der Wahl vor einem Jahr ist von Beust nach einer langen Reise ans Ziel gekommen. Schwarz-Grün ist gewissermaßen sein Lebenswerk.
Aber diesen Ausdruck würde er wohl als zu prätentiös ablehnen. Es würde ihm vermutlich reichen, wenn man ihm mal neidlos ein langes Wochenende auf Sylt gönnte.
Erschienen im Hamburg-Teil der „Welt am Sonntag“ am 22. Februar 2009und auf WELT ONLINE. Eine Sammlung von Jens Meyer-Wellmanns Kolumnen über den alltäglichen Familien- und sonstigen Wahnsinn gibt es unter dem Titel „Schrei mich nicht an, ich bin ein Wunschkind“ auch als eBook bei Amazon, und zwar hier.