Das Ole-Prinzip, oder: Die Entpolitisierung der Republik geht von Hamburg aus

Die Bundes-CDU weigert sich derzeit strikt, über politische Inhalte zu streiten. Anders gesagt: Sie verweigert den Wahlkampf. Erfunden wurde dieses Konzept in Hamburg. Bürgermeister Ole von Beust hat die CDU mit der radikalen Entpolitisierung der Politik in der Hansestadt zu beeindruckenden Erfolgen geführt. Nun eifert Angela Merkel ihm nach.

Tun wir mal kurz so, als wäre Politik in der Demokratie so etwas wie eine Auseinandersetzung unterschiedlicher Parteien um die besseren Konzepte zur Lösung gesellschaftlicher Probleme und zum Ausgleich von Interessengegensätzen. Es handelt sich ja nur um eine These. Wenn Politik also mit Inhalten zu tun hätte, was täte dann Ole von Beust?

Der Hamburger Bürgermeister ist 2004 mit dem Wahlslogan „Michel, Alster, Ole“ angetreten. Der Michel ist eine ältere Kirche in Hamburg, die Alster ist ein mitten in der Stadt zu einem Pseudo-See aufgestautes Flüsschen, und Ole ist, solange akzentfrei geschrieben, ein zweisilbiger Vorname, andernfalls ein iberischer Ausruf, den man mit schwarzäugigen Männern verbindet, die gerade einen müden Stier erdolcht haben. Kirche, Flüsschen, Vorname. Ein knackiges politisches Programm.

Der Wahlkampf war politikfrei, die Regierung nicht

Michel, Alster, Ole. Die Spötter haben das zu MAO verkürzt, aber das hat ihnen auch nichts genützt. Michelalsterole hat mit seinem Slogan die absolute Mehrheit gewonnen, ein Ergebnis geholt, von dem man bei der CDU in Hamburg früher nicht einmal im Vollrausch hätte halluzinieren können. Der MAO-Wahlkampf gilt bis heute als perfekte, weil vollkommen inhaltsfreie Wahlkampagne. Selbst politische Konkurrenten und Mitbewerber in der PR-Branche haben das neidlos anerkennen müssen.

Der politikfreie Wahlkampf hat unterdessen keinesfalls zu einer politikfreien Regierungszeit geführt. Im Gegenteil: Unter der Führung des damaligen CDU-Finanzsenators Wolfgang Peiner hat der Beust-Senat eine radikale Privatisierungspolitik betrieben. Er hat die städtischen Krankenhäuser und dazu die letzten Anteile an den Hamburgischen Electricitätswerken verkauft. Er hat massenhaft städtische Edelimmobilien veräußert. Die Hochbahn hat Anlagen und U-Bahn-Wagen an US-Fonds verkauft und zurückgeleast. Beust und Peiner haben die Fusion der Landesbanken von Hamburg und Schleswig-Holstein vorangetrieben und über die städtischen Vertreter im Aufsichtsrat der neuen HSH Nordbank auch hochspekulative Geschäfte gutgeheißen.

Die Bürger durften über zentrale Fragen nicht abstimmen

Mit anderen Worten: Der MAO-Senat hat eine (von seinen Gegnern als “neoliberal” kritisierte) Politik betrieben, wie sie seinerzeit bei den Konservativen (und nicht nur bei ihnen) weltweit im Mainstream lag. Aus heutiger Sicht war vieles davon falsch, aber lassen wir diesen Punkt beiseite. Viel wichtiger ist doch, dass hier eine Politik gemacht wurde, die (egal, ob sie nun richtig oder falsch war) dem Volk, den Wählern niemals zur Entscheidung vorgelegt worden war. Man hatte die Menschen über Alster, Michel, Ole abstimmen lassen, nicht über die Frage, ob es gut oder nicht gut ist, vieles zu verkaufen, was dem Staat oder der Stadt gehört. Diese Frage war lediglich in einem erfolgreichen Volksentscheid gegen den Verkauf der Hamburger Kliniken beantwortet worden. Da dieser Entscheid aber nicht bindend für den MAO-Senat war, ignorierte er ihn.

2008 wurde Ole von Beust wieder gewählt, diesmal hatte er sich (wieder) bis kaum drei Wochen vor der Wahl geweigert, über seine Vorstellungen von Politik und Gesellschaft zu reden und auch danach kaum Gehaltvolles gesagt, stattdessen aber schöne schwarz-weiße Riesenplakate von sich selbst überall aufhängen lassen, auf denen zum Beispiel stand „Wir machen es uns nicht leicht“. Was wer sich nicht leicht macht, und was herauskommt, wenn er oder sie es sich schwer macht, stand nicht da. Gewählt wurde von Beust trotzdem mit respektablem Ergebnis, und heute regiert er mit den ursprünglich von ganz links kommenden Hamburger Grünen, während er mit einem Rechtspopulisten namens Ronald Schill 2001 an die Macht kam.

“Wer nach allen Seiten offen ist, kann nicht ganz dicht sein”

Man kann sich darüber aufregen. Man kann sagen: „Wer nach allen Seiten offen ist, kann nicht ganz dicht sein.“ Man kann Michelalsterole aber auch bewundern, weil er so gut wie kaum ein anderer weiß, was die Menschen hören wollen (nämlich nichts) und sehen wollen (nämlich schöne Bilder), und weil er deswegen zu den erfolgreichsten Wahlkämpfern der Republik gehört. Man könnte natürlich auch anders. Aber dazu muss man erst einmal Folgendes wissen: MAO, oder nennen wir es das Ole-Prinzip, hat in diesem Jahr 2009 Deutschland erobert. Von Hamburg ausgehend, hat sich die Entpolitisierung der CDU und damit schleichend auch der gesamten Politik bundesweit verbreitet. Das liegt daran, dass Ole von Beust ein sehr gutes und enges Verhältnis zu Angela Merkel pflegt. Und daran, dass er in Hamburg bewiesen hat, dass es nicht nur möglich ist, sich als Politiker von lästigen Inhalten zu befreien – sondern dass der Wähler diese Befreiung von Fakten, Fragen und Konzepten sogar belohnt. Festlegungen und klare Ansagen haben der Merkel-CDU 2005 schließlich eher geschadet.

Heute eifert Angela Merkel deswegen Michelalsterole nach und versucht, einen ebenso perfekten MAO-Wahlkampf hinzulegen. Sie sagt nichts Inhaltliches (über Schulden, Steuern, Opel, Arbeitslosigkeit, Banken, Umweltpolitik), dafür aber Alltägliches (wer ihr die Wäsche wäscht, und wer zuhause den Einkaufszettel schreibt). Sie versucht, gut auszusehen (was ihr allerdings nicht annährend so gelingt, wie dem stets perfekt frisierten MAO). Und damit wird sie womöglich letztlich gewinnen, da können Münte und Steinmeier noch so mit den Füßen aufstampfen und eine inhaltliche Debatte fordern. Und da kann ZDF-Chef Nikolaus Brender noch so (berechtigt) gegen diese „Respektlosigkeit“ der Kanzlerin gegenüber dem Volk ankommentieren. All das dürfte kaum etwas nützen.

Beust ist der Vordenker der CDU – nicht nur wegen Schwarz-Grün

Ole von Beust mag keine bundespolitischen Ambitionen hegen und außerhalb Hamburgs nur spärlich wahrgenommen werden. Und doch ist er durch seine Hamburger Erfolge längst einer der wichtigsten Vordenker und einer der zentralen Strategen der neuen CDU Deutschlands. Nicht nur, weil er als erster Ministerpräsident (erst mit einem Rechtspopulisten und nun) mit den Grünen koaliert. Sondern vor allem, weil er seiner Partei die größtmögliche Freiheit geschenkt hat, indem er sie zu einem Club der Unpolitischen geformt hat.

Die Frage, was Ole von Beust täte, wenn es in der Politik um Inhalte ginge, erübrigt sich damit. Man kann sie so beantworten, wie es die Hamburger Regierung gelegentlich bei Anfragen der Opposition tut: “Der Senat beantwortet hypothetische Fragen grundsätzlich nicht.”

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