Keine Ahnung, wie es Ihnen geht, vielleicht bin ich auch einfach ein zu distanzierter Typ. Aber ich mag Politiker nicht anfassen. Auch im Wahlkampf nicht. Obwohl die Damen und Herren ja jetzt erhöhten Wert darauf legen, angefasst zu werden. „Politik zum Anfassen“ verspricht mir zum Beispiel der Hamburger SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs auf seinen Plakaten rund um die Alster. Auch seinen Genossen Markus Schreiber, den Herrn Bezirksamtsleiter, will er zum Anfassen zu seinen Bürgersprechstunden und Stammtischen mitbringen. Ich geh zu so was nicht hin.
Im ehrwürdigen Rathaus werden bei Tagen der offenen Tür seit Jahren „Politiker zum Anfassen“ angeboten – aus allen Parteien selbstverständlich, auch beim Körperkontakt muss schließlich der Proporz gewahrt bleiben. Wenn es wenigstens dabei bliebe. Aber nein. Neben Politikern bietet man uns überall Popstars, Fußballer, Wissenschaftler zum Anfassen.
Ich kann Sie nur warnen. Machen Sie das nicht mit! Auch aus medizinischer Sicht. Ich bin zwar kein Arzt, aber als Hypochonder ist man im Grunde besser informiert als all diese Kittelträger unter Gottes bewölktem Himmel zusammen.
Stellen Sie sich also vor, Sie fassen einen Kahrs oder Schreiber oder gar eine Merkel oder einen Müller-Sönksen an, und weil Ihnen das dann doch irgendwie peinlich ist, fahren Sie sich danach in einer verlegenen Geste über die Nase, und zack: Streptokokken, Schweinegrippe, Vogelpest. Denn es ist es ja nicht so, dass Politiker keimfrei wären. Schon gar nicht, nachdem alle Welt sie angefasst hat.
Dabei wäre es viel gesünder, wenn man Politiker, ohne sie anzufassen, begreifen könnte oder sie uns mit etwas mehr Abstand etwas präsentierten, das uns berührt. Aber damit wird es wohl bei dieser Wahl nichts. Oder berührt Sie der CDU-Slogan „Wir haben die Kraft“? Zu was? Oder der SPD-Spruch „Unser Land kann mehr“? Warum haben die dann in elf Jahren Regierung nicht mehr rausgeholt?
Mich wühlt das nicht auf. Fasst mich auch nicht an. Ist mir aber auch ganz recht so.
Erschienen am 5. September 2009 in WELT und WELT ONLINE Eine Sammlung von Jens Meyer-Wellmanns Kolumnen über den alltäglichen Familien- und sonstigen Wahnsinn gibt es unter dem Titel „Schrei mich nicht an, ich bin ein Wunschkind“ auch als eBook bei Amazon, und zwar hier.