Anzugkauf im Kultladen Policke in Hamburg-St. Georg ist ein Erlebnis der besonderen Art. Dafür rücken die Herren auch gern ein wenig zusammen.
Wenn es stimmt, dass ein ordentlicher Anzug aus jedem Schluffke einen Mann macht, dann ist der uralte Laden mit dem heruntergekommenen Treppenhaus in der Böckmannstraße eine wahre Männerfabrik.
Policke, Anzüge seit 1931. Rund 30.000 Smokings und Fräcke, Hemden, Mäntel, Cuts und Krawatten für Rund und Schlank, Kurz und Lang, verteilt auf vier Etagen, die das exakte Gegenteil von modern eingerichtet sind.
Hier gibt es keinen Fahrstuhl, kein Sektchen und Gedudel, stattdessen schief gelatschte Treppen, auf denen es sich an Sonnabenden über mehrere Stockwerke stauen kann. Linoleumböden und Hinweisschilder, wo man sich anzustellen hat. Kein Tüdelüt, man kommt ja nicht zum Spaß her.
Bei der Mannwerdung in St. Georg durchwandern gesetzte Herren und Konfirmanden gleichermaßen einen riesigen begehbaren Kleiderschrank, überall baumelt gedrängte Markenware von den Decken.
Damit er sich nicht verirrt, wird der Kunde schon am Eingang von einem der 40 Verkäufer taxiert und einsortiert: Die Dünnen nach oben, die Dicken nach unten. Ein Blick reicht, Maßbänder werden nicht benötigt.
Auch hier natürlich kein Anzugkauf ohne Loriot’sche Szenen: „Mein Mann ist ein Zwischengrößenzwerg“, sagt eine Obergrößenmatrone – unnötige Belehrung, der Verkäufer hat das passende Modell längst in der Hand.
Und als der Kunde sich mit neuer Hose in die Umkleide drängt, dort aber auf einen nacktbeinigen Siebziger trifft und rückwärts wieder hinaustritt, da schiebt der Verkäufer ihn sanft voran und säuselt indigniert: „Mein Herr, wir haben Sammelumkleiden.“
Erschienen am 5. Mai 2012 in WELT und WELT ONLINE in der Rubrik „Hamburger Momente“. Eine Sammlung von Jens Meyer-Wellmanns Kolumnen über den alltäglichen Familien- und sonstigen Wahnsinn gibt es unter dem Titel „Schrei mich nicht an, ich bin ein Wunschkind“ auch als eBook bei Amazon, und zwar hier.