Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz fliegt nach Schweden. Irgendein Skandälchen wird es sicher auch in Skandinavien geben. Denn kaum eine Bürgermeisterreise kommt ohne echten oder künstlichen Eklat aus. Ein kleiner Rückblick auf die Aufreger der jüngeren Reisen der Senatschefs – in diesem Text, der am Ende der Südamerikareise von Scholz im April 2013 in der „Welt am Sonntag“ gedruckt wurde.
Natürlich gab es auch diesmal einen Skandal, oder sagen wir: ein Skandälchen. Es hat ja im Grunde kaum eine Bürgermeisterreise ohne irgendeinen Eklat gegeben.
Was nicht unbedingt etwas über die Integrität oder Professionalität der Hamburger Senatschefs oder ihrer Stäbe aussagt – aber sehr viel über die Gruppendynamik dieser Reisen, auf denen standesbewusste Unternehmensführer, bisweilen sehr spezielle Wissenschaftler, PR-süchtige Politiker und dauererregte Journalisten miteinander ins Geschäft kommen müssen und einander dabei tagelang nicht entfliehen können.
Egal ob in China, Indien, Arabien oder Südamerika: Man sitzt in diesen Delegationen vom Frühstück bis zum nächtlichen Caipi zusammen, in Konferenzsälen, Flugzeugen, Schiffen und Bussen. Immer etwas gestresst, bisweilen zugleich müde und aufgekratzt. Man hetzt gemeinsam durch die voll gepackten Tage und irgendwann ist es so, als reise man mit Freunden.
Das ist natürlich ein Irrtum, denn jeder verfolgt ja seine eigenen Interessen. Der politische Stab will den Bürgermeister im besten Lichte sehen. Die mitgereisten Parlamentarier der Opposition fühlen sich notorisch benachteiligt und müssen, das ist ihr Job, öfter mal herumkritteln. Die Unternehmer wollen Geschäfte machen.
Und die Journalisten suchen inmitten all der langweiligen Termine in Regierungsgebäuden und Konzernzentralen ständig nach Geschichten, die mehr Sex haben als das Händeschütteln und die blechernen Statements älterer Herren (Damen kommen auf solchen Reisen weniger vor). Schließlich stehen Medienleute (wie Politiker) unter Rechtfertigungsdruck: Warum überhaupt macht man solche Reisen? Was das wieder kostet!
So entsteht ein Biotop, in dem nichts besser gedeiht als der
Skandal. Übermüdete Politiker lassen unvorsichtige Bemerkungen fallen, unzufriedene Delegationsmitglieder machen nach dem dritten Rotwein ihrem Unmut Luft, und die untereinander in hartem Konkurrenzkampf stehenden Journalisten senden und schreiben alles eilig nach Hause in ihre Redaktionen. Neuerdings wird die Erregung noch durch Facebook- und Twittereinträge gesteigert.
Wenn dann am nächsten Tag der Pressespiegel kommt, ist die Aufregung kaum noch zu ertragen, und manches Vertrauen auf ewig gestört. Wobei die Ewigkeit meist nur einen halben Tag dauert.
Bürgermeister Ortwin Runde hat frühere Senatschefs bei einem Gespräch in Warschau 1998 einmal als „Dussel“ bezeichnet, weil die es über Jahrzehnte versäumt hätten, eine S-Bahn zum Flughafen zu bauen.
Dummerweise standen Journalisten daneben, und am nächsten Tag war im „Abendblatt“ wahrheitsgemäß zu lesen: „Bürgermeister nennt Vorgänger Dussel“. Das fand Runde nicht witzig, und seine Leute schimpften über die Journalisten, die einen künstlichen Skandal erzeugt hätten. Die konterten, dass ein Hamburger Bürgermeister seine Worte auf diplomatischem Parkett eben besser wägen müsse.
Dabei geht es immer auch um die Frage, wie Journalisten ihre eigene Rolle definieren. Sind sie Teil einer diplomatischen Mission, die draußen in der Welt das Beste für die Heimat erreichen will? Oder sollen sie, wie es sonst auch ihr Job ist, Augen und Ohren einer kritischen Öffentlichkeit sein, die fernab von amtlichen Verlautbarungen wissen will, wie es wirklich zugeht?
Diese Frage stellte sich zum Beispiel bei einer wenig geglückten Chinareise von Bürgermeister Ole von Beust im Jahr 2004. Damals ging am ersten Tag in Peking fast alles schief. Gleich mehrere hochrangige Politiker sagten die Termine mit dem Senatschef ab, die Delegation stand stundenlang im Stau, für einige Mitreisende war das Hotel nicht gebucht worden, und als Ole von Beust in sein Zimmer kam, traf er auf ein paar halbnackte Chinesen, die dort längst eingemietet waren.
Später hielt der Senatschef auf Englisch einen Vortrag über Hamburg. Im Publikum saßen allerdings nur Mitglieder der deutschen Delegation und ein junges chinesisches Pärchen, das sich offenbar verirrt hatte und in der letzten Reihe Cheeseburger aß.
Natürlich will ein Senatschef nicht, dass über so etwas berichtet wird. „Welt“ und „Abendblatt“ schrieben die Geschichte damals trotzdem wahrheitsgemäß auf: Es war fast alles schief gelaufen am ersten Tag in China.
Das Echo in Hamburg war enorm, der Skandal perfekt, die SPD-Opposition feixte, die Leute des Bürgermeisters kochten, und in der Delegation befand der eine oder andere Unternehmensvertreter: So etwas tue man nicht, das könne man doch nicht einfach aufschreiben! Und: Ein schwerer diplomatischer Schaden sei entstanden!
Auch auf der Tour von Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) nach Brasilien, Uruguay und Argentinien im April 2013 gab es einen von diesen Reiseskandalen, bei denen man oft nicht weiß, ob es sich vielleicht doch eher um Wasserglasorkane handelt.
Diesmal hieß der Skandal Jens Meier. Der Chef der Hamburg Port Authority (HPA) musste bereits nach dem Brasilienbesuch wieder zurück nach Hamburg fliegen, wo Wirtschaftssenator Frank Horch ein Treffen mit potenziellen Investoren für einen dritten Kreuzfahrtterminal angesetzt hat.
„Senator Horch pfeift Hafenchef zurück“ schlagzeilte die „Bild“-Zeitung und lag damit nur knapp neben der Wahrheit. Horch hatte Meier nämlich bereits vor dessen Abreise gesagt, dass er früher zurückkommen müsse.
Die mitgereisten Oppositionsabgeordneten fanden es nun trotzdem nachgerade ungeheuerlich, dass der Hamburger Hafenchef nicht mehr mit nach Montevideo und Buenos Aires fahren sollte, wo er doch so dringend gebraucht würde.
Im Umfeld des Bürgermeisters dagegen wuchs die Wut auf Meier. Man glaubte nämlich sicher zu wissen, dass der HPA-Chef den skandalisierenden Bericht selbst inspiriert hätte – weil er lieber noch weiter mitgereist wäre. Schon war die Rede davon, bald würde Meiers „Kopf rollen“.
Irgendwann fuhren sich dann alle wieder herunter, schließlich ist das ewige Skandalgeheule auf die Dauer doch auch ziemlich anstrengend. Olaf Scholz befand, es sei auch ohne Meier genug Hafenkompetenz in der Delegation vertreten. „Und der Bürgermeister kennt sich in den Sachen auch ganz gut aus.“
Den Erfolg der Reise konnte all das nicht schmälern. Die Treffen mit Präsidenten, Ministern, Wirtschaftsführern und Forschern und das Auftreten des Bürgermeisters wurden von den Mitreisenden durchweg positiv bewertet. Irgendwie wächst man ja doch zusammen.
Wohin die große Bürgermeisterreise im nächsten Jahr geht, ist noch offen. Eines aber ist jetzt schon sicher: Egal, welches Ziel der Senatschef wählt – einen Skandal gibt es auf jeden Fall.
Zuerst erschienen am 21. April 2013 in der Welt am Sonntag.