Bei der Plenarwahl zum Plenum der Handelskammer Hamburg haben die Rebellen 55 der 58 Sitze errungen. Mein Abendblatt-Leitartikel zu diesem Kantersieg mit Ansage.
Dieses Ergebnis ist so brutal deutlich, dass man es auch als Diagnose lesen muss. Die bisherigen Herren der Handelskammer um Präses Fritz Horst Melsheimer und Hauptgeschäftsführer Hans-Jörg Schmidt-Trenz haben offenbar seit Jahren keinen echten Zugang zur Realität vieler Hamburger Unternehmer mehr gehabt, für die sie angeblich arbeiten bzw. von deren Pflichtbeiträgen sie leben. Anders lässt es sich nicht erklären, dass diese Unternehmer der Handelskammer jetzt bei der Wahl zu ihrem höchsten Beschlussorgan, dem Plenum, eine regelrechte Revolution verordnet haben: 55 der 58 neuen Plenarier gehören zu den „Rebellen“ von „Die Kammer sind WIR“.
Jahrelang haben Melsheimer und Schmidt-Trenz den Kampf der WIR-Gruppe für mehr Transparenz, für politische Mäßigung und gegen das 500.000-Euro-Gehalt des Geschäftsführers als lästige Agitation von ein paar linken Spinnern abgetan. Sie haben eine Reihe von Gerichtsurteilen nicht ernst genommen und dabei vergessen, dass es hier um die Einhaltung von Gesetzen geht. Zugleich haben sie bisweilen so getan, als sei jede deutliche Kritik eine Art von Majestätsbeleidigung.
Die alte Garde litt an Honecker-Effekt und Filterblase
Dass Amtsträger nicht mehr wissen, was die Basis wirklich umtreibt, hat man früher als Honecker-Effekt bezeichnet. Heute spricht man von einer „Filterblase“. Wer sich nur noch mit Ja-Sagern oder mit Seinesgleichen umgibt, weiß irgendwann nicht mehr, wie es in der Welt wirklich aussieht. Das gilt für uns alle, für Journalisten genauso wie für Wirtschaftsfunktionäre. Wer nur noch mit Vorstandschefs speist, weiß irgendwann nicht mehr, was den Kleinunternehmer beschäftigt.
Dass die „Checks and Balances“, wie man interne Kontrollmechanismen neudeutsch nennt, in der Handelskammer nicht funktionierten, hat sich mit der „Hamburger Morgensprache“ gezeigt. Die Einführung einer in ihrer ersten Form derart peinlichen Veranstaltung, bei der Wirtschaftsführer in Kostümen Sprüche aufsagten, stieß intern bei niemandem mehr auf Widerspruch. Alle sahen, dass der Kaiser nackt auftrat, dass dieses Theater lächerlich war, nur die Kammerchefs sahen es nicht. Und der Hofstaat schwieg.
Das Ergebnis der Kammerwahl setzt aber auch in anderer Hinsicht ein Signal. Es zeigt, dass das Kammermodell von Zwangsmitgliedschaften und Pflichtbeiträgen so unbeliebt ist, dass sich die Politik ernsthaft über seine Abschaffung Gedanken machen sollte.
Keiner weiß was jetzt kommt – die Rebellen selbst auch nicht
Denn die WIR-Gruppe dürfte ihren Kantersieg vor allem dem Versprechen verdanken, die Zwangsbeiträge abzuschaffen. Wie aber die Handelskammer mit ihren vielen Aufgaben und 260 Mitarbeitern ohne Beiträge funktionieren soll – dazu hat sie bisher fast nichts gesagt. Man muss wohl davon ausgehen, dass die Handelskammer sich künftig nur noch auf Kernaufgaben beschränken wird. Falls das überhaupt noch möglich ist. Dass fast alle Hamburger Großunternehmer aus dem Plenum herausgewählt wurden, dürfte die Arbeit auch nicht leichter machen. Ihre Unterstützung wird bitter fehlen.
Die kommenden Monate dürften am Adolphsplatz ebenso spannend werden wie die vergangenen Jahre. Es ist zu hoffen, dass die bevorstehenden Reformen die Kammer stärken – und sie nicht kaputt machen. Wer nämlich glaubt, die Handelskammer sei letztlich überflüssig, der irrt. Sie spielt nicht nur bei der dualen Ausbildung und der Beratung eine zentrale Rolle. Indem sie Interessen der Wirtschaft bündelt, ist sie auch ein wertvoller Ansprechpartner für den Senat, etwa bei der Integration von Flüchtlingen oder der Stadtentwicklung. Insofern leistet die Handelskammer allen Bürgern einen guten Dienst. Wenn sie sich künftig offener und moderner gibt – dann wird sie womöglich auch irgendwann wieder beliebter bei den Hamburgern.
Erschienen als Leitartikel im „Hamburger Abendblatt“ am 17. Februar 2017.