Zwei Tage nach den Anschlägen in der dortigen Metro reiste Bürgermeister Olaf Scholz in die Hamburger Partnerstadt St. Petersburg. Dabei lief trotz allem vieles gut, aber längst nicht alles glatt – auch das Ende nicht. Meine Kolumne „Die Woche im Rathaus“ aus dem Abendblatt.
Das Ende war dann weniger gelungen. Als Bürgermeister Olaf Scholz und seine Delegation am Donnerstagabend nach zwei Tagen St. Petersburg um kurz vor 23 Uhr auf dem Flughafen Hamburg landeten, saßen sie erst einmal für eine Viertelstunde im Lufthansa-Flieger fest. Es gebe in Hamburg zu wenig Personal, so die Durchsage des Piloten, deswegen finde sich gerade niemand, der die Treppe zum Ausstieg bringen könne (siehe Kasten).
Dabei war die Reise in die russische Partnerstadt bis dahin trotz der so schwierigen Vorzeichen fast perfekt für den Bürgermeister gelaufen. Schon seine schnelle Entscheidung nach dem furchtbaren Anschlag vom Montag, an dem Besuch in St. Petersburg festzuhalten, hatte eine positive Wirkung entfaltet. Sie wurde weithin als mutiges Zeichen der Solidarität verstanden.
Dass Scholz kurz nach der Ankunft zum Gedenken an die Anschlagsopfer rote Rosen an der Metrostation Technisches Institut niederlegte, ging dann auch auf eine Anregung mitgereister Journalisten zurück. Zunächst war im Programm lediglich eine Schweigeminute vorgesehen – aber stilles Gedenken lässt sich weder für Radio- noch Kamera-Leute gut festhalten und transportieren. Ganz anders als die Bilder vom ernst blickenden Bürgermeister mit Rosen an der Anschlagsstelle.
Natürlich weiß auch Scholz um die Symbolkraft solcher Fotos. Aber er kennt auch die Fallen der Optik, in die man als Politiker schnell tappt. Das war zum Beispiel Bürgermeister Ortwin Runde (SPD) bei einer Warschau-Reise passiert, als er sich auf Wunsch eines Fotografen die Schuhe putzen ließ. Das Bild war nicht gerade die perfekte Visitenkarte für einen (linken) Genossen.
Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit war nicht amüsiert
Auch wegen solcher Erfahrungen tut Scholz nicht alles, was Fotografen sich wünschen – sondern lässt nur zu Botschaft und Gemütslage passende Inszenierungen zu. Auf dieser Reise hätten ihn die Medienleute im Sitz der Petersburger Regierung, dem Smolny-Institut, wohl am liebsten für ein Bild an den historischen Schreibtisch von Lenin gesetzt. Aber das wäre ja noch schöner! Erst in einem großen Abendblatt-Interview zu Wochenbeginn seiner SPD mehr oder weniger deutlich von einem Bündnis mit den Linken abraten – und sich drei Tage später auf den Stuhl des Oberrevoluzzers setzen.
Allerdings hätte Scholz auch gar nicht die Gelegenheit zu einem solchen Foto (womöglich noch mit Lenin-Mütze) gehabt. Denn während der kleinen Führung durch das antike Büro tagte Scholz in einem anderen Flügel des weitläufigen Gebäudes mit dem Petersburger Gouverneur Georgij Poltawtschenko. Er sprach dem Chef der Stadtregierung das Mitgefühl der Hamburger aus – und verhandelte über die nächsten Projekte der Partnerschaft, die seit 1957 trotz aller politischen Verwerfungen nie eingeschlafen ist. Poltawtschenko bedankte sich für die Solidarität, kündigte einen Gegenbesuch an – und wies seinerseits auf die Bedeutung persönlicher Treffen und die Macht der Bilder hin. „In Russland gibt es ein Sprichwort“, sagte er: „Besser einmal sehen als hundertmal hören.“
Kritische Worte zur russischen Politik verlegte Scholz lieber an eine Universität – und äußerte sich, wie öfter bei Besuchen in autokratisch regierten Staaten, zu heikleren Fragen in einer Diskussion mit Studenten.
Die große Aufmerksamkeit, die dem SPD-Chef zuteil wurde, ließ bei einer ebenfalls angereisten Hamburg-Repräsentantin die Stimmung derweil kontinuierlich sinken. Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD) hatte sich schon im Vorfeld beklagt, dass fast nur über Scholz berichtet werde – und kaum über ihre Treffen. Der Senat habe sich geweigert, Termine mit Veit abzustimmen, hieß es nun auch aus ihrem Umfeld. Der Zoff zwischen Senatschef und Parlamentspräsidentin um die erste Hamburger Geige ist nicht ganz neu. Schon 2012 hatte ein Scholz-Mitarbeiter die Korrektur einer Broschüre der Landeszentrale für politische Bildung gefordert. Darin hieß es nämlich, die Bürgerschaftspräsidentin sei laut Verfassung die ranghöchste Hamburger Repräsentantin – noch vor dem Bürgermeister.
Aus der mit der Reise hoch zufriedenen Scholz-Entourage wurde der Unmut der Präsidentin in St. Petersburg wahlweise mit Achselzucken, Gefeixe oder dem Hinweis quittiert, Veit verdanke Scholz doch ihren Job. Um die energische und nicht zimperliche Parlamentspräsidentin voll auf die Zinne zu jagen, hätte nur noch gefehlt, dass der Bürgermeister ihr in väterlichem Ton seinen neuen Lieblingssatz zugeraunt hätte: „Ich rate zur Gelassenheit.“ Und das berühmte Scholz-Kichern hinterhergeschickt hätte. Gut, dass das nicht passiert ist. Sonst wäre die Reise womöglich nicht nur mit dem lästigen Warten auf eine Flugzeugtreppe zu Ende gegangen – sondern mit einer handfesten Verfassungskrise.
Erschienen am 8. April in der Rubrik „Die Woche im Rathaus“ im „Hamburger Abendblatt“.