Energiepreise und Mietenanstieg in Hamburg: „Der Schock kommt 2022“

Gas- und Strompreise steigen weiter dramatisch, Mieten nun auch in Hamburg immer schneller. Mieterverein sieht „Zeitbombe für Gesellschaft“. Die Politik wirkt seltsam hilflos.

Hamburg. Das war eine, vorsichtig formuliert, überraschende politische Gewichtung, die der rot-grüne Senat in dieser Woche vorgenommen hat. Statt das so wichtige Thema in der Landespressekonferenz auf der großen medialen Bühne zu präsentieren, stellte SPD-Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt den neuen Mietenspiegel am Montagnachmittag fast verschämt in ihrer Wilhelmsburger Behörde vor. Nicht einmal eine Pressekonferenz war ihr der stärkste Mietenanstieg seit 20 Jahren wert. Stattdessen ließ Stapelfeldt nur handverlesene Medienvertreter zum Gespräch bitten.

Die große Bühne am Dienstag im Rathaus bekam dafür der grüne Verkehrssenator Anjes Tjarks, der dort zum gefühlt 257. Mal seit Amtsantritt eine Jubelarie aufs Radfahren sang – und eine Bilanz des Fahrrad-PR-Programms „Fahr ein schöneres Hamburg“ zog. Zwar hat die 6,2 Millionen Euro teure Kampagne das Klima zwischen Radfahrern und anderen Verkehrsteilnehmern keinen Deut verbessert und also ihr Kernziel verfehlt, wie eine Umfrage ergab. Aber immerhin wurde dafür ein altes Fahrrad „Fiete“ getauft und von einem Tattoostudio bemalt. Und eine Hymne mit der Zeile komponiert „Wir fahren einfach hin und her – alles leicht und nichts ist schwer“.

Wohnen in Hamburg: Mieten steigen immer schneller

Unabhängig davon, für wie begabt man die Dichter solcher Zeilen hält: Natürlich darf man das Radfahren wünschenswert und wichtig finden. Dass man das Thema aber selbst im grauen Dezember offenbar für bedeutender hält als die dramatisch steigenden Wohnkosten für fast alle Hamburger – das spricht für eine gewisse Abgehobenheit des Senats. Oder für seine Hilflosigkeit.

Dabei ist der am Mietenspiegel ablesbare Anstieg der Mieten um 7,3 Prozent seit 2019 nicht nur der stärkste seit zwei Jahrzehnten. Er zerstört auch die Hoffnung, dass allein der Bau von 10.000 Wohnungen pro Jahr den Aufwärtstrend ausreichend bremst. Zwischen 2017 und 2019 hatten die Mieten um nur 2,6 Prozent zugelegt – unter Inflationsniveau. Die SPD betonte noch im Wahlkampf 2020, wie gut ihre Baupolitik wirke. Ohne Wohnungsbau wäre die Erhöhung diesmal wohl noch kräftiger ausgefallen. Aber die Zahlen zeigen auch: Als leuchtendes Vorbild im Kampf gegen steigende Mieten taugt Hamburg nicht mehr.

„Politikern ist nicht präsent, was Mietern gerade aufgebürdet wird“

Verschärft wird die Situation durch die dramatische Entwicklung bei den Energiekosten. Die Gaspreise sind nach Auskunft des Vergleichsportals Verivox seit Jahresbeginn um durchschnittlich 47 Prozent gestiegen, allein seit September schossen sie um 31 Prozent in die Höhe. Strom wurde seit Januar um 18,4 und Öl um 39 Prozent teurer. Zwar geht der größte Teil davon auf die mit der Pandemie oder dem Konflikt mit Putin zusammenhängende Marktentwicklung zurück. Aber auch die für den Klimaschutz steigende CO2-Steuer wird Energie im kommenden Jahr weiter verteuern.

„Vielen Politikern ist nicht präsent genug, was Mietern gerade aufgebürdet wird“, sagt Siegmund Chychla vom Mieterverein zu Hamburg. „Die Energiepreise haben sich teilweise mehr als verdoppelt. Während Transferempfängern die Kosten teilweise abgenommen werden, wissen Menschen mit geringen Einkommen knapp über der Transfergrenze kaum, wie sie die immer weiter steigenden Wohnkosten bezahlen sollen. Diese Entwicklung ist eine echte Zeitbombe für eine Gesellschaft.“ Für viele Mieter werde der Schock erst im Sommer 2022 und noch stärker Mitte 2023 kommen – mit teilweise horrenden Nachzahlungen für ihre Heizkosten, so Chychla. „Und all das neben den Mieterhöhungen.“

„Man muss in den Konflikt mit der Wohnungswirtschaft gehen“

Stephan Nagel von der Diakonie sieht eine „dramatische“ Entwicklung. „Wir brauchen wirksame Instrumente, um die schreckliche Mietenentwicklung zu stoppen“, so Nagel. Man müsse auch über neue Berechnungsweisen des Mietenspiegels nachdenken. „Hamburg hat bislang sehr auf Konsens mit der Wohnungswirtschaft gesetzt, man muss vielleicht auch mal in den Konflikt gehen.“

Für den Bau von 5000 statt 3000 Sozialwohnungen pro Jahr plädiert Klaus Wicher, Vorstand des Sozialverbandes Deutschland. Ihr Bestand sei unter 80.000 gesunken, weil mehr aus der Sozialbindung fielen als nachgebaut würden. Jan Bornemann von der Verbraucherzentrale sieht die „Schmerzgrenze“ auch bei den Energiepreisen überschritten.

Vor allem zwei Effekte haben Mieten nach oben getrieben

Er warnt vor „wachsender Energiearmut“ und fordert gezielte Unterstützung für Menschen, die sich die Kosten für Heizung und Strom neben höheren Mieten nicht mehr leisten können. Dass das Problem nicht nur das Wohnen betrifft, betont Malte Siegert, Vorsitzender des Naturschutzbundes Nabu. Wegen steigender Kosten müssten „auch Vereine und Verbände aus Sport, Kultur, Umwelt, Soziales mit oft knapper Kasse mit deutlich höheren Belastungen rechnen“.

Zwei Effekte macht Andreas Breitner, Direktor des Verbandes norddeutscher Wohnungsunternehmen, vor allem für den Anstieg der Mieten verantwortlich. Zum einen hätten viele zwischen 1948 und 1960 gebaute Wohnungen saniert werden müssen. Zum anderen wirke wegen hoher Grundstückspreise und steigender Baukosten der notwendige Neubau „preistreibend“. Die für den Klimaschutz geforderte energetische Sanierung von Gebäuden sei nur mit staatlicher Förderung machbar, wenn sie die Mieten nicht weiter erhöhen solle.

Stapelfeldt verweist auf Pläne der Ampel

Die Politik wirkt derweil eher hilflos. Stadtentwicklungssenatorin Stapelfeldt appellierte jetzt an die Vermieter, „gemäß ihrer im Grundgesetz verankerten sozialen Verantwortung Mieterhöhungen nur maßvoll und in der Sache begründet vorzunehmen, denn das Wohnen ist ein existenzielles Grundbedürfnis der Menschen“. Ein „entscheidender Ansatz“ zum Bremsen des Mietanstiegs sei der Plan der Ampel, die erlaubten Mieterhöhungen zu begrenzen, sagte Stapelfeldt dem Abendblatt.

Die Kappungsgrenze, die die maximale Mietensteigerung binnen drei Jahren festlegt, soll demnach für angespannte Wohnungsmärkte wie Hamburg von jetzt 15 auf elf Prozent sinken. „Diese Verringerung sollte möglichst schnell in Kraft gesetzt werden“, so Stapelfeldt. Bei Neuverträgen sei „die Verlängerung der Mietpreisbremse ein wichtiges Signal“.

Gas-Beschaffungspreis um 200 Prozent gestiegen

Umwelt- und Energiesenator Jens Kerstan (Grüne) macht derweil wenig Hoffnung auf schnell sinkende Energiepreise. Der „Beschaffungspreis“ sei „seit Beginn dieses Jahres um teilweise mehr als 200 Prozent beim Gas und etwa 140 Prozent beim Strom gestiegen“, so Kerstan. „Wir gehen davon aus, dass die angespannte Situation noch bis ins kommende Jahr bestehen bleibt.“ Bestes Mittel gegen die Krise sei der Ausbau der erneuerbaren Energien, mit denen man sich unabhängig von Gas und Öl mache.

Solche langfristigen Ideen allerdings helfen den Menschen heute und morgen noch nicht. Hamburgs FDP-Chef Michael Kruse, frisch gekürter energiepolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion, betont derweil, dass beim Strom die schrittweise Abschaffung der EEG-Umlage die Verbraucher ab Januar entlasten werde. Beim Gas verspreche der EU-Plan einer gemeinsamen Beschaffung eine Kostendämpfung.

Heizkostenzuschuss für Wohngeldempfänger

„Für alle Wohngeldempfänger möchten wir zudem einen einmaligen Heizkostenzuschuss zahlen, um die hohen Energiepreise abzumildern“, so Kruse. Zugleich weist der FDP-Chef darauf hin, dass die Netzentgelte in Hamburg auf Kosten der Kunden besonders stark stiegen – aus seiner Sicht eine Folge des Rückkaufs der Energienetze. Das sieht auch CDU-Energiepolitiker Stephan Gamm so. Er fordert, der Staat solle „mildernd auf die Energiepreise einwirken, durch Senkung von Steuern und Umlagen“. Linken-Sozialpolitikerin Stephanie Rose betont, dass die Inflation die Situation weiter verschärfe.

„Das Wohnen ist nach wie vor eine der wichtigsten sozialen Fragen“, konstatiert SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf. Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, „die Politik plant was Schönes, und niemand achtet drauf, was das für die Bürger bedeutet“, so Kienscherf. „Die Menschen müssen wissen, dass wir uns um das Thema kümmern.“

Auch wenn die Landespolitik auf viele Faktoren keinen direkten Einfluss hat: Vielleicht wäre es ein Anfang, wenn der Senat den stark steigenden Wohnkosten weiter die gebührende Aufmerksamkeit schenkte. Fahrradhymnen kann er ja trotzdem komponieren lassen.

Erschienen in der Rubrik „Die Woche im Rathaus“ am 18. Dezember 2021 im „Hamburger Abendblatt“

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