Hamburg in der modernen
(Welt-)Literatur – Beginn einer Suche

Eine Einladung zur gemeinsamen Sammlung von Hamburg-Stellen in der internationalen Belletristik

Natürlich war das eine womöglich peinliche, auf jeden Fall pathetische Erregung. Aber als ich vor ein paar Jahren den Roman 2666 las, habe ich mich über alle Maßen gefreut, dass darin schon auf der ersten Seite von Hamburg die Rede ist. Ich hatte gar nicht damit gerechnet.

Hamburg. Der Spaziergang führte sie unweigerlich ins Viertel der Prostituierten und Peep Shows
…unweigerlich ins Viertel
der Prostituierten und Peep Shows…

Immerhin hat das monumentale Werk des schon so jung gestorbenen chilenischen Schriftstellers Roberto Bolaño fast 1100 Seiten. Es geht in dem Roman, falls es überhaupt ein Roman ist, um alles, was das menschliche Dasein so ausmacht, um Sex und Gewalt, um Kunst und Verbrechen, Liebe und Tod, um die Morde an jungen Frauen in Mexiko, um Literatur, das Universum und den ganzen Rest, den ich aus Platzgründen hier nicht auch noch erwähnen kann. Vielleicht muss man nur noch hinzufügen, dass alle immerzu energisch gegen ihre Ängste anvögeln, wenn diese grobe Zusammenfassung hier gestattet ist.

Und es geht bei all dieser Tragweite trotzdem auch noch um Hamburg (was den Lokalpatrioten in mir weckte, von dem ich gerne behaupte, er existiere gar nicht). Außerdem geht es auch um Bremen. Hamburg aber ist natürlich viel wichtiger, weil nämlich ein vermisster Autor namens Archimboldi, der von einer Horde trauriger Germanisten gesucht wird, am Beginn seiner Schriftstellerkarriere von einem Hamburger Verleger unter Vertrag genommen wurde.

Am Fuß der ersten Seite dieses aberwitzigen Buches  (von dem ich später einmal gedacht habe, es könne eines der entfernten Vorbilder für Herrndorfs „Sand“ gewesen sein), heißt es also: „Er schrieb an den Hamburger Verlag, in dem D’Arsonval erschienen war, erhielt aber nie eine Antwort.“ Das ist immerhin kein Klischee, jedenfalls kein mir bekanntes: dass Hamburger nicht antworten, auf Briefe oder sonst irgendwelche formalen Anrufungen. Ich hatte das immer eher umgekehrt eingeschätzt: Hamburger antworten schnell und verbindlich. Alte Kaufmannstugend.

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Schweigend kehrten sie
mit dem Taxi ins Hotel zurück

Später kommen Bolaño und seine Figuren dem Klischee schon näher, denn als sie nichts anderes zu tun haben, machen die beiden Germanisten Pelletier und Espinoza einen Spaziergang durch die Stadt und landen (natürlich) unweigerlich auf dem Kiez, also im „Viertel der Prostituierten und Peep Shows“. Das allerdings hat auf die Männer nicht den üblichen Effekt, denn es macht sie beide so melancholisch, „dass sie einander von verflossenen Lieben und Enttäuschungen zu erzählen begannen“.

Tatsächlich hat der kurze Spaziergang dieser beiden Figuren von literarischem Weltrang (was keine Übertreibung ist, denn 2666 gehört zweifelsfrei zu den weltweit am meisten und vollkommem zu Recht hymnisch gefeiert Büchern der vergangenen Jahrzehnte) . . .  – hat also dieser Spaziergang durch „Sankt Pauli“, wie es ein paar Seiten weiter heißt, eine heilende Wirkung auf die unterdessen berühmt gewordenen Herren Pelletier und Espinoza. Und das trotz der Enttäuschung, die sie beim Besuch der Verlegerwitwe Bubis in einem „Altbau in einem Hamburger Nobelviertel“ erleben: Diese kann oder will ihnen bei der Suche nach dem verschollenen Autor nämlich nicht helfen.

Umso besser, dass den beiden Literaturwissenschaftler auf „Sankt Pauli“  klar wird, dass die Suche nach dem verschollenen Autor ihr Leben sowieso „niemals würde ausfüllen können“. Und dann gibt es noch eine andere, vielleicht die wichtigste Erkenntnis, die sie aus Hamburg mitnehmen: „Pelletier und Espinoza begriffen in Sankt Pauli (…), dass sie Liebe, nicht Krieg machen wollten.“

Genauso erbaulich wie diese Lehre oder Lebensentscheidung, die der Franzose und der Spanier aus Hamburg mitnehmen, ist für einen Hamburger übrigens die bösartige Beschreibung Bremens, wo sich im ersten Teil von 2666 die vier Hauptfiguren (neben den bereits genannten noch der Römer Morini und die Londoner Germanistin namens Liz Norton) zu einem literaturwissenschaftlichen Kongress treffen.

Sie essen in einem Restaurant „in einer dunklen, von alten hanseatischen Häusern gesäumten Straße, von denen einige aussahen wie ehemalige Verwaltungsgebäude der Nazis“. Das Lokal, zu dem „einige wenige regennasse Treppenstufen hinunterführten“, so konstatiert Norton, „könnte scheußlicher nicht sein“. Die Stadt ist jedenfalls sehr nass und die Lichter leuchten überall, „als wäre Bremen eine Maschine, durch die von Zeit zu Zeit kurze, heftige Stromstöße zuckten“.

Warum erzähle ich das? Natürlich nicht, jedenfalls nicht in erster Linie, um den Bremern zu nahe zu treten. Sondern wegen Wachtmeister Studer. Denn so sehr mich Bolaños Hamburg-Zitate bei der 2666-Lektüre entzückt haben, so folgenlos ist diese kurze Entzückung doch über die Jahre geblieben. Erst jetzt, als ich in meinem eBook-Reader den ersten „Wachtmeister Studer“ gelesen (und gestern beendet) habe, wirkt sich auch der Bolaño plötzlich aus.

Wachtmeister Studer
„Hafenmusik – Hamburg“, sagte die Schwester
Foto: Antiquariat www.schlick.ch

In diesem ersten der Studer-Krimis von Friedrich Glauser, erschienen 1936 in Zürich, kommt Hamburg ohne jeden echten Zusammenhang vor. Nicht einmal einen wirklich vollwertigen Satz lang geht es um Hamburg, so dass man sich fast fragt, warum es überhaupt vorkommt. Der kauzige Studer ermittelt in einer Mordsache in einem Schweizer Kaff namens Gerzenstein, das sich für ihn vor allem dadurch von anderen Dörfern unterscheidet, dass überall Lautsprecher stehen und aus allen Häusern Musik oder lautes Reden zu hören ist. Die Gerzensteiner sind offenbar große Radiofreunde, was den ständig Brissago rauchenden Wachtmeister eher irritiert als erfreut.

Ganz am Ende jedenfalls, der Fall ist nunmehr geklärt, muss sich Studer aus einem fahrenden Wagen werfen, wird schwer verletzt und landet im Krankenhaus, im „Gemeindespital Gerzenstein“, um genau zu sein. Als er schließlich nach ein paar Tagen wieder richtig zu sich kommt, hört er natürlich als erstes Musik, wie man es in Gerzenstein wohl auch nicht anders erwarten kann.

„Was ist das?“, fragte Studer?
„Hafenmusik – Hamburg“, sagte die Schwester.
„Gerzenstein und die Lautsprecher“, murmelte Studer.
Und dann gab es Milch und Weggli und Anken und Konfitüre.

Und von Hamburg war fortan nicht mehr die Rede in Glausers Roman. Wie vorher auch schon nicht.

Fasst man das Hamburg-Bild dieser beiden Bücher zusammen, so steht die Stadt also erstens für Verlage, in denen bedeutende Literaten erscheinen; zweitens für noble Altbauten; drittens für ein Prostituierten-Viertel, das manche Männer melancholisch macht und sie vielleicht gerade deshalb an die Liebe glauben lässt; und viertens für (manchmal etwas aufdringliche) Hafenmusik. (Bremen dagegen für schlechte Restaurants, Nazibauten und Dauerregen.)

Das ist für zwei Bücher schon eine ordentliche Ausbeute an Hamburg-Bildern. Mir aber reicht das nicht mehr. In mir hat der (tragische) Friedrich Glauser mit dem Halbsatz der Gerzensteiner Krankenschwester die Erinnerung an das Hamburg aus Roberto Bolaños 2666 wieder geweckt – und jetzt will ich mehr.

Ich möchte jetzt wissen, wie und wo Hamburg in der (jüngeren) internationalen (Welt-)Literatur noch überall vor- und wie es dort wegkommt. Ich mache mich jetzt auf die Suche. Bisher bin ich nicht über eine einfache Google-Recherche und einen Blick in den Campuskatalog der Hamburger Staatsbibliothek hinausgekommen. Gefunden habe ich auf die Schnelle keine Arbeit zu diesem Thema. Aber die echte Recherche steht ja auch noch aus. Dies ist erst der Anfang.

Kurzum: Ich bitte Euch und Sie mir bei der Suche zu helfen.

Bitte schreiben Sie mir per Mail an jens(at)meyer-wellmann.de oder in die Kommentare hier in den Hamburg-Notizen, in welchen internationalen Romanen Sie auf Hamburg gestoßen sind – auch wenn wenn die Stadt dort nur am Rande oder mit wenigen Sätzen erwähnt wird!

Vielleicht kommt am Ende bei der gemeinsamen Suche eine stattliche Liste mit Fundstellen heraus, die in der Summe ein wenig zeigt, welches (aktuelle) Hamburg-Bild da draußen in der literarischen Welt so kursiert. Allein das Zusammentragen aber dürfte schon Spaß machen. Mir jedenfalls. Dankbar bin ich natürlich auch für Hinweise auf bereits existierende Arbeiten zu diesem Thema. Vielleicht wird schließlich auch ein größerer Zeitungsartikel aus der Suche. Oder wir geben das Ganze an die Uni und jemand bastelt eine Magisterarbeit draus 😉

Am Ende von Roberto Bolaños 2666 übrigens, irgendwo in den 900er-Seiten, spielt Hamburg für eine Weile eine wirkliche Hauptrolle. Der angehende Schriftsteller Hans Reiter, der sich hier selbst in „Benno von Archimboldi“ umtauft, besucht kurz nach dem Zweiten Weltkrieg den nach Deutschland zurückgekehrten Verleger Bubis in Hamburg und macht mit dessen schillernder Ehefrau, der Baroness von Zumpe, einen Spaziergang durch die Stadt. Und auch hier kommen die Hamburger eher positiv weg – diesmal im Vergleich mit den Rheinländern:

Manche Hamburger Straßen, das konnte Archimboldi während ihres Spaziergangs feststellen, waren in einem schlechteren Zustand als einige der am schlimmsten getroffenen Straßen Kölns, obwohl er den Eindruck hatte, als würde man sich in Hamburg beim Wiederaufbau mehr Mühe geben.

Anmerkung 12. Juli 2014: Ich habe das Ergebnis der gemeinsamen Suche jetzt mal in Artikelform gebracht. Steht hier.  

4 Kommentare

  1. Im mittleren Teil „Verdammnis“ der „Millenium Trilogie“ von Stieg Larsson stammt der Antagonist der Antiheldin aus Hamburg. Dank der Kooperation der Hamburger Polizei kann seine Identität ermittelt werden, ebenso wie seine seltene Erbkrankheit, die ihn beim Boxen zunächst unverwundtbar zu machen scheint.

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