Nein, diesen Vorwurf kann man den Sozialdemokraten nun wirklich nicht machen: dass sie eine krankhaft große Distanz zu den Energiekonzernen dieser Welt halten. Im Gegenteil: Viele führende Genossen engagieren sich sogar beruflich für die Belange der Gas-, Strom- und Wärmelieferanten, meist nach dem Ausstieg aus der Politik, manchmal aber auch schon vorher.
Ex-Kanzler Gerhard Schröder, einst größter Förderer des heutigen Hamburger Bürgermeisters Olaf Scholz, wechselte 2005 auf Bitten des „lupenreinen Demokraten“ Wladimir Putin zu einer Gazprom-Tochter und arbeitete dort an einem Pipeline-Projekt, das er zuvor auch politisch schon vorangebracht hatte. Der frühere Wirtschaftsminister Wolfgang Clement ging (damals noch SPD-Mitglied) in den Aufsichtsrat der RWE. Hamburgs Ex-Umweltminister Fritz Vahrenholt arbeitete zunächst für Shell, dann für Repower und nun ebenfalls für RWE. Und Ex-Bürgermeister Henning Voscherau ist seit etwa einem Jahr, wie der Genosse der Bosse, für Gazprom tätig.
Womit wir in Hamburg wären, aber noch nicht am Ende der Beweiskette für das gute Verhältnis zwischen SPD und Energiewirtschaft. Ivo Banek, einst Sprecher der SPD-Bürgerschaftsfraktion ist mittlerweile Leiter der Konzernkommunikation beim schwedischen Energieriesen Vattenfall, der dieser Tage zusammen mit SPD-Bürgermeister Scholz dafür kämpft, die Energienetze behalten zu dürfen. 2011 wechselte mit Hans-Joachim Klier (SPD) kurz nach seiner Pensionierung der wohl kenntnisreichste Hamburger Beamte des Bereichs Energiewirtschaft als Berater zu Vattenfall. Er nahm sein Insiderwissen aus der Verwaltung mit, der neue SPD-Senat untersagte den Wechsel kurz vor Beginn der Verhandlungen über den Teilrückkauf der Energienetze trotzdem nicht — obwohl dies laut Beamtenrecht möglich gewesen wäre.
Und im September 2012 heuerte Hauke Wagner, Ex-Juso-Chef, Sohn des früheren Bausenators Eugen Wagner und Mitglied im Landesvorstand der SPD, bei Vattenfall an, wo er nun seit einem Jahr als „Projektmanager Energiekonzept Hamburg“ tätig ist. Im Aufsichtsrat der Vattenfall Europe Netzservice GmbH sitzt eine Bekannte Wagners: Ina Morgenroth, Gewerkschaftssekretärin bei der IG Metall und ebenfalls Mitglied im SPD-Landesvorstand.
Den Grünen passt das freundschaftliche Verhältnis zwischen Volkspartei und Vattenfall offenbar gar nicht. Schon gar nicht jetzt, wo die Hamburger darüber abstimmen sollen, ob die Stadt die Energienetze für viel Geld zurückkaufen soll oder nicht. „Macht man bei der SPD jetzt gar keinen Unterschied mehr zwischen Vattenfall, Stadt und Partei?“, fragte der stets streitlustige Grünen-Fraktionschef Jens Kerstan in dieser Woche angesichts der personellen Verflechtungen zwischen SPD und Energiekonzern. Und damit sagte er natürlich indirekt auch: Hallo Freunde, hier ist sie wieder, die alte Filzdebatte. Wo man hinguckt, überall Genossen.
Das sei Quatsch, kontert SPD-Fraktionschef Andreas Dressel. „Wir sind eben eine Volkspartei, deswegen sind unsere Mitglieder in vielen wichtigen Bereichen der Stadt vertreten.“ Das sei nicht nur in der Energiebranche so, sondern auch etwa in den Genossenschaften der Wohnungswirtschaft. Gerade durch das Engagement der Parteimitglieder in Wirtschaft und Gewerkschaften gebe es eine große Expertise in der Partei, die man zum Wohle der Stadt nutze. „Alles andere, was da hineingeheimnist wird“, sagt Dressel, „sind grüne Verschwörungsfantasien“.
Entfremdung von SPD und Grünen durch Netzdebatte
Außerdem, so der SPD-Fraktionschef, sollten die Grünen doch bitte erst einmal nachsehen, wer in ihren eigenen Reihen Doppelrollen spiele. Da fallen Dressel gleich zwei Namen ein: Till Steffen und Matthias Sandrock. Steffen, früherer grüner Justizsenator, Bürgerschaftsabgeordneter und Rechtsanwalt, vertritt die Initiative „Unser Hamburg — Unser Netz“ und wollte den Senat gerade per Gerichtsbeschluss zur Offenlegung der Bewertungsgutachten zum Energienetz zwingen. Außerdem beantragte Steffen, dem Bürgermeister eine Art Maulkorb zu verpassen. Er solle nicht weiter behaupten dürfen, dass der Netzrückkauf zwei Milliarden Euro kosten könnte. Am Donnerstag kassierte der grüne Jurist für diesen Antrag eine klare Klatsche. Die Gutachten seien Betriebsgeheimnisse, stellte das Verwaltungsgericht fest. Im Übrigen, konstatierten die Richter, genieße auch der Hamburger Bürgermeister das Recht auf freie Meinungsäußerung.
Zu dieser Entscheidung äußerte sich Steffen zwar nicht. In seiner Doppelrolle aber sieht er kein Problem. „Ich trenne klar zwischen meiner Tätigkeit als Anwalt und meinen Aufgaben als Abgeordneter“, sagt er. „Deshalb habe ich an Abstimmungen zu diesem Thema nicht teilgenommen.“
Der Fall Sandrock liegt etwas anders. Der promovierte Chemiker arbeitet als Referatsleiter Wärmekonzepte in der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt. Zugleich ist er Partner des „Hamburg Instituts“ des grünen Ex-Umweltstaatsrats Christian Maaß. Sandrock hat diese Nebentätigkeit laut Behörde im Januar 2012 angezeigt — mit dem Hinweis, dass er als Berater nicht in Hamburg tätig sei. Im Februar 2012 wurde dies von der Behörde „zur Kenntnis“ genommen — also nicht untersagt. Eine Tatsache, die manchem Genossen bis heute sauer aufstößt.
Die gegenseitigen Filzvorwürfe von Kerstan und Dressel sind nur ein weiteres Zeichen dafür, wie sehr sich die einstigen Wunschpartner Grüne und SPD einander im Zuge des Netzestreits entfremden. Egal, wie es am 22. September ausgeht, die Schärfe der Debatten dürfte Wunden hinterlassen. Zwar geben sich die Kombattanten professionell und betonen, es gehe nur um die Sache. Aber gerade in der SPD zeigt sich mancher verstört von der grünen Bissigkeit. Und, wer weiß, vielleicht steht ja nach der Bürgerschaftswahl 2015 auch ein anderer Partner bereit. Oder eine Partnerin. FDP-Fraktionschefin Katja Suding wäre sicher nicht abgeneigt, auf der Senatsbank Platz zu nehmen.
Erschienen in der Rubrik „Die Woche im Rathaus“ im „Hamburger Abendblatt“ am 14. September 2013.
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