AfD? Mehr Alternativen, bitte!

Das Abendblatt bringt am 15. Juli 2016 ein Dossier zur Arbeit der AfD in Hamburg. Wie aber soll man mit der neuen Partei umgehen? Mein Leitartikel. 

Auf den ersten Blick erscheint es vollkommen paradox: Den Deutschen geht es wirtschaftlich so gut wie nie zuvor, die persönliche Zufriedenheit bei den Menschen ist laut Studien größer denn je – und ausgerechnet in einer solchen Zeit entsteht eine „Partei der schlechten Laune“, wie Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz die AfD neuerdings bezeichnet. Gemessen an seinen Ergebnissen funktioniert unser politisches System hervorragend – und die Politik macht einen prima Job. Trotzdem ist die Wut auf „Politiker“ oder das ganze „System“ in den vergangenen Jahren so groß geworden, dass mancher schon eine vorrevolutionäre Stimmung wahrzunehmen meinte.

Auf den zweiten Blick wirkt die Entwicklung nicht mehr so überraschend. Es geht nämlich gar nicht in erster Linie um die Ergebnisse von Politik – und damit auch nicht ausschließlich um das AfD-Gründungsthema Euro oder die Flüchtlingskrise, von der die Partei besonders stark profitiert hat. Es geht vor allem darum, wie Politik gemacht wird. Und da haben die Regierungen und vor allem die großen Parteien in den vergangenen Jahren viele Fehler gemacht. Um sie durchzusetzen, haben die Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und Angela Merkel (CDU) immer wieder behauptet, ihre Politiken seien „alternativlos“.

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Die AfD-Bestandsaufnahme im Abendblatt

Dabei ist es ja gerade die Aufgabe von demokratischer Politik, unterschiedliche Alternativen zu diskutieren. Das Gerede von der „Alternativlosigkeit“ mag Politikern kurzfristig zur Durchsetzung eigener Pläne dienen, langfristig beschädigt es die Demokratie. Denn wenn es nur eine Handlungsmöglichkeit gibt, muss man ja auch nicht mehr wählen.

So ist es zum Glück nicht. Egal, wie man inhaltlich zu diesen Themen steht: Natürlich gab es eine Alternative zu Hartz IV. Und eine zum Regelbruch bei der Euro-Rettung. Und natürlich hätte es auch eine Alternative dazu gegeben,  2015 mehr als eine Million Flüchtlinge aufzunehmen – auch das unter Bruch von demokratisch verabschiedeten Gesetzen.

Wer die Demokratie erst rhetorisch und dann auch praktisch mit dem  Verweis auf chronische Notstände und Alternativlosigkeit immer wieder aushebelt, muss sich nicht wundern, wenn ein paar Staatsbürger schlechte Laune bekommen – und sich eine eigene „Alternative für Deutschland“ basteln.

Nun suchen die anderen Parteien (auch in Hamburg) seit Jahren ein Rezept, wie mit dieser so polternd daherkommenden Alternative umzugehen sei, die sie selbst ins Leben gerufen haben. Das ist nicht einfach, zumal sich in der AfD so unterschiedliche Menschen tummeln wie  bei den Grünen in deren Gründungsphase. Und zumal die Partei, um das Empörungs- und Aufmerksamkeitsniveau hoch zu halten, ununterbrochen dasselbe Spiel spielt: Erst radikaler Tabubruch, dann Dementi. Erst Aufstachelung, dann Distanzierung. Kluge Politik kann man mit chronischer Empörtheit aber nicht machen. Mit Wut im Bauch hat noch niemand weise Entscheidungen getroffen.

Gleichwohl ist ja keinesfalls alles gaga, was von der AfD kommt. Die anderen Parteien tun gut daran, sich mit ihren Positionen zu Sachfragen auseinanderzusetzen – nicht nur bei Zuwanderung und Euro. Die Versuche, die AfD auszugrenzen, haben ihr mehr genützt als geschadet. Es ist nicht nur eine Frage des demokratischen Respekt, sondern auch der politischen Klugheit, der AfD auf der Sachebene zu begegnen. Dazu gehört auch, dass die anderen Parteien wieder das tun, was ihr Job ist: Den Bürgern in den großen Politikfeldern unterscheidbare „Alternativen für Deutschland“ vorzulegen.

Erschienen am 15. Juli als Leitartikel im „Hamburger Abendblatt“

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