Tut mir leid, aber ich muss Daniel Kaiser, Lisa Reimnitz und den meisten deutschen Literaturpäpsten widersprechen. Der fast 1000 Seiten lange Roman „EIN WENIG LEBEN“ von dieser für mich noch immer unaussprechlichen Autorin ist nicht nur nicht mal auf 20 Seiten lesenwert – er ist das vielleicht schlimmste Buch, das ich seit Beginn meiner aktuellen Reinkarnation gelesen habe. Vermutlich habe ich es aus Gründen der Selbstkasteiung oder des verkappten Masochismus nicht schon bei Seite 100 in die Ecke gepfeffert, sondern bis zum Schluss durchgehalten. Jetzt bin ich endlich fertig.
Das Furchtbarste an diesem Buch über eine so genannte Freundschaft von vier Männern, von denen einer als Kind jahrelang immer wieder sexuell missbraucht wurde, ist nicht die öde Klischeehaftigkeit aller Figuren. (Heute könnte man Hauptfigur Jude zu einem Sängerknaben des Papstbruders Ratzinger machen – nirgendwo werden Sadismus und Missbrauch bekanntlich so perfekt kombiniert wie bei den Katholiken). Am schlimmsten ist es, dass die Autorin es über Hunderte von Seiten nicht schafft, dem so energisch herbeikonstruierten Leid einen echten Resonanzraum zu geben, der nicht schon von ihrem schmierigen Pathos verklebt wäre. Nichts an diesem Text ist authentisch, alles ist vier- und fünffach zu dick aufgetragen.
Durschnittskitsch wirkt gegen diesen locker auf 200 Seiten kürzbaren Text wie eine Phoenix-Doku.
Stattdessen geht es in diesem Buch sinngemäß etwa so zu: „Es tut mir leid“, sagte Jude. „Nein“, entgegnete Willem, „mir tut es leid. Noch viel mehr als Dir.“ „Nein“, sagte Jude, während er plötzlich wieder das Bedürfnis spürte, sich so tief wie nie zuvor zu ritzen und darüber nachdachte, wo er seine Rasierklingen versteckt hatte, „es ist alles meine Schuld.“
Hauptfigur Jude ritzt sich 900 Seiten lang, humpelt heulsusig durch die Gegend (das Cover sagt im Grunde alles), will aber keine Therapie machen, sondern lieber Staranwalt sein, der Großkriminelle verteidigt.
Und natürlich sterben am Ende alle. Entweder an Unfällen oder Krankheiten oder an Selbstmord, war ja von Beginn an klar. Okay, kann man machen, wenn man so mordlüstern ist wie diese Autorin: einfach alle seine schlecht erfundenen Figuren 900 Seiten nölen und leiden lassen und sie dann töten. Was aber soll das? Und was soll dazu noch diese durchgehend witzlose Weinerlichkeit?
Es gibt nicht eine lustige Stelle in diesem Buch. Ist denn nicht Humor eine der stärksten Waffen der Menschen gegen die Verzweiflung? Nee, is nich, hier wird zwanghaft gelitten und zwar ohne Witz und Pause. Und ohne jeden Anspruch auf Wahrhaftigkeit. Man könnte meinen, die Autorin habe noch nie in ihrem Leben gelacht. Ehrlich geweint allerdings auch nicht.
Dann doch viel lieber AUERHAUS von Bov Bjerg. Auch in diesem nur rund 150 Seiten langen Roman geht es zwar (teilweise) um Depressionen (eines jungen Mannes). Aber nicht nur. Denn es werden dabei auch die komischen Jugendjahre einer WG in den 1980er (?) Jahren erzählt – Klaukurse, Kifferweisheiten und Psychiatriebesuche eingeschlossen. Und dort, wo es Leid gibt, lässt es sich für die Leser selbst erfühlen. Weil sie nicht so nach Strich und Faden und maßlos vollgesülzt und im Klischee ertränkt werden wie bei Frau Yanagidingsda.
Fazit: Weniger ist mehr, kürzer ist bisweilen besser, oder einfach: Leute, meidet „Ein wenig Leben“. Lest „Auerhaus“!
(Zuerst hier bei Facebook gepostet, was zu einer spannenden Debatte führte)