„Ab jetzt wird Klimaschutz auch wehtun“

Der rot-grüne Streit über CO2-Ziele kaschiert bisher noch, welche Härten der Umbau der Stadt für viele Hamburger bringen wird.

Er sei bisweilen dünnhäutiger und nachtragender als sein Vorgänger, wird Hamburgs SPD-Bürgermeister Peter Tschentscher nachgesagt. Während Olaf Scholz meist seinem Leitspruch „Wir sind nie beleidigt“ folge, könne Tschentscher oft nicht verbergen, wie sehr es ihn auch persönlich trifft, wenn Opposition oder Journalisten mal härter mit der Arbeit des Senats ins Gericht gehen oder – schlimmer noch – der Koalitionspartner ihn offen kritisiert.

Mit dem grünen Umweltsenator Jens Kerstan würde der SPD-Senatschef am liebsten gar nicht mehr zusammenarbeiten, heißt es. Im Wahlkampf hatte Kerstan öffentlich gemacht, dass Tschentscher in der vertraulich tagenden Senatskommission für Klimaschutz im August seinen Vorschlägen für ehrgeizigere Klimaziele nicht ad hoc habe folgen wollen. Seither ist das vorher schon löchrige Tischtuch zwischen den beiden Alphapolitikern aus Sicht des Bürgermeisters offenbar zerschnitten.

Koalitionsrunde am Montag soll Klimakonflikt lösen 

Reden werden sie trotzdem müssen. Der Klimaschutz duldet keinen Aufschub wegen persönlicher Animositäten – da immerhin sind sich alle einig. Schon am kommenden Montagabend soll nach Abendblatt-Informationen eine „Koalitionsrunde“ die Verspannungen zwischen SPD und Grünen beim Klimaschutz lockern. Mit dabei sind wohl die beiden Bürgermeister Tschentscher und Katharina Fegebank (Grüne), die Partei- und Fraktionsvorsitzenden von SPD und Grünen, Senatskanzleichef Jan Pörksen (SPD) und Umweltsenator Kerstan.

Dabei dürfte es zunächst darum gehen, den zentralen Konflikt aufzulösen, der im Wahlkampf zutage getreten ist: Die Grünen drängen darauf, die Klimaschutzziele in Hamburg analog zu anderen Bundesländern wie Bayern oder Rheinland-Pfalz zu verschärfen und Klimaneutralität bereits 2040 statt 2050 anzustreben – und bis 2030 eine Minderung des CO2-Ausstoßes von 70 Prozent gegenüber 1990 zu erreichen.

Es beginnt der schwierigste politische Törn seit 1945

Dazu solle im dritten Quartal 2022 das Klimaschutzgesetz novelliert und im Folgejahr der Klimaplan mit den einzelnen Maßnahmen beschlossen werden. Die SPD dagegen will die Maßnahmen möglichst parallel entwickeln. Tschentscher hatte zuletzt stets betont, es sei unseriös, sich immer ehrgeizigere Ziele zu setzen, ohne zu wissen, wie man sie erreichen wolle.

Ein Kompromiss dürfte mit der Vorziehung des Klimaplans schnell zu finden sein – denn der Streit wurde in Wahrheit von beiden Seiten im Wahlkampf künstlich hochgespielt. Nur so konnten die Grünen der SPD mal wieder nachsagen, sie wolle gar keinen ausreichenden Klimaschutz – und die Genossen konnten ihr Lieblingslied von den angeblich so unseriösen Grünen singen. Jetzt aber sind die Wahlen vorbei, SPD und Grüne sitzen wieder in einem Boot – und vor ihnen liegt nicht nur ein bisschen raue See, sondern der vielleicht schwierigste politische Törn in der Geschichte der Bundesrepublik.

Vor allem die Mittelschichten werden leiden

Denn um die Erderwärmung zu bremsen, muss sich die Art radikal verändern, wie Menschen auch in dieser Stadt leben, wie sie produzieren, konsumieren, wohnen, essen und sich durch Stadt, Land und Welt bewegen. Manche lieb gewonnenen Gewohnheiten müssen aufgegeben werden, und alles, was dem Klima schadet, wird absehbar teurer – das betrifft auch Grundbedürfnisse wie Wohnen und Mobilität. Die „schmerzfreien Maßnahmen sind bereits umgesetzt“, heißt es aus der Koalition. „Ab jetzt wird Klimaschutz auch wehtun.“ Der Umbau der Gesellschaft sei nicht ohne Schmerzen möglich. 

Um die Belastungen durch steigende Mobilitätskosten, höhere Abgaben, Energiepreise oder Kosten für Wohnungssanierungen gerecht zu verteilen, müsse man beim Klimaschutz auch „tief in die Umverteilung einsteigen“, wissen die Eingeweihten. Vor allem die Mittelschichten würden leiden – also vor allem Wähler von SPD und Grünen. 

Hunderttausende Wohnungen müssen saniert werden

Allein das Beispiel der für den Klimaschutz nötigen energetischen Sanierung vieler der rund eine Million Wohnungen zeige, was auf Hamburg zukomme, um Härten auszugleichen, heißt es aus dem Rathaus. Man rechne per Faustformel damit, dass die Kosten für die bessere Wärmedämmung pro Wohnung im Schnitt bei 50.000 Euro liegen. Da es bei dem Thema bisher kaum vorangehe und bisher keinen Zwang zur Sanierung gebe, brauche man massive Subventionen. 

Der Bund habe sich bereit erklärt, 45 Prozent der Kosten zu übernehmen – die Länder sollen 15 Prozent tragen. Die Hoffnung: Wenn die Eigentümer nur 40 Prozent der Sanierungskosten übernehmen und nur teilweise auf die Mieter umlegen, diese dafür aber Heizkosten sparen, könnten sich die Zusatzbelastungen für das Wohnen in Grenzen halten.

Politik hat Wahl zwischen drei schlechten Möglichkeiten

Dafür aber müsste auch die Stadt viel Geld auf den Tisch legen. SPD-Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt soll dem Vernehmen nach bereits einen zusätzlichen Finanzbedarf von etwa 200 Millionen Euro pro Jahr für die Sanierungssubventionen angemeldet haben – bei SPD-Finanzsenator Andreas Dressel dabei aber angeblich auf Granit gebissen haben. Auch beim Wohnungsneubau gibt es Konflikte. Im Grunde müsste man überall effiziente Wärmepumpen einbauen – die aber sind deutlich kostspieliger als billige Gasthermen und verteuern damit den Wohnungsbau. 

Das Ganze zeigt beispielhaft die Zielkonflikte, die fast überall beim Klimaschutz zu sehen sind – und bei denen die Politik nur die Wahl zwischen drei schlechten Möglichkeiten zu haben scheint. Entweder die Kosten für die Menschen steigen enorm – und es gibt womöglich Proteste und Radikalisierungen wie bei den Gelbwestenprotesten in Frankreich. Oder die Staatshaushalte geraten aus dem Gleichgewicht. Dritte, nur noch theoretische Möglichkeit: Man verzichtet auf Klimaschutz – was aber der Aufgabe des Planeten gleichkäme.

Höhere Wohnkosten in Eimsbüttel und Eppendorf 

„Ab jetzt wird es herausfordernd“, räumt auch SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf ein. Es beginne nun ein „zäher Umsteuerungsprozess“, den man sozial verträglich gestalten müsse. Gerade die oft von Grünen-Wählern bewohnten Altbauwohnungen in Eimsbüttel oder Eppendorf müssten wohl mit 30 bis 40 Prozent höheren Wohnkosten rechnen, wenn es keinen Ausgleichsmechanismus gebe, kalkuliert mancher in der Koalition. 

Weil Menschen in Horn und Hamm die Kosten der Klimapolitik oft nicht tragen könnten, müssten es womöglich stärker die in den schicken Altbauvierteln tun, weiß man auch bei den Grünen. Tatsächlich verbräuchten Menschen mit höheren Einkommen mehr Energie, flögen mehr durch die Welt, verursachten also mehr CO2-Ausstoß. „Wir müssen jetzt unsere eigene Klientel vor den Kopf stoßen“, konstatiert ein Grüner. 

Grüne liebäugeln mit einer City-Maut für Verbrenner

Auch beim Thema Verkehr wird nach der Wahl immer klarer, dass es ohne größere Einschränkungen wohl nicht geht. Zuletzt war die Zahl der Pkw in Hamburg stärker als die der Einwohner gestiegen – allen jahrelangen Reden über Klimaschutz zum Trotz. Es ist absehbar, dass schon die bisherigen Klimaziele im Verkehrsbereich nicht erreicht werden. Grüne plädieren nun dafür, eine Citymaut für alle Verbrenner einzuführen. Die SPD ist da zurückhaltender. Aber auch ihr Fraktionschef Kienscherf sagt: „Das Signal muss schon klar sein. Der Kfz-Verkehr muss weniger werden, unabhängig von der Elektrifizierung.“ Es gehe auch um den Platz – und darum, dass der Wirtschaftsverkehr noch fließen könne.

HCU-Professor Jörg Knieling, frisch gekürter Vizevorsitzender des neuen Klimabeirats, dessen Mitglieder den Senat künftig beraten sollen, wünscht sich in der Debatte eine optimistische Deutung. „Man sollte die jetzt anstehenden Entwicklungen als Chance für die Modernisierung unserer Gesellschaft verstehen“, so Knieling. „Hamburg kann aus dem Klimaschutz einen Standortvorteil machen und nationale und internationale Vorreiterstadt werden. Dies bringt Vorteile für Lebensqualität und Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft.“ Noch im Herbst werde der Klimabeirat eine eigene Stellungnahme dazu vorlegen. 

Klimaschutz: „Es ist schon 5 nach 12“

So oder so: Die Größe der Herausforderung ist allen bewusst. „Es ist schon 5 nach 12“, sagt Grünen-Fraktionschef Dominik Lorenzen. Er glaube daher, dass der Konflikt zwischen SPD und Grünen sich schnell auflösen lasse. „Wir sind uns ja im Grunde einig, dass wir höhere Ziele brauchen. Es geht nur noch um den Zeitplan.“ Auch SPD-Mann Kienscherf rechnet nun mit einer „Versachlichung“. 

Bei so viel rot-grüner Harmonie fehlt eigentlich nur noch eins: dass Umweltsenator Kerstan und Bürgermeister Tschentscher bei der Koalitionsrunde am Montag Freundschaft schließen. Aber man sollte es vielleicht nicht gleich zum Äußersten kommen lassen.

Erschienen am 16. Oktober 2021 in der Rubrik „Die Woche im Rathaus“ im „Hamburger Abendblatt“

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