Ungleiche Schwestern in der Beziehungskrise

Seit 20 Jahren sind Hamburg und das nicaraguanische León Partnerstädte. Ausgerechnet im Jubiläumsjahr aber ist die Beziehung der ungleichen Schwestern in ihre tiefste Krise gerutscht. Weil der neue sandinistische Bürgermeister nur per Wahlbetrug ins Amt kam, hat der Senat die offiziellen Beziehungen auf Eis gelegt. Auch viele Altlinke gehen auf Distanz zu ihren einstmals so romantisch betrachteten Revolutionshelden um den Sandinisten-Präsidenten Daniel Ortega.

In kaum eine internationale Beziehung ist in den vergangenen Jahrzehnten soviel Hamburger Herzblut geflossen wie in die Städtepartnerschaft mit der zweitgrößten nicaraguanischen Stadt León. Erwachsen aus Solidarität mit der Revolution der Sandinisten gegen den Diktator Somoza im Jahr 1979, reichte das Engagement der Hamburger für die Partnerstadt schon bald weit über die einschlägige linke Szene hinaus. 1989 unterzeichnete der damalige Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) das Abkommen zur Städtepartnerschaft.

<i>Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram 2006 in León mit einer einheimischen Familie<i>
Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram (CDU) 2006 in León mit einer einheimischen Familie (Fotos: Meyer-Wellmann)

Schnell wurde die Freundschaft mit der neuen „Schwesterstadt“, wie die Nicaraguaner sagen, durch das Engagement Tausender Hanseaten mit Leben gefüllt. Hamburger Schüler schicken bis heute jedes Jahr einen Container mit Schulmaterial nach León. Die Feuerwehr schult Leoner Kollegen auch in Hamburg und verfrachtet ausgemusterte Löschfahrzeuge nach León, die dort mit Hamburger Kennzeichen Einsätze fahren. Die Stadtreinigung unterstützt die Leoner bei der Müllbeseitigung. Jugendverbände pflegen einen regen Austausch, und Tausende von Behördenmitarbeitern spenden die Centbeträge ihrer Monatsgehälter in der Restcentaktion für den Ausbau des Abwassernetzes in León.

Der Bürgermeister prügelt auf Polizisten ein

Ausgerechnet jetzt aber, genau zum 20-jährigen Jubiläum der Partnerschaft zwischen den ungleichen Schwestern, ist die Beziehung in ihre bisher wohl größte Krise geraten. Der Senat hat die offiziellen Beziehungen mit León eingefroren. Ein für Mai 2009 geplantes Treffen von Vertretern aller Leoner Partnerstädte in Hamburg, das die Hansestadt den Nicaraguanern (kurz: Nicas) zum Jubiläum schenken wollte, wurde kurzfristig abgesagt. Das bisher im Zweijahresrhythmus unterzeichnete Abkommen über gemeinsame Projekte, der sogenannte Convenio, wurde nicht verlängert. Jüngste Eskalation des Beziehungsstreits: Der seit 2006 wieder regierende linkspopulistische Präsident Daniel Ortega, der schon 1979 die Revolution mit anführte, löste das Honorarkonsulat seines Landes in Hamburg auf. In einem Schreiben an den bisherigen Honorarkonsul, Ex-Senator Horst Gobrecht, feuerte er diesen jetzt ohne nähere Begründung.

<i>Die Kathedrale von León gilt als größte und älteste Mittelamerikas<i>
Die Kathedrale von León gilt als größte und älteste Mittelamerikas

Hintergrund des Streits sind die Leoner Kommunalwahlen von Ende 2008, bei denen sich der sandinistische Comandante Manuel Calderón im Kampf um das Bürgermeisteramt durchsetzte – allerdings allem Anschein nach mit Hilfe von Wahlbetrug und Manipulation. In einem Internetvideo sieht man Fotos, auf denen Calderón augenscheinlich mit einer Latte auf Polizisten einprügelt. Nicht nur der Senat weigert sich, Calderóns Wahl anzuerkennen. Auch unter den Begründern der Hamburger Nica-Szene löst deren autoritäres Gehabe zunehmend Argwohn aus.

Für Alt-68er ein schmerzhafter Ablösungsprozess

Gerade für manchen Alt-68er sei die Distanzierung ein „schmerzhafter Prozess“, konstatiert Peter Borstelmann, Sprecher des Freundeskreises León. Es sei aber nicht hinzunehmen, wie die Sandinisten so täten, als gehöre León ihnen, wie sie unliebsame Demonstrationen verhinderten oder politische Gegner einschüchterten. Er plädiere dafür, die förmlichen Kontakte einzuschränken. Mittel für Projekte dürften aber nicht gekürzt werden.

Und der geschasste Ex-Honorarkonsul Gobrecht, lange ein Vertrauter des Sandinistenführers Ortega, resümiert: „Es ist eine Erleichterung, eine solche Regierung nicht mehr vertreten zu müssen.“

Selbst Die Linke ist besorgt – vor allem über die Auswirkungen des 2008 erlassenen totalen Abtreibungsverbotes, mit dem der einstige Linksrevolutionär Ortega versucht, die Kirche auf seine Seite zu ziehen. Dass nun jegliche Abtreibung drastisch bestraft wird, habe „fatale Folgen“ für „Frauen und Minderjährige mit Risikoschwangerschaften, sowie Opfer sexueller Gewalt“, so die Linke-Fraktion.

SPD und GAL fürchten um die Partnerschaft

Obgleich die Distanz, auf die der Senat gegangen ist, auch durch Lageeinschätzungen des Auswärtigen Amtes gestützt wird, wittert manch anderer Hamburger politisches Kalkül. Die CDU wolle die Gelegenheit nutzen, die ungeliebte Städtepartnerschaft einschlafen zu lassen, glauben einige. So hat die SPD vorsorglich einen Antrag in die Bürgerschaft eingebracht, in der sie fordert, die Zusammenarbeit „im Interesse der Menschen uneingeschränkt fortzusetzen“.

<i>Ein ausgemustertes Hamburger Löschfahrzeug (mit HH-Nummernschild) in León<i>
Ein ausgemustertes Hamburger Löschfahrzeug (mit HH-Nummernschild) in León

Auch bei der GAL verfolgt man die Entwicklung mit Argusaugen. Es könne nicht sein, dass man „Vertreter aus China oder Sankt Petersburg herzlich willkommen heißt, den Leoner Bürgermeister aber nicht einmal mit der Kneifzange anfassen“ wolle, sagt ihr Abgeordneter Andreas Waldowsky.

„Freundschaft lebt durch Menschen, nicht Regierungen“

Wie sich die Zusammenarbeit entwickelt, wird sich auch daran zeigen, ob man für den Koordinator der Partnerschaft, Albert Weber, der im Februar aufhört, einen Nachfolger einsetzt. Falls jemand den Posten übernimmt, solle er jedenfalls nicht mehr im Leoner Rathaus sitzen, heißt es – sondern weiter weg vom Bürgermeister.

Unter den vielen persönlich für León engagierten Hamburgern, sieht man die Lage gelassen. „Die Partnerschaft stützt sich ja nicht in erster Linie auf die Zusammenarbeit von Regierungen“, sagt Reinhard Paulsen, der als Feuerwehrmann schon eine Generation junger Leoner Kollegen geschult hat. „Sie stützt sich auf die Freundschaft zwischen den Menschen.“

Erstmals erschienen am 27. September 2009 in der „Welt am Sonntag“ und bei WELT ONLINE.
Eine Sammlung von Jens Meyer-Wellmanns Kolumnen über denn alltäglichen Familien- und sonstigen Wahnsinn gibt es unter dem Titel „Schrei mich nicht an, ich bin ein Wunschkind“ auch als eBook bei Amazon, und zwar hier.

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