Problemnummer

Es gibt immer wieder ein erstes Mal im Leben. In der kommenden Woche zum Beispiel werde ich zum ersten Mal eine Hausnummer anbringen. Ich habe diese Herausforderung, wie ich mittlerweile weiß, bisher stets unterschätzt. Vorgestern bekam ich einen Brief von der Freien und Hansestadt Hamburg, Bezirksamt Eimsbüttel, Zentrum für Wirtschaftsförderung, Bauen und Umwelt. Darin wurde mir „nach Paragraf 20 HWG“ meine Hausnummer zugeteilt, und ich nahm mir vor, diese künftig voller Stolz in meiner Adresse zu tragen und am Wochenende ein schönes Hausnummernschild anzubringen. Aber so einfach ist das nicht.

Denn wie ich in „Anlage 1 zum Bescheid“ erfuhr, sind dabei zahlreiche „baurechtliche Anforderungen“ zu beachten. Es handelt sich auch in Wahrheit nicht um das läppische Anbringen einer Nummer an ein Haus, sondern um ein „Vorhaben“, wie ich las: „Das Vorhaben ist nach den öffentlich-rechtlichen Vorschriften auszuführen. Insbesondere sind zu beachten: die Vorschriften der Hamburgischen Bauordnung (HBauO), die Vorschriften der nach den HBauO erlassenen Rechtsvorschriften und die allgemein anerkannten Regeln der Technik (§ 3 Abs. 3 HBauO).“

Ich bin von jeher ein großer Freund allgemein anerkannter Regeln, leider aber verfüge ich nicht über die zehnbändige Ausgabe der von Hamburger Senaten und ihren Helfern in den vergangenen Jahrzehnten nach HBauO erlassenen Rechtsvorschriften. Dankenswerterweise fasste der Brief die weiteren Vorschriften leichthändig zusammen, und ich erfuhr, dass Hausnummernleuchten in Richtung Straße am Haus zu befestigen sind, was mir unmittelbar einleuchtete. Zugleich aber dürften die Nummern keinesfalls „die Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs beeinträchtigen“. Ganz wichtig sei es überdies, dass meine Hausnummer die „Lichtsignale von Rettungsdiensten nicht nachteilig beeinflussen“ dürfe, was ich nicht verstand, denn schließlich fahre ich mit meinem Haus (und seiner Nummer) normalerweise nicht durch die Stadt.

Weiter unten wurde ich belehrt, dass ich die Nummer, „nicht niedriger als 1,80 m“ am Haus zu befestigen hätte, und zwar „im Falle des Satzes 1 des vorangegangenen Absatzes gemessen an der Eingangshöhe, im Falle des Satzes 2 gemessen an der Geländeoberfläche am Anbringungsort“. Während ich langsam zurücklas und den Satz 1 des vorangegangenen Absatzes suchte, fragte ich mich, ob ich nicht besser aufs Land oder gleich ins Ausland gezogen wäre. Und warum ich unbedingt aus meiner Wohnung ausziehen musste. Die hatte einen Hausmeister, der die Hausnummern, wann immer nötig, an die neuen Regelwerke meiner Senate anzupassen in der Lage war. Damit gehört er, ganz nebenbei, zu den größten Kennern der seit Jahrzehnten in Hamburg so energisch verfolgten Entbürokratisierungspolitik.

Erschienen am 2. Oktober 2010 in der Rubrik “Hamburger Momente” in WELT und WELT ONLINE. In gekürzter Fassung auch erschienen im Hamburger Abendblatt am 22.01.2013. Eine Sammlung von Jens Meyer-Wellmanns Kolumnen über den alltäglichen Familien- und sonstigen Wahnsinn gibt es unter dem Titel „Schrei mich nicht an, ich bin ein Wunschkind“ auch als eBook bei Amazon, und zwar hier.

Ein Kommentar

  1. Reiner Zufall, dass ich auf diese Seite gestoßen bin. Mein Sonntag ist gerettet, da ich mir bildlich vorstelle, wie Meyer-Wellmanns mit nummeriertem Haus auf der Großen Freiheit herum kurvt. Habe herzlich lachen müssen.

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